Meinung

Assad ist Geschichte – Syrien steht vor einer ungewissen Zukunft

Die Herrschaft von Baschar al-Assad ist mit dem rasanten Fall von Damaskus zu Ende, er selbst möglicherweise tot. Die Aussichten für Syrien sind ungewiss und beunruhigend, schreibt Tatjana Montjan. Besondere Sorgen muss man sich um russische Staatsbürger machen, die das Land derzeit nicht verlassen können.
Assad ist Geschichte – Syrien steht vor einer ungewissen ZukunftQuelle: www.globallookpress.com © Bodo Marks / dpa

Von Tatjana Montjan

Die Herrschaft Baschar al-Assads ist Vergangenheit: Damaskus ist von Islamisten besetzt, Assad selbst könnte beim Absturz des Flugzeugs, mit dem er das Land verlassen wollte, getötet worden sein. Hier liegt alles im Dunkeln, aber zur Stunde gibt es kein öffentliches Lebenszeichen von ihm.

Der syrische Ministerpräsident Mohammad Ghasi al-Dschalali kooperiert Berichten zufolge mit den islamistischen Führern, um die Ordnung im Land aufrechtzuerhalten: Ein Video zeigt den Ministerpräsidenten, wie er zu Gesprächen geführt wird.

Die Lage in Damaskus ist natürlich nicht gerade ruhig: Die Straßen sind voller bewaffneter Menschen, irgendwo parken gepanzerte Fahrzeuge, und es sind Schüsse zu hören. Es handelt sich allerdings vor allem um Schüsse in die Luft – die Sieger jubeln.

Es sind übrigens nicht nur Anhänger der Islamisten, die jubeln: Selbst meine syrischen Freunde, vor kurzem überzeugte Assad-Anhänger, geben zu, dass die Lage in Syrien unter ihm in den letzten Jahren endgültig in eine Sackgasse geraten ist. Die Korruption hat selbst für syrische Verhältnisse ungeahnte Ausmaße angenommen, und die Regierung hat nicht einmal versucht, etwas dagegen zu unternehmen.

Einfach ausgedrückt: Das Assad-Regime hat den Rückhalt in der Bevölkerung mehr oder weniger vollständig verloren, und in dieser Situation ist es leicht zu verstehen, warum sein Sturz so blitzschnell vonstattenging: Von den ersten Angriffen der Terrororganisation Haiat Tahrir asch-Scham in Nordsyrien bis zum Sturz und möglicherweise Tod von Assad sind weniger als zwei Wochen vergangen.

Wie es in Syrien weitergeht, bleibt offen. 

Noch verhalten sich die Islamisten, die Assad besiegt haben, so loyal wie möglich gegenüber der lokalen Bevölkerung und sogar gegenüber Vertretern der alten Regierung. Polizeibeamte in Aleppo zum Beispiel wurden einfach aufgefordert, ihre Uniform zu wechseln und weiterzuarbeiten. Es ist jedoch schwer zu glauben, dass ehemalige Mitglieder von Al-Qaida und ISIS über Nacht Kreide gefressen haben.

Andererseits wird wohl niemand zulassen, dass Haiat Tahrir asch-Scham in Syrien uneingeschränkt herrschen kann: Höchstwahrscheinlich werden die interessierten Parteien versuchen, eine Koalitionsregierung zu bilden, die die Interessen der verschiedenen Gruppen berücksichtigt, und wenn dies scheitert (was sehr wahrscheinlich ist), könnte Syrien entweder in Einflusszonen (türkisch, amerikanisch, kurdisch, russisch und sogar israelisch) oder in nicht unabhängige Staaten aufgeteilt werden.

Heute sind die Aussichten vage und beunruhigend. Beunruhigend vor allem für unsere in Syrien lebenden Landsleute. Im Moment, ich wiederhole es, rührt sie niemand an, aber wer weiß, was als Nächstes passiert, wenn die neuen Herren des Landes allmählich auf den Geschmack des Herrschens kommen? Geplündert wird jedenfalls bereits.

Im Moment ist es unmöglich, Syrien zu verlassen: Die Grenzen sind geschlossen, der Flughafen in Damaskus funktioniert nicht mehr. Man verspricht, dass die Schließung nur ein paar Tage dauern wird, aber wer weiß das schon?

Tatjana Montjan ist eine ukrainische Rechtsanwältin und Strafverteidigerin, Publizistin und Bloggerin. Vor Beginn der russischen militärischen Intervention musste sie Kiew verlassen, nachdem sie vor der UNO über die Zustände in der Ukraine gesprochen hatte. Derzeit lebt sie im Donbass, engagiert sich für humanitäre Hilfe und führt Videoblogs. Man kann ihr auf ihrem Telegram-Kanal folgen.

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