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Alternativlos: Deutschland wählt Instabilität
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Von Pjotr Akopow
Die Ergebnisse der deutschen Bundestagswahl sind ebenso offensichtlich wie unvorhersehbar. So ist das in Krisenzeiten – und nichts anderes durchleben Deutschland und Europa derzeit. Zudem haben äußere Faktoren noch nie eine so große Rolle gespielt wie bei dieser Wahl.
Nur eines ist sicher: Berlin wird einen neuen Kanzler bekommen. Friedrich Merz wird Olaf Scholz im Amt ablösen, aber sein Weg zum Regierungschef könnte lang und steinig werden. Denn weder die Zahl der Parteien, die in den Bundestag einziehen werden, noch die Zusammensetzung der Regierungskoalition stehen zur Stunde fest: Alles ist zu wackelig.
Zwischen fünf und sieben Parteien können es in den Bundestag schaffen, aber eine leicht erreichbare, tragfähige Mehrheit ist nicht in Sicht. Die Wiederaufnahme der Ampelkoalition (aus SPD, Grünen und der FDP), die bis November letzten Jahres regierte und deren Scheitern zu den vorgezogenen Neuwahlen führte, ist völlig ausgeschlossen: Zum einen, weil fast keiner der Beteiligten sie will, zum anderen, weil die FDP, die die Scheidung initiiert hat, wahrscheinlich nicht in den Bundestag einziehen wird, da ihre Werte in den Umfragen stabil unter fünf Prozent liegen.
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Ein weiterer Kandidat für den Flug aus dem Bundestag war lange Zeit die Linkspartei, die nach dem Austritt von Sahra Wagenknecht (die ihre eigene Partei gegründet hat) nicht nur den Fraktionsstatus, sondern auch einen Teil ihrer Wähler verloren hat. In den letzten Wochen hat die Linke jedoch Stimmen hinzugewonnen und könnte die Fünf-Prozent-Hürde durchaus überwinden.
Der Neuling bei den Wahlen, das Bündnis Sahra Wagenknecht, hat zum Ende des Wahlkampfs unerwartet an Boden verloren. Während das BSW vor einem Jahr noch an zehn Prozent kratzte, liegt es in mehreren jüngsten Umfragen unter fünf Prozent. Dennoch hat die neue Partei noch eine Chance, zumal fast ein Viertel der Wählerinnen und Wähler zu Beginn dieser Woche noch nicht entschieden hatte, wen sie wählen wollen. Für Wähler, die mit den systemischen Politikern unzufrieden sind, ist es viel logischer, eine neue Oppositionspartei zu wählen, als für die "Volksparteien" zu stimmen, die bislang die Macht unter sich aufgeteilt hatten.
Volksparteien – so nannte man früher CDU/CSU und SPD, in Zeiten, in denen sie zusammen bis zu 90 Prozent der Wählerstimmen holten. Doch diese Zeiten sind endgültig vorbei: Bei der letzten Wahl bekamen sie zusammen zum ersten Mal weniger als die Hälfte der Stimmen. Jetzt wird das Ergebnis noch schlechter ausfallen: In den Wahlumfragen erreichen die früheren Volksparteien zusammen rund 45 Prozent. Die CDU wird höchstwahrscheinlich auf Platz eins landen: Verlor sie im Jahr 2021 noch anderthalb Prozent an die SPD, vereint sie nun fast doppelt so viele Wähler hinter sich wie die Sozialdemokraten von Olaf Scholz.
An zweiter Stelle in der Wählergunst steht die Alternative für Deutschland (AfD), an dritter die SPD, an vierter – die Grünen. Die beiden letztgenannten Parteien werden zusammen in etwa so viele Stimmen auf sich vereinen wie die Unionsparteien CDU und CSU, oder sogar noch weniger, sollte die Partei von Merz deutlich über 30 Prozent landen. Spannend ist aber vor allem, wie stark die AfD zulegen wird. Der Wahlkampfbeitrag von Ilon Musk könnte der Partei zu einem ernsthaften Durchbruch verhelfen, und das, wo ihre Werte bereits über 20 Prozent liegen. Es ist nicht auszuschließen, dass sie letztendlich bis zu 25 Prozent erreichen wird. Das wäre ein wichtiger Schritt, um das derzeitige parteipolitische System in Deutschland zu verändern, vor allem, wenn das systemfeindliche BSW doch noch den Einzug in den Bundestag schafft.
Denn dann würden die beiden Anti-System-Parteien bis zu einem Drittel der Sitze im Parlament kontrollieren, und die Systemparteien, die sich ihnen entgegenstellen, gerieten in eine Krise der Verhandlungsmacht. Ein Zusammenwirken mit der AfD wird von allen Systemparteien komplett ausgeschlossen, und auch die Haltung der Etablierten gegenüber dem bedingt linken BSW ist kaum besser. Und dann ist da noch die Linke, mit der Bündnisse auf Landesebene zulässig sind, auf Bundesebene aber höchst unwahrscheinlich.
Mit anderen Worten, das Establishment hätte in diesem Fall nur zwei Drittel des Bundestages für Koalitionsbildungen zur Verfügung, was die Palette der möglichen Kombinationen stark reduziert.
Das wahrscheinlichste Szenario ist eine Neuauflage der Großen Koalition aus den Unionsparteien und der SPD. Die Bezeichnung "Große Koalition" stammt noch aus jener Zeit, als CDU und SPD wirklich noch Volksparteien waren. Aber das ist nicht mehr der Fall, und jetzt wird das Bündnis zwischen Schwarz und Rot nicht so sehr durch die Figur von Scholz behindert (der versprochen hat, im Falle einer Niederlage aus der Politik auszusteigen), sondern durch den Mangel an Sitzen. Je nach Wahlergebnis wird diese Kombination entweder keine Mehrheit haben oder sie wird minimal und wackelig sein. Und einen dritten Partner zu nehmen, wird sehr schwer: Die CDU (und insbesondere ihre bayerische Schwester, die CSU) ist sehr gegen ein Bündnis mit den Grünen, und die SPD wird den Verrat der FDP nicht vergessen können (falls sie jemals in den Bundestag kommt).
Die Verhandlungen über eine neue Koalition versprechen also nervenaufreibend und schwierig zu werden. Am Ende wird natürlich der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz Kanzler werden, aber er wird höchstwahrscheinlich an der Spitze einer schwachen Regierung stehen, die gezwungen sein wird, sich ständig um die Sicherung der Mehrheit im Bundestag zu bemühen.
Was ist für Russland drin? Es ist in unserem Interesse, die systemfeindlichen Parteien und Kräfte in der BRD zu stärken, daher wäre ein Sechs-Parteien-Bundestag am besten: mit der stärkstmöglichen AfD, den Fraktionen von Sahra Wagenknechts Bündnis und der Linken, aber ohne die FDP. Der politische Sturm in Europa wird nur rauer werden, sowohl wegen Trump als auch wegen der internen Krise des europäischen Integrationsprojekts, der Probleme mit der atlantischen Einheit und der beschädigten Beziehungen zu Russland. Das Deutschland von Friedrich Merz wird die Lokomotive Europas bleiben, aber die Zugfahrt mit dieser beschädigten Lokomotive wird rumpelig, langsam und vom Streit der Passagiere geprägt sein.
Mit der Zeit werden die systemfeindlichen Parteien die Brandmauer durchbrechen, die ihnen auf ihrem Weg zur Macht vorgesetzt wurde. Erst dann wird sich die Gelegenheit bieten, zu konstruktiven Beziehungen mit den Deutschen zurückzukehren.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 22. Februar 2025 auf ria.ru erschienen.
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