Syrien: Die Chance der Minderheiten auf Teilhabe ist vorbei
Von Gert Ewen Ungar
Die Regierung von Baschar al-Assad ist zusammengebrochen. Unterstützung hatte er zuletzt keine mehr, macht einerseits der schnelle Zusammenbruch des Widerstands gegen den Vormarsch der Islamisten deutlich. Auch die Bilder aus Syrien nach seinem Fall lassen kaum einen anderen Schluss zu, als den, dass die Zeit Assads abgelaufen war. Die Gründe dafür sind vielfältig. Einer davon ist, dass aufgrund der westlichen Sanktionen 67 Prozent der Syrer in Armut leben. Das Ziel des Westens, über künstlich herbeigeführten Mangel einen Umsturz zu erzwingen, wurde erreicht.
Assad ist weg. Ein großer Wunsch westlicher Politik ging in Erfüllung. Doch was kommt jetzt? Dafür gibt es offensichtlich keinen Plan außer ein bisschen im Voraus abgesprochenen Text, den westliche Politiker weitgehend gleichlautend in die sozialen Netzwerke raushauen. Stellvertretend sei hier die Nachricht von Bundeskanzler Olaf Scholz bei dem Kurznachrichtendienst X zitiert.
Das Ende der Assad-Herrschaft über Syrien ist eine gute Nachricht. Jetzt kommt es darauf an, dass in Syrien schnell Recht und Ordnung wieder hergestellt werden. Alle Religionsgemeinschaften, alle Minderheiten müssen jetzt und in Zukunft Schutz genießen.
— Bundeskanzler Olaf Scholz (@Bundeskanzler) December 8, 2024
Man kann sich damit begnügen, denn die Wortmeldungen anderer deutscher und westlicher Politiker sind bis in die Wortwahl identisch. Alle sind glücklich, dass Assad weg ist. Jetzt muss eine Regierung her, die die Rechte von Minderheiten wahrt.
Wie bitte? Derjenige, der das Zusammenleben der unterschiedlichen gesellschaftlichen und religiösen Gruppen in Syrien über Jahrzehnte gewährleistet hat, wurde gerade weggeputscht. Nach dem Sturz Assads soll jetzt eine Regierung eingesetzt werden, die sich für den gesellschaftlichen Ausgleich starkmacht. Das muss ein schlechter Witz sein.
Noch schlechter ist der Witz, dass sich westliche Politiker mit diesem Anliegen nun ausgerechnet an eine Nachfolgeorganisation des Islamischen Staats wenden. Das islamistische Bündnis HTS wird international als Terrororganisation geführt. In Syrien haben sich gerade die Islamisten an die Macht geschossen.
Vielleicht sagt das jemand Scholz, Baerbock und Co.? Islamisten und der Islamische Staat sind nicht für ihr Engagement beim Minderheitenschutz bekannt. Islamisten heißen so, weil sie im Islam eine Überlegenheit gegenüber allen anderen Weltanschauungen erkennen, die es radikal durchzusetzen gilt – gern auch mit roher Gewalt.
Was deutsche und westliche Politiker fordern ist entweder völlig naiv oder durchtrieben zynisch. Wie auch immer man sich entscheidet, für den weiteren Fortgang und für Syrien verheißt es nichts Gutes.
Die Hoffnungen auf einen friedlichen Übergang werden sich aber auch noch aus anderen Gründen zerschlagen. Die Türkei wird keine Regierung zulassen, in der die Interessen der Minderheit der Kurden vertreten werden. Die Türkei hält nach wie vor Gebiete im Norden besetzt. Ihr Motiv ist, die Entstehung eines Kurdenstaates zu verhindern.
Israel weitet unterdessen seine Besatzung aus. Vorgeblich, um eine "Pufferzone" zu schaffen, annektiert Israel weiteres syrisches Territorium. Der jüdische Staat verfolgt das Projekt, ein Großisrael durch Landnahme zu verwirklichen. Das Land hat imperialistische Ambitionen auf Kosten seiner Nachbarn.
