Meinung

Wie Hessens Innenminister unliebsame Palästina-Aktivisten politisch verfolgt

Online-Pranger, Lügen, Repression: Glaubt man dem hessischen Innenministerium, hat dieses gerade eine gefährliche "linksextreme Judenhasser-Kampfgruppe" ausgehoben. Einer Überprüfung halten die öffentlich propagierten Beschuldigungen aber nicht stand. Im Gegenteil: Sie entpuppen sich als konstruiert oder erfunden.
Wie Hessens Innenminister unliebsame Palästina-Aktivisten politisch verfolgtQuelle: www.globallookpress.com © Lando Hass/dpa

Von Susan Bonath

Die "Staatsräson" zeigt Wirkung. Wer öffentlich für die Rechte von Palästinensern und gegen die militärische Unterstützung des Besatzer-Staates Israel eintritt, muss in Deutschland zunehmend damit rechnen, politisch verfolgt und privat wie öffentlich schikaniert zu werden. Anders kann man das rabiate Vorgehen der hessischen Behörden gegen den im November 2024 aufgelösten Verein "Palästina e.V." kaum bewerten.

In dieser Woche mussten neun ehemalige Mitglieder desselben Hausdurchsuchungen über sich ergehen lassen. Moralisierend und schwammig reiht das Landesinnenministerium in einer Pressemitteilung, einem Online-Pranger gleich, ersichtlich konstruierte, teils offenbar frei erfundene Antisemitismus-Vorwürfe gegen sie aneinander. Die dürftige Begründung besteht großteils in Verweisen auf Aussagen in der Vereinssatzung. Die aber wurden sämtlich aus dem Zusammenhang gerissen und offensichtlich bewusst falsch interpretiert.

Konstruierte Vorwürfe

Bereits in der Überschrift seiner Mitteilung stellt das Ministerium die Tatsachenbehauptung auf, die Durchsuchungen hätten (insgesamt 73) Polizeibeamte wegen "Antisemitismus" durchgeführt. Im Text fabuliert es zunächst von einem "Verdacht, dass der Verein gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie gegen den Gedanken der Völkerverständigung verstößt."

Konkretes erfährt der Leser auch im zweiten Teil der Mitteilung nicht: Das Ministerium setze hiermit "ein klares Zeichen gegen Antisemitismus", heißt es in der Zwischenüberschrift. Dann reiht es fragwürdige Beschuldigungen aneinander: Seit seiner Gründung Anfang 2022 verfolge der Verein "israelfeindliche Ziele" und verbreite "antisemitische Propaganda", dies insbesondere seit dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023. Was genau die Politik hier als "antisemitische Propaganda" einstuft, bleibt offen.

Keinerlei Belege

Der hessische Innenminister Roman Poseck (CDU) geht noch weiter. Zitiert wird er unter anderem mit der Behauptung:

"In vielen Fällen verbirgt sich hinter der Solidarität mit Palästina tatsächlich Judenhass."

Belege dafür trägt auch er nicht vor, sondern nur weitere Behauptungen: Angeblich sei der Verein mit "Unterstützungsparolen" für die Hamas aufgefallen, welche ein "antisemitisches und menschenverachtendes Weltbild" zeigten. Und: Den von ihm unterstellten "tatsächlichen Judenhass" werde seine Behörde "mit allen rechtsstaatlichen Mitteln bekämpfen" und dem "ein klares Stoppschild setzen."

Ohne auch nur irgendeinen Sachverhalt näher zu erläutern, ätzt Poseck weiter: Es beschäme ihn "zutiefst, dass Jüdinnen und Juden in unserem Land bedroht werden und sich nicht mehr sicher fühlen." Ob jemals eine Bedrohung durch ein Vereinsmitglied ausging, bleibt unklar. Und natürlich: Der Verweis auf die Shoa und "unsere historische Verantwortung", die es der "gesamten Gesellschaft" gebiete, "jeder Form des Antisemitismus beherzt und kompromisslos entgegenzutreten" und sich "die konsequente Bekämpfung von Verfassungsfeinden" zur "Daueraufgabe" zu machen, durfte nicht fehlen.

Antikommunistischer Verschwörungswahn

Es geht demnach gegen "Verfassungsfeinde", böse Menschen also, die der Staat zu Recht verfolge. Poseck "untermauert" das mit einer "Studie" des hessischen Verfassungsschutzes unter dem Titel "Antisemitismus als Querschnittsphänomen im hessischen Protestgeschehen nach dem 7. Oktober 2023". Diese habe ergeben, dass "gut ein Drittel aller pro-palästinensischen Kundgebungen" in Hessen in den ersten dreieinhalb Monaten nach dem Hamas-Angriff "extremistisch beeinflusst" sei.

