Meinung

Was steckt hinter Trumps "Kulturrevolution"?

Der 80. Jahrestag der Konferenz von Jalta – auf der die Grundlagen der Weltordnung nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurden – jährt sich zu einem wichtigen Zeitpunkt. Heute erlebt diese Weltordnung eine Krise, und der Ukraine-Konflikt ist vielleicht die deutlichste Manifestation dieses Zusammenbruchs.
Was steckt hinter Trumps "Kulturrevolution"?Quelle: www.globallookpress.com © Kristina Kormilitsyna

Von Fjodor Lukjanow

In den Vereinigten Staaten, die jahrzehntelang als globaler Hegemon fungierten, findet derzeit eine "Kulturrevolution" statt. Die Trump-Administration stellte nicht nur die Außenpolitik um – vielmehr wurde auch das Paradigma über die Rolle Washingtons in der Welt grundlegend verändert. Was einst als undenkbar galt, wird nun offen diskutiert und sogar als Politik umgesetzt. Dieser Wandel stellt eine Revision der Weltsicht dar und wirft die Frage auf, wie die Welt strukturiert sein sollte und welchen Platz Amerika darin einnimmt.

Das Ende des Kalten Krieges löste für Russland eine Unzufriedenheit mit der neuen unipolaren Ordnung aus. Die in Jalta und Potsdam geschaffenen Rahmenbedingungen wurden formal durch Institutionen wie die Vereinten Nationen fortgeführt, doch das Gleichgewicht innerhalb dieses Systems brach mit der Ausweitung der amerikanischen Dominanz zusammen. Die Versuche, die Nachkriegsinstitutionen so anzupassen, dass sie der amerikanischen Hegemonie dienen, scheiterten und beschädigten sowohl die Institutionen als auch den Hegemonen selbst. Diese Fehlentwicklung erklärt die Veränderungen, die wir jetzt in Washingtons Weltanschauung beobachten können.

Die Ukraine: Folge der Systemkrise

Der Ukraine-Konflikt stellt eine direkte Folge dieser Systemkrise dar. Er veranschaulicht die Unfähigkeit der Post-Jalta-Ordnung, sich an die heutigen Realitäten anzupassen. Trotz der Bedeutung des Ukraine-Krieges handelt es sich nicht um einen globalen Konflikt wie den Zweiten Weltkrieg; die Welt wird nicht mehr nur durch den euro-atlantischen Raum definiert. Andere Mächte, insbesondere China, spielen jetzt eine wichtige Rolle. Pekings überlegtes Engagement in der Ukraine-Frage, mit der es einerseits die Bedeutung dieses Konflikts signalisiert, andererseits aber eine direkte Verwicklung vermeidet, verdeutlicht die veränderte Dynamik des globalen Einflusses.

Für die USA und ihre Verbündeten hat die Lösung der Ukraine-Krise globale Auswirkungen. Die internationalen Herausforderungen beschränken sich jedoch nicht mehr auf die traditionellen Machtzentren. Auch Entwicklungsländer und Staaten, die vor 80 Jahren wenig oder gar kein Mitspracherecht hatten, üben heute einen erheblichen Einfluss aus. Dies zeigt die Unzulänglichkeit des alleinigen Stützens auf Institutionen und Ansätze des Kalten Krieges zur Bewältigung der komplexen Herausforderungen der heutigen Zeit.

Schlussfolgerungen aus Jalta

Die Konferenz von Jalta wird oft als "großer Deal" bezeichnet, was jedoch ihre Bedeutung stark vereinfacht. Diese Konferenz fand vor dem Hintergrund des blutigsten Krieges der Geschichte statt. Das auf dieser Konferenz geschaffene System stützte sich auf die moralische Autorität des Sieges über den Faschismus und die dafür geopferten Menschenleben. Diese moralischen Grundlagen bildeten jahrzehntelang die legitime Grundlage für das Jalta-System, was über die reine Geopolitik hinausging.

Heute ist wieder von "Deals" die Rede, was nicht zuletzt auf Donald Trumps transaktionalen Ansatz in der Politik zurückzuführen ist. Trump sieht den Deal als praktisch und ergebnisorientiert an und zieht schnelle Ergebnisse komplexen Verhandlungen vor. Dieser Ansatz ermöglichte es ihm, in bestimmten Fällen einige Erfolge zu erzielen, wie zum Beispiel bei den US-Deals in Lateinamerika und im Nahen Osten, wo wichtige Akteure tief in den Einflussbereich Washingtons verstrickt sind.

