Die freundliche Seite der Oreschnik: Das Ende der Atomwaffen?
Von Dagmar Henn
Ja, eingeleitet wurde diese Entwicklung schon durch kleinere Hyperschallraketen wie die Kinschal. Aber selbst wenn man sieht, was sich im Verlauf der letzten Jahre in diesem Bereich getan hat – die Geschwindigkeit der Oreschnik liegt zwischen Mach 10 und Mach 11, bei etwa drei Kilometern pro Sekunde. Und diese Geschwindigkeit ist sicher noch nicht das Ende der Entwicklung.
Was definitiv zwei Seiten hat. Die eine: Es gibt neue Waffen, die gewaltiges Zerstörungspotential haben. Die andere: Sie könnten dafür sorgen, dass das gelingt, was in Jahrzehnten der Abrüstungsverhandlungen nicht erreicht wurde, ein Ende der Atomwaffen. Schlicht, weil sie veraltet sind.
Der Grund, warum Atomwaffen entwickelt wurden, ist ein einfacher. Mit Sprengstoffen lässt sich nur eine begrenzte Wirkung pro Kilogramm eingesetzter Masse erreichen. Zur Zeit des Zweiten Weltkriegs war Raketentechnologie noch neu und wenig entwickelt, und Bomben, die aus Flugzeugen fallen, wirken vor allem durch den enthaltenen Sprengstoff, nicht durch die kinetische Energie ihres Falls. Auch bei den Raketen ging es damals erst einmal darum, dass sie überhaupt fliegen, nicht darum, dass sie besonders schnell fliegen. Es scheint, als gebe es für eine chemische Explosion eine harte physikalische Grenze – derzeit ist der wirkungsvollste Sprengstoff eine indische Neuentwicklung mit der doppelten Wirkung des jahrzehntealten TNT.
Die Kernspaltung bot die technische Lösung, mit einer geringen Masse eine große Sprengwirkung zu erzielen. Die Wirkung von Atomraketen wird in Kilotonnen oder Megatonnen TNT angegeben, während das Gewicht des eigentlichen Sprengkopfes in der Regel weniger als