Meinung

"Europa der Verteidigung": EU will mehr Militär und die Waffenproduktion erhöhen

Angesichts der Bedrohung durch Russland, die beständig an die Wand gemalt wird, und Forderungen von jenseits des Atlantiks sind vor allem Deutschland, Frankreich, Polen und die baltischen Staaten bestrebt, die Ausgaben fürs Militär zu erhöhen. Zudem sollen europaweit mehr Waffen produziert werden.
"Europa der Verteidigung": EU will mehr Militär und die Waffenproduktion erhöhenQuelle: www.globallookpress.com © Ansgar Haase/dpa

Von Pierre Lévy

Das "Europa der Verteidigung" ist ein alter Dauerbrenner. Die Anfänge lassen sich sogar bis ins Jahr 1954 zurückverfolgen, als versucht wurde, eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) zu gründen. Das Projekt wurde damals glücklicherweise vom französischen Parlament torpediert, wo kommunistische und gaullistische Abgeordnete (sowie einige andere) ihre Stimmen vereinten, um diese von Washington im Kontext des Kalten Krieges abgesegnete Initiative zu verhindern.

Es dauerte drei Jahrzehnte, bis die europäischen Führer versuchten, das Tabu wieder aufzuheben. Seit den 1990er Jahren wurden verschiedene Projekte entworfen – wie die multinationalen "Battle Groups" (Anfang der 2000er Jahre) –, die jedoch aufgrund des fehlenden politischen Konsenses unter den Mitgliedstaaten nie verwirklicht wurden.

Eigentlich haben sich die meisten europäischen Politiker davon überzeugt, dass eine einheitliche integrierte Armee völlig unerreichbar ist. Stattdessen versuchen sie, die strategischen Kulturen (die von Land zu Land völlig unterschiedlich sind) einander anzunähern und vor allem die Konvergenz der nationalen Rüstungsindustrien zu betonen, insbesondere durch die gemeinschaftliche Finanzierung gemeinsamer Beschaffungen. Ein immer wieder vorgebrachtes Argument ist die Vielfalt und Inkompatibilität des Materials und damit das Fehlen von Mengenvorteilen, unter denen die Waffen- und Materialproduktion auf dem Alten Kontinent leiden würde.

Zwei Ereignisse der jüngsten Zeit haben jedoch zu der Hektik und dem Gefühl der Dringlichkeit beigetragen, die nun von den Befürwortern der europäischen Integration hervorgehoben werden: der Krieg in der Ukraine und die Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus.

Der Krieg hat die atlantistischen Regierungen beflügelt. In Polen, den baltischen Staaten oder den nordischen Ländern wiederholen die führenden Politiker immer wieder: Wir hatten recht, als wir vor der Aggressivität Russlands warnten, diese muss in der Ukraine gestoppt werden, sonst wird sie sich auf die nächsten Nachbarn ausdehnen. Da sie diese "Gefahr" immer wieder anprangerten, glaubten einige schließlich an ihre eigene Propaganda und überzeugten viele ihrer Kollegen davon.

Als Emmanuel Macron am 20. Januar vor einer Gruppe französischer Militärs sprach, sagte er:

"Die Frontlinie rückt näher."

Daher müssten nicht nur die Waffen- und Munitionslieferungen an Kiew fortgesetzt, sondern auch die Mittel für die Armeen der einzelnen Mitgliedstaaten spektakulär erhöht werden. In Frankreich sieht das vor achtzehn Monaten verabschiedete Gesetz zur Militärplanung bis 2030 eine Erhöhung der Ausgaben um mehr als 3 Milliarden Euro pro Jahr vor. Der Herrscher des Élysée-Palastes lässt nun verlauten, dass der ursprünglich vorgesehene Rahmen von 400 Milliarden Euro für sechs Jahre bereits zu knapp bemessen sei.

Diese Ansicht teilt auch die Präsidentin der Europäischen Kommission und natürlich die NATO. Das gilt umso mehr, als der Druck Donald Trumps auf seine Verbündeten hinzukommt. Dieser Druck war bereits während seiner ersten Amtszeit (2017–2021) stark gewesen. Er führte in Wirklichkeit die ständige Bereitschaft Washingtons fort, einen Teil der finanziellen "Last" auf die Europäer abzuwälzen, die vor ihm bereits von Barack Obama geäußert und später von Joseph Biden weitergeführt wurde. Die Forderung lautete damals, dass jeder der Alliierten mindestens 2 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Militärausgaben aufwenden sollte.

Die meisten haben dieses Ziel erreicht: 2024 war das beispielsweise der Fall für Frankreich, Deutschland und die Niederlande (jeweils 2,1 Prozent). Die baltischen Staaten gaben mindestens 3 Prozent und Polen 4,1 Prozent dafür aus. Der polnische Premierminister Donald Tusk, der die halbjährliche polnische Präsidentschaft des Europäischen Rates mit den Worten einleitete: "Wenn Europa überleben will, muss es sich bewaffnen", forderte seine Amtskollegen auf, die Anstrengungen fortzusetzen – Warschau strebt in diesem Jahr 4,7 Prozent an.

Herr Tusk machte sich damit zum eifrigsten Vermittler der Trumpschen Forderungen: In Washington wird nun von einer Forderung von 5 Prozent gesprochen. Im Wahlkampf hatte der jetzige US-Präsident den widerspenstigen Ländern sogar gedroht, sie fallen zu lassen, wenn sie "ihre Rechnungen nicht bezahlen."