In einem an politischer Naivität kaum zu toppenden Statement fordert der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter in einem Interview mit der Welt, die arabischen Staaten müssten nun dafür sorgen, dass kein Islamischer Staat in Syrien entstehe und die Rechte von Minderheiten respektiert würden. Sie müssten zudem gewährleisten, dass der Staat nicht aufgeteilt werde. Beides aber wird absehbar passieren. Der Westen hat mit seinem Streben nach einem Sturz Assads dafür die besten Voraussetzungen geschaffen.
Der Westen und mit ihm deutsche Politik haben ihr Ziel erreicht. Assad ist weg. Und wie im Kater, nachdem der Rausch einer durchzechten Nacht ausgeklungen ist, wird plötzlich die Realität sichtbar. Für das Danach gibt es keinen Plan, schlimmer noch, es gibt noch nicht einmal im Ansatz ernstzunehmende Überlegungen.
Für Syrien und die Syrer ist das keine gute Nachricht. Das Land wird zerfallen. Wer von ihnen die Hoffnung hat, dass jetzt die Sanktionen aufgehoben werden, wird sich getäuscht sehen. Dieses Druckmittel wird der Westen so schnell nicht aus der Hand legen. Es gibt vielleicht ein paar Lockerungen, die bei nächster Gelegenheit wieder verschärft werden, mehr aber nicht. Das Land bleibt unter der westlichen Knute. Syrien wird weiter sanktioniert, unter anderem mit dem hochmoralischen Ziel, die Rechte von Minderheiten zu schützen. Der Westen und steht schließlich für Werte.
Auch diejenigen, die glauben, die syrischen Flüchtlinge würden jetzt aus Deutschland massenhaft in ihre Heimat zurückkehren, werden enttäuscht werden. Nach zehn Jahren Krieg und Sanktionen ist da nicht viel zum Zurückkehren. In Syrien gibt es keine Perspektive. Die Situation ist zudem, dass die neuen Machthaber damit beschäftigt sein werden, ihre Kräfte im Ringen um die Macht zu messen.
Über den internen Machtkampf wird der Aufbau des Landes auf die lange Bank geschoben. Es fehlt zudem an Expertise. Statt mit massenhaften Rückkehrern ist daher eher mit einem neuen Flüchtlingsstrom zu rechnen. Russische Medien sprechen von bis zu 1,5 Millionen Menschen, die sich auf den Weg machen werden.
Der Westen hinterlässt in Syrien das gleiche Chaos, das er im Irak, in Libyen und in Afghanistan hinterlassen hat. Es gibt lediglich eine Chance für Syrien, und die liegt nicht im Westen.
Die neuen Machthaber haben Sicherheit für die russischen Militärbasen und die russische Botschaft garantiert. Es ist zu hoffen, dass man dort klar sieht, dass die Impulse für ein Wiederaufblühen des Landes nicht aus dem Westen, sondern aus dem Globalen Süden, aus Russland, aus China und der Kooperation mit den BRICS kommen wird.
Russland hat zu den Taliban in Afghanistan ein pragmatisches Verhältnis aufgebaut. Auch zu den neuen syrischen Machthabern wird das Verhältnis von Pragmatismus geprägt sein. Russland sichert Kooperation zu.
Von diesem Pragmatismus ist westliche und insbesondere deutsche Politik himmelweit entfernt. Dort schwächelt man schon in der Analyse, an Lösungen hat man daher nichts zu bieten, man macht in moralischer Hybris. Mehr hat Deutschland gerade nicht zu bieten.
In Syrien werden auf absehbare Zeit die Minderheitenrechte nicht geachtet. Die Realitäten müssen anerkannt werden. Die Realitäten sind: Der "Diktator" ist weg, die Islamisten sind an der Macht, das Land wird zwischen den Interessen im Innern und denen seiner Nachbarn aufgerieben. Besser wird es erstmal nicht. Im Gegenteil. Mit der Realität tut man sich im Westen allerdings schwer und in Berlin nochmal in besonderer Weise. Für Syrien und die Syrer ist das eine schlechte Nachricht.
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