Meinung

Propaganda nach Staatsräson: Tagesschau "vergisst" oscarprämierten Dokumentarfilm

Der israelisch-palästinensische Film "No Other Land" hat einen Oscar für die beste Dokumentation gewonnen. Das bringt die Israel-Unterstützer zur Weißglut: Die Lobby ruft "Antisemitismus!", der deutsche Staatsfunk versagt ihm die Aufmerksamkeit und in den USA verweigern sich die Kinos.
Propaganda nach Staatsräson: Tagesschau "vergisst" oscarprämierten DokumentarfilmQuelle: Gettyimages.ru © Monica Schipper/Getty Image

Von Susan Bonath

Nach jahrelangem Siedlerterror vertreibt die israelische Armee 2022 über 1.000 Bewohner zwangsweise aus Masafer Yatta, einer Ansammlung aus 19 palästinensischen Dörfern im Westjordanland, südlich von Hebron. Mit Bulldozern zerstören die Soldaten ihr Eigentum, der Staat Israel beschlagnahmt ihr Land. Die obdachlos Gewordenen stehen vor dem Nichts. Hamdan Ballal, Basel Adra Rachel Szor und Yuval Abraham, zwei Palästinenser und zwei Israelis, dokumentieren an diesem Beispiel die ethnische Säuberung in Palästina.

Ihr erschütterndes Werk "No Other Land" ("Kein anderes Land"), das den Terror der haushoch überlegenen Militärmacht Israel an der palästinensischen Zivilbevölkerung zeigt, räumte Preise ab, am Wochenende auch den "Oscar" für den besten Dokumentarfilm. Westliche Meinungsführer begegnen dem Film jedoch mit größter Feindseligkeit. Es hagelte die üblichen Antisemitismusvorwürfe. Die deutschen Öffentlich-Rechtlichen, vorneweg die ARD-Tagesschau, "vergaßen" die Doku fast ganz in ihrer "Berichterstattung" über die Preisverleihung. Und in den USA findet der Film nicht einmal einen Verleih.

Desinformation durch Verschweigen...

Auf eigens unterstützte Barbarei weist man im "Wertewesten" gar nicht gerne hin. Die passt nämlich nicht ins hehre Narrativ. In ihrer ersten Berichterstattung über die Oscar-Verleihung erwähnte die Tagesschau den Dokumentarfilm nicht einmal. Sie blendete den Teil der Wirklichkeit ganz einfach aus.

Das führte offensichtlich zu Kritik. So fügte das ARD-Meinungsschlachtschiff Stunden später eine winzige Erwähnung dieser Doku nachträglich ganz am Ende des Artikels ein: "Und die Filmemacher des besten Dokumentarfilms, 'No Other Land', nutzten die Gelegenheit, auf die Situation der Palästinenser hinzuweisen und dabei auch die Außenpolitik der USA zu kritisieren." – Kein Wort über den Inhalt der brisanten, preisgekrönten Doku.

... und Diffamierung

Tags darauf erfährt der Konsument in einem Beitrag des ARD-Ablegers Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) ganz beiläufig, das israelisch-palästinensische Kollektiv habe die Oscar-Verleihung für eine "politische Bühne" genutzt. Das klingt schon sehr nach: Die hätte man denen eigentlich gar nicht geben dürfen. Dann folgt sogleich das Unvermeidliche: Den Filmemachern sei bereits "eine einseitige Positionierung im Nahostkonflikt und teils auch Antisemitismus vorgeworfen" worden.

Die nachträgliche Erwähnung geschah wohl überhaupt nur, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, journalistische Mindeststandards zu verletzen und das (zwangsweise) zahlende Publikum durch Weglassen wichtiger Fakten zu desinformieren. In einer am Dienstag gesendeten Reportage des regionalen ARD-Ablegers Bayerischer Rundfunk (BR) über die Oscar-Verleihung berichtet die Moderatorin zwar allerlei über die preisgekrönten Werke und Darsteller – zu "No Other Land" gibt's aber nicht mal einen Hinweis.

Das ZDF beschränkt sich auf eine winzige Erwähnung der "umstrittenen" Doku am Ende einer Sendung mit Moderatorin Dunja Hayali. In einer Randnotiz beim öffentlich-rechtlichen Deutschlandfunk erfahren Suchende: "Israel kritisiert den Sieg" des Films. Dies habe in Israels Führungsriege "Irritationen ausgelöst", sie fühle sich "diffamiert". Wer hätte das gedacht, dass sich der Täter echauffiert, der gerade mit vollständiger Blockade im Begriff ist, zwei Millionen Gaza-Bewohner verhungern zu lassen.

Hetzkampagne im Vorfeld

Schon vor einem Jahr erging sich das deutsche gebührenfinanzierte Medien-Establishment in heller Empörung um die brisante Doku. "Antisemitismusvorwürfe nach Berlinale-Preisverleihung", titelte die Tagesschau Ende Februar 2024. Die "Chefempörten" vom Berliner Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) bis hin zum israelischen Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, polterten von einer angeblich von Antisemitismus durchsetzten Kulturszene.