In Wirklichkeit besteht das kaum verhüllte Ziel darin, europäische Aufträge für US-Firmen zu erhalten. Um dies zu erreichen, lässt Donald Trump Zweifel daran aufkommen, dass die USA die Unterstützung für Kiew weiterhin finanzieren werden. Dies veranlasst einige europäische Politiker, darüber nachzudenken, die Washingtoner Finanzierung durch eine eigene zu ersetzen – eine Perspektive, die finanziell unrealistisch erscheint.

Zwischen 2022 und Mitte 2024 gaben die USA für diese Unterstützung (militärisch, wirtschaftlich, humanitär) 84,7 Milliarden Euro aus; die EU als solche 43,8 Milliarden; Deutschland 15,1; Großbritannien 13,7; Frankreich 4,6 (Zahlen vom Kieler Institut, die von Paris bestritten werden). Allein in militärischer Hinsicht stehen die europäischen Führer jetzt also vor einer dreifachen Herausforderung: Sie wollen die Lieferungen an die Ukraine fortsetzen; ihre eigenen Munitions- und Materialbestände, die durch frühere Lieferungen weitgehend geleert wurden, erneuern; und eigene Kapazitäten aufstocken.

Andrius Kubilius, der EU-Verteidigungskommissar – ein neu geschaffener Posten – bereitet für März ein "Weißbuch" vor, das darüber hinaus sehr kostspielige Projekte enthält: einen Luftabwehr-"Schild", einen europäischen "Schild" für Cybersicherheit, einen "Schild" zur Verteidigung der Nordostfront, Investitionen in die militärische Mobilität sowie einen "Schild" für den Weltraum. Seine Kollegin Kaja Kallas, Leiterin der EU-Außenpolitik, meinte ihrerseits:

"Präsident Donald Trump hat recht, wenn er sagt, dass wir nicht genug ausgeben."

Ersterer ist Litauer, Letztere Estin …

Doch jenseits von Absichtserklärungen und Überbietungen treten zwei Widersprüche zutage. Der erste betrifft das Europäische Programm für die Verteidigungsindustrie (EDIP), mit dem festgelegt werden soll, wie die Mitgliedstaaten gemeinsam Waffen produzieren könnten. Es wurde Anfang 2024 von der Kommission vorgelegt, aber noch immer nicht verabschiedet.

Denn bislang stockt es. Vor allem Paris besteht darauf, dass der Großteil der europäischen Aufträge an europäische Lieferanten vergeben werden müsse. Doch andere Hauptstädte plädieren im Namen der Dringlichkeit für mehr Flexibilität, um von Drittländern – allen voran den USA – kaufen zu dürfen. So produziert Warschau unter südkoreanischer Lizenz bestimmte Granaten und unter US-amerikanischer Lizenz Patriot-Systeme (Flugabwehr), was auch für Deutschland gilt. Auf keinen Fall werde man das finanzieren, behauptet der französische Minister …

Der andere Widerspruch ist offensichtlich: Wie kann man bei der eigenen Bevölkerung schwindelerregend steigende Militärausgaben – in Brüssel spricht man von 500 Milliarden Euro über zehn Jahre – durchsetzen, wenn die nationalen Haushalte besonders unter Druck stehen und Sparsamkeit mehr denn je angesagt ist?

Die europäischen Führer versuchen, dafür Wege zu finden. Eine neue "große gemeinschaftliche Anleihe" wie die, die 2020 angesichts des COVID gezeichnet wurde? Ein Konsens ist unwahrscheinlich, vor allem angesichts des Widerstands Deutschlands. Eine Ausweitung der Kredite, die die Europäische Investitionsbank (EIB) vergeben könnte, auf militärische Produktionen? Diese Möglichkeit wird geprüft, würde aber nicht ausreichen. Eingefrorene russische Vermögenswerte (und nicht nur deren Zinsen) nutzen? Das wäre rechtlich schwierig und würde daher die EU bei globalen Investoren unglaubwürdig machen.

Der informelle Gipfel, bei dem die Staats- und Regierungschefs der EU am 3. Februar zusammenkamen, sollte Hinweise und Antworten liefern. Es wurde jedoch kein Konsens erzielt, abgesehen von der Erwähnung einer bereits alten Idee: einen Weg zu finden, um die Militärausgaben teilweise von der Berechnung der öffentlichen Defizite auszuschließen.

Es bleiben also die nationalen Haushalte. Diesen Weg hat der NATO-Generalsekretär gefördert (oder sogar implizit gefordert). Mark Rutte – bis letztes Jahr Regierungschef der Niederlande – erklärte:

"Mehr für die Verteidigung auszugeben bedeutet, weniger für andere Prioritäten auszugeben."

Und weiter:

"Im Durchschnitt geben die europäischen Länder bis zu einem Viertel ihres Nationaleinkommens für Renten, Gesundheit und soziale Sicherungssysteme aus, und wir brauchen nur einen kleinen Bruchteil dieses Geldes, um die Verteidigung zu stärken."

Dies veranlasste die Fachwebseite Euractiv zu der Schlagzeile: "Weniger Geld für Gesundheit, mehr für Verteidigung, fordert NATO-Generalsekretär." Das ist zumindest klar.

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