Trumps Ansatz scheitert jedoch bei komplexen, tief verwurzelten Konflikten wie dem in der Ukraine. Solche Konflikte mit historischen und kulturellen Ursprüngen lassen sich nicht einfach durch Transaktionslösungen beilegen. Dennoch gibt es auch hier ein gewisses Potenzial. Trumps Abkehr von der Vorstellung, wonach amerikanische Hegemonie die Beherrschung der gesamten Welt impliziert, stellt eine klare Distanzierung von dem Dogma seiner Vorgänger dar. Stattdessen stellt er sich Hegemonie als die Fähigkeit vor, bestimmte Interessen – sei es mit Gewalt oder auf andere Weise – durchzusetzen.

Dieser Ansatz eröffnet die – wenn auch eingeschränkte – Möglichkeit zu Diskussionen über Einflusssphären. Solche Gespräche fanden in Jalta und Potsdam statt, wo die großen Weltmächte Territorien und Einflusssphären aufteilten. Auch wenn die geopolitische Landschaft heute viel komplexer ist, schafft die Erkenntnis der USA, dass sie nicht überall sein können, Raum für einen Dialog.

Das sich wandelnde Amerika, die sich wandelnde Welt

Trumps "Kulturrevolution" führt zwar zu einer Neuausrichtung der amerikanischen Außenpolitik, doch die Folgen sind weitreichend. Das amerikanische Establishment erkennt zunehmend an, dass die Kosten der globalen Allgegenwart untragbar sind. Diese Erkenntnis hat potenzielle Auswirkungen auf die amerikanisch-russischen Beziehungen und die internationale Stabilität im Allgemeinen.

Doch die Idee eines neuen "Großen Deals" ist nach wie vor mit Schwierigkeiten behaftet. Im Gegensatz zum Jahr 1945, als die Verhandlungen auf moralischer Klarheit und gemeinsamen Zielen beruhten, ist die moderne Welt stärker fragmentiert. Konkurrierende Ideologien, verfestigte Rivalitäten und aufstrebende Mächte erschweren die Erzielung eines Konsenses.

Die relative Stabilität des Jalta-Systems beruhte auf einer klaren moralischen Grundlage: dem Sieg über den Faschismus. Der heutigen Weltordnung fehlen solche einigenden Prinzipien. Vielmehr besteht die Herausforderung darin, eine multipolare Welt mit zerstreuter Macht zu lenken, in der kein Narrativ dominiert.

Was ist zu erwarten?

Für Russland stellt diese neue, auf traditionelle Werte und Transaktionismus ausgerichtete US-Außenpolitik eine Herausforderung dar. Die liberale Agenda früherer US-Regierungen, die sich auf die Förderung von Demokratie, Menschenrechten und progressiven Werten konzentrierte, war etwas, dem Moskau effektiv entgegenzuwirken lernte. Die von den Trumpisten konzipierte konservative Agenda mit Fokus auf Patriotismus, traditionelle Familienstrukturen und individuellen Erfolg könnte sich jedoch als schwieriger zu kontern erweisen.

Darüber hinaus würde die potenzielle Digitalisierung der US-Einflussmechanismen durch die Steigerung der Effizienz von Initiativen wie USAID deren Reichweite vergrößern. Automatisierte Plattformen und Datenanalysen könnten den Ressourceneinsatz effektiver gestalten und die amerikanische "Soft Power" noch wirkungsvoller machen.

Moskau sollte nicht nachlassen. Die veralteten Propagandamodelle der 1990er- und frühen 2000er-Jahre eignen sich nicht für die aktuellen Realitäten. Stattdessen muss Russland wettbewerbsfähige kulturelle Narrative entwickeln und moderne "Soft-Power"-Instrumente beherrschen, um dieser sich entwickelnden Bedrohung zu begegnen.

Das Konzept der Trumpisten, den "American Dream" wiederzubeleben, ist nicht nur eine inneramerikanische Angelegenheit – es ist ein globales Narrativ, das die Wahrnehmung Amerikas verändern könnte. Für Russland und andere Staaten, die mit der Weltordnung nach dem Kalten Krieg unzufrieden sind, wird die Herausforderung darin bestehen, sich schnell und effektiv an diese neue Ära des geopolitischen Wettbewerbs anzupassen.

Es steht viel auf dem Spiel. Ein neues Kapitel in der Weltpolitik wird aufgeschlagen, und der Erfolg wird von der Fähigkeit der Länder abhängen, sich in dieser komplexen und sich rasch verändernden politischen Landschaft zurechtzufinden.

Übersetzt aus dem Englischen.

Fjodor Lukjanow ist Chefredakteur von "Russia in Global Affairs", Vorsitzender des Präsidiums des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik und Forschungsdirektor des Internationalen Diskussionsklubs "Waldai".

 

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