Die Tagesschau entblödete sich damals auch nicht, missverständlich zu behaupten, die Filmemacher hätten "No Other Land" erst "im Oktober 2023 abgedreht" und dennoch den Hamas-Anschlag am 7. Oktober desselben Jahres "nur am Rande erwähnt". Tatsächlich produzierten sie die Dokumentation in den Jahren 2018 bis 2022 und fügten kurz vor der Veröffentlichung aus aktuellem Anlass noch einen Extrahinweis auf den Überfall ein.

Die feindseligen Kampagnen gingen vor einem Jahr so weit, dass der israelische Filmemacher Yuval Abraham in seinem Heimatland massiv bedroht wurde, sogar mit Mord. Er habe deshalb sogar einen Flug nach Hause kappen müssen. Der Berliner Politik und einigen Medien warf er vor, dies mit angeheizt zu haben. Seine Familie in Israel sei, so Abraham, "von einem rechten Mob" in ihrem Haus bedroht worden. "Ich bekomme noch immer Morddrohungen und musste meinen Heimflug absagen."

Staatsräson kennt gute und schlechte Juden

Der Vorwurf ist freilich absurd, zumal Abraham selbst israelischer Jude ist. Doch bekanntlich schreckt das deutsche Establishment nicht davor zurück, selbst Juden mit Antisemitismusvorwürfen zu denunzieren, wenn sie die Politik ihres eigenen Staats kritisieren. Wo Deutsche bestimmen wollen, wie ein Jude politisch denken darf, hat wohl die historische Aufarbeitung der Nazizeit versagt.

Dass linke Juden in Deutschland unerwünscht sind, weiß der Verein "Jüdische Stimme" sehr gut. Ende 2023 entzog der Berliner Senat dem migrantischen Verein Oyun die Fördermittel und das Domizil, weil er Mitglieder der "Jüdischen Stimme" eingeladen hatte. Wenige Monate später sperrte die Berliner Sparkasse dem jüdischen Verein das Bankkonto und forderte eine vollständige Namensliste aller Mitglieder.  Am diesjährigen Auschwitz-Gedenktag, dem 27. Januar, sollte ein Vereinsmitglied in Berlin verurteilt werden, weil er den Slogan "From the river to the sea" geäußert hatte, wie RT DE berichtete – Das Gericht verschob den Prozess wegen der Erkrankung einer Gutachterin auf den Monat Mai.

So kann konstatiert werden: Die deutsche "Staatsräson" der unerschütterlichen Verteidigung Israels (und aller Kriegsverbrechen dieses Staats) beschützt nicht etwa alle Juden in Deutschland. Vielmehr legt sie fest, wer ein guter und wer ein schlechter Jude ist. Wer von ihnen den wie eine US-amerikanische Militärbasis in Nahost operierenden imperialistischen Staat Israel kritisiert, gehört demnach in die letztgenannte Kategorie.

US-Kinos canceln den Film

Wer nun denkt, die USA als "wertewestlicher Hort der Meinungsfreiheit" würden hier ganz anders als Deutschland agieren, täuscht sich allerdings. Wie kürzlich die Berliner Zeitung berichtete, findet "der umstrittenste Film des Jahres" keinen Verleih in den Vereinigten Staaten. Die Regisseure von "No Other Land" denken, dass aus politischen Gründen verhindert werde, ihre Dokumentation in die Kinos zu bringen. Damit liegen sie mit großer Sicherheit richtig.

Tatsächlich lief der Film bereits in 24 Ländern, sogar in Deutschland im November 2024. Und nach der Berlinale, die vor einem Jahr zu einer Brutstätte des Antisemitismus umgedichtet wurde, gewann er noch viele weitere Preise, beispielsweise als beste Doku bei den Gotham Awards, im New York Film Critics Circle, der National Society of Critics und den IDA-Awards. Überdies erhielt er den Courage Under Fire Award. Die großen Kinos in den USA verweigern sich trotzdem.

Die antisemitische Motivation der Israel-Lobby

Verwunderlich ist das aber nicht: Welche "Demokratie" gibt schon gerne zu, den live gestreamten und für jedermann dokumentierten Völkermord in Palästina mit Milliarden zu finanzieren? Die strukturelle Rückgratlosigkeit ist nicht nur in Deutschland riesig. Niemand bekommt gerne Ärger von oben, keiner verliert gerne sein Einkommen.

Die Israel-Lobby und ihre Apologeten setzen auf Einschüchterung: durch Pranger, Drohungen und Existenzentzug. Damit lässt sich wunderbar eine ganz bestimmte Art von echtem Antisemitismus verbergen: die Tatsache, dass die USA mit Deutschland im Schlepptau den Staat Israel keineswegs als Fluchtbastion für drangsalierte Juden ansehen, wie sie stets behaupten, sondern als ihre imperialistische Militärbastion. Denn was könnte antisemitischer sein, als israelische Juden als geborene Soldaten zu missbrauchen, um wirtschaftliche und politische Kontrollbedürfnisse des Westens militärisch durchzusetzen?

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