Hier wird es dann doch interessant, denn keineswegs folgt nun, was mancher wohl erwartet hätte. Denn der behauptete "Extremismus" sei nicht etwa "islamistisch", sondern "dem linksextremistischen Arm des Antisemitismus" zuzuordnen. Das klingt nicht nur nach einer echten Fake-Verschwörungstheorie über eine wie immer geartete "linke judenhassende Kampfgruppe". Man kann diese Behauptung des Ministeriums getrost als Wahnvorstellung ultrarechter, antikommunistischer Hardliner verorten – die allerdings seit Jahren immer mal wieder pseudowissenschaftlich konnotiert (vielleicht als eine Art der Selbst-Reinwaschung?) in der einen oder anderen Form durch diverse Medien getrieben wird.

Tatsachen widerlegen Vorwürfe

Lediglich einige der im letzten kurzen Absatz der ministerialen Pressemitteilung zumindest etwas konkretisierten Behauptungen eignen sich zum Abgleich mit originalen Aussagen. Richtig zitiert die Behörde, der Verein formuliere ein Ziel der "Befreiung des gesamten historischen Palästinas von einer zionistischen Besatzung vom Jordanfluss bis zum Mittelmeer". Das stimmt zwar, doch ihre Schlussfolgerung, der Verein spreche damit Israel das "Existenzrecht" ab, negiert weitere gegenteilige Aussagen des Vereins komplett.

So schreibt er unter dem Punkt "Unsere Prinzipien", woher das vom Ministerium herausgepickte Zitat stammt, in einem der nächsten Absätze:

"Palästina-Solidarität und der Kampf gegen Antisemitismus schließen einander nicht aus, sie müssen zusammen gedacht und geführt werden."

Allerdings stellt der Verein klar, dass Antisemitismus für ihn die Feindschaft gegen das Judentum bedeute. Antisemitismus in dieser Form dulde man genauso wenig wie andere Formen von Rassismus.

Jüdische Stimme sieht "Angriff auf Grundrechte"

Der linksgerichtete jüdisch-deutsche Verein "Jüdische Stimme" stellte sich übrigens hinter die politisch Verfolgten. Auf der Plattform X kritisierten die großteils aus Israel nach Deutschland (zurück) eingewanderten jüdischen Aktivisten das Vorgehen der hessischen Behörden als "jüngsten Angriff auf die Grundrechte in Frankfurt". Zudem machten sie darauf aufmerksam, dass der Spruch "From the river to the sea" (vom Fluss bis zum Meer) in Frankfurt per Gerichtsbeschluss als nicht per se antisemitisch eingestuft worden sei, was das Ministerium ignoriere.

Das alles widerspricht der Darstellung des hessischen Innenministeriums diametral. Man könnte es auch so ausdrücken: Die Behörde lügt, vor allem durch Weglassung – und pickt sich dann einen weiteren Punkt heraus: Der Verein erkläre sich "mit allen Formen des palästinensischen Widerstandes solidarisch".

Auch das steht tatsächlich in der Satzung. Jedoch heißt es weiter:

"Wir stehen damit konsequent gegen Apartheid, Siedlerkolonialismus und Landraub im seit 1948 besetzten Palästina."

Diese Vorwürfe gegen Israel erheben inzwischen nicht nur viele Juristen, sondern auch die Vereinten Nationen und der Internationale Gerichtshof. Letzterer stellte in einem Gutachten vom vergangenen Sommer nicht zum ersten Mal fest, dass die gesamte Besatzung gegen das Völkerrecht und fundamentale Menschenrechte, darunter den Schutz vor Apartheid, verstoße. Nach internationalem Recht dürfen derart unterdrückte Bevölkerungen sich auch dagegen wehren – sogar mit militärischen Mitteln. Nur Gewalt gegen Zivilisten ist demnach nicht erlaubt. Das aber stellt der Palästina-Verein an keiner Stelle in Abrede.

Politische Verfolgung

Mit anderen Worten: Das hessische Innenministerium unter CDU-Minister Roman Poseck lässt gegen Mitglieder eines seit über zwei Monaten (als eine Folge der staatlichen Repressionen) aufgelösten Vereins ermitteln und sie mit Razzien überziehen, ohne dass es der Öffentlichkeit auch nur einen nachprüfbaren plausiblen Beleg für seine aneinandergereihten Beschuldigungen und Vorwürfe vorlegen kann.

Stattdessen verdreht das Ministerium in seiner Erklärung gezielt Aussagen der Verfolgten, lässt wichtige Teile derselben weg und konstruiert dann Beschuldigungen, denen tatsächliche Äußerungen ganz offenkundig widersprechen. Von zu schützenden Persönlichkeitsrechten, etwa vor öffentlicher Verleumdung, hält man in den Frankfurter Amtsstuben ersichtlich auch nicht besonders viel.

Man sollte es einfach als das bezeichnen, was es ist: politische Verfolgung. Und die kann am Ende jeden Bundesbürger treffen, der öffentlich eine unerwünschte Meinung äußert.

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