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Der Saal, in dem Göring sein Urteil erhielt: In Nürnberg wird Russland der Prozess gemacht
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Von Astrid Sigena
Es hat schon fast Tradition, dass man sich in Nürnberg, der selbst ernannten Stadt des Friedens und der Menschenrechte, an der völkerrechtlichen Bewertung des Ukrainekriegs abarbeitet – noch bevor er überhaupt beendet worden ist. Und ohne dass sich der Nebel aus Hass und Propaganda zuvor gelichtet hätte.
So beherbergte zum Beispiel im vergangenen Herbst das Memorium Nürnberger Prozesse einen Vortrag zum Thema der strafrechtlichen Aufarbeitung von Kriegsverbrechen in Syrien und in der Ukraine. Aber bereits im Sommer 2022 hatte das Memorium einen Bezug zwischen den Nürnberger Prozessen und dem Krieg in der Ukraine hergestellt.
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Nun lädt für den 18. und 19. Februar die mit Steuergeld finanzierte Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) zu einem kostenlosen Kongress nach Nürnberg ein. Er trägt den Titel "Lebendige Menschlichkeit" und soll sich mit Kriegen im 21. Jahrhundert, vor allem mit dem "russischen Angriff auf die Ukraine" beschäftigen, so ein Bericht der Nürnberger Nachrichten. Eingeladen seien "renommierte Gäste, Experten aus Politik, Wissenschaft, Justiz und Medien".
Schauplätze der Veranstaltung sind der Schwurgerichtssaal 600 und Nürnbergs historischer Rathaussaal. Ausgerechnet im Schwurgerichtssaal im Nürnberger Justizpalast fanden die weltberühmten Nürnberger Prozesse gegen Nazi-Verbrecher statt. Wer nicht nach Nürnberg reisen kann, hat die Möglichkeit, zumindest Teilen der Veranstaltung im Livestream zu folgen.
Es ist klar, dass damit das heutige Russland und sein Vorgehen im Ukrainekrieg in die Nähe der nationalsozialistischen Verbrechen gerückt werden sollen. Dazu bedarf es nicht einmal expliziter Gleichsetzungen. Das fängt schon mit dem Tagungsort an: Nürnberg, erst die Stadt der Reichsparteitage, und dann Schauplatz der Nürnberger Prozesse als Sühne für die NS-Verbrechen, deren Beginn sich 2025, diesem mit Gedenktagen überfrachtetem Jahr, zum 80. Mal jährt.
Noch dazu ist einer der Schauplätze der Tagung der berühmte Saal 600, in welchem die Nürnberger Prozesse gegen die Hauptkriegsverbrecher des Zweiten Weltkriegs stattfanden. Nach den Nürnberger Prozessen wieder der bayerischen Justiz zurückgegeben und jahrzehntelang vom Oberlandesgericht Nürnberg benutzt, ist er seit 2020 ein musealer Gedenkort. Wer heutzutage dort auf der Anklagebank sitzt, kann nur ein Massenmörder von gigantischem Ausmaß sein.
Und es geht weiter mit den NS-Bezügen, denn es ist mit Professor Patrick Desbois ein Wissenschaftler eingeladen, der sich der "Praxis der forensischen Erforschung des Holocaust" verschrieben hat. Als Präsident der Vereinigung "Yahad – In Unum" beschäftigt er sich vor allem mit den Massenerschießungen von Juden und Roma in Osteuropa durch die Deutschen und ihre Helfershelfer. Dass "Yahad – In Unum" sich anscheinend auch für den gegenwärtigen Ukrainekrieg zuständig fühlt, lässt sich aus der Teilnahme des Generalsekretärs Andrej Umansky an der Diskussion "Persistenz. Ermittlungen russischer Kriegsverbrechen" schließen.
Schon allein der Name des Kongresses zeigt, dass man sich bei der Aufdeckung angeblicher russischer Verbrechen in die Tradition der Aufklärung nationalsozialistischer Untaten stellt, denn der Begriff "Lebendige Menschlichkeit" ist einem Vortrag der Philosophin, Totalitarismus-Forscherin und Berichterstatterin über den Eichmann-Prozess Hannah Arendt entnommen. Ein gewaltiges Erbe, das man da für sich in Anspruch nimmt! Das vollständige Arendt-Zitat lautet übrigens:
"Man könnte wohl sagen, daß die lebendige Menschlichkeit eines Menschen in dem Maße abnimmt, in dem er auf das Denken verzichtet und sich den Resultaten, den bekannten oder auch unbekannten Wahrheiten anvertraut und sie ausspielt, als seien sie Münzen, mit denen man alle Erfahrungen begleichen kann".
Arendts Ausführungen in ihrer Lessing-Rede sind erheblich differenzierter als die Sichtweisen der Kongress-Initiatoren, die sich in ihrem überheblichen Menschenrechtspathos diesen Begriff zu eigen machen.
Man geht wohl nicht zu weit, zu behaupten, dass Arendt einen Kongress über Verbrechen im Ukrainekrieg, ohne die andere, die russische Seite anzuhören, als intellektuell unredlich empfunden hätte – stattdessen dabei: hauptsächlich ukrainische Publizisten, Filmemacher, NGO-Vertreter (zum Beispiel von SEMA Ukraine, einer NGO zur Aufklärung russischer sexueller Gewalt in der Ukraine oder vom "Netzwerk ukrainischer Männer, die Gefangenschaft und Folter überlebt haben").
Zu den in Nürnberg teilnehmenden NGOs, die in diesem Konflikt auf ukrainischer Seite wie Pilze aus dem Boden sprießen, gehört auch die Clooney-Stiftung. Die jüngsten Funde ermordeter Zivilisten in von der Ukraine besetzten (und jetzt wieder befreiten) russischen Gebieten, zuletzt im Dorf Russkoje Poretschnoje, dürften bei dieser Veranstaltung wohl eher nicht thematisiert werden.
Überhaupt der Begriff "Krieg gegen die Ukraine", der in der Einladung zum Kongress verwendet wird. Er impliziert, dass die Gewalt nur von einer Seite ausgeht, nämlich der russischen – die Donbass-Bewohner wissen seit 2014 ein anderes Lied zu singen. Im Gegensatz zum "Ukrainekrieg" (der den bloßen Schauplatz der meisten Kriegshandlungen in diesem Konflikt bezeichnet) oder "russisch-ukrainischem Krieg" (der die beiden Konfliktparteien nennt) ist dies also von vornherein kein neutraler Begriff.
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Es ist schon fast peinlich (aber immer wieder notwendig) darauf hinzuweisen, dass hier mit Russland der Nachfolgestaat der Sowjetunion an den Pranger gestellt wird – an einen nationalsozialistisch konnotierten Pranger. Der Nachfolgestaat der Sowjetunion, die als eine der vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs einst die Nürnberger Prozesse überhaupt initiiert hatte, die Sowjetunion, die im Zweiten Weltkrieg durch deutsche Schuld 27 Millionen Menschen verloren hatte. Aber endlich hat man in Deutschland dank der bpb die Gelegenheit, auch einmal der Ankläger zu sein.
In Nürnberg wird Russland der Prozess gemacht. Und Ankläger, Zeugen der Anklage und Richter sind eins. Verteidiger gibt es nicht. Im Gegensatz zu damals kommen die Angeklagten nicht einmal zu Wort. Dieser Kongress ist eine höhnische Pervertierung der Nürnberger Prozesse von einst. Aber immerhin: Galgen wird es dieses Mal nicht geben. Schon allein aufgrund der mangelnden Durchsetzungsfähigkeit der selbst ernannten Verteidiger "lebendiger Menschlichkeit". Daher kann das als Kriegsverbrecher vorverurteilte Russland, wennschon nicht auf eine faire Behandlung, so doch auf den alten Spruch vertrauen: Die Nürnberger hängen keinen, sie hätten ihn denn zuvor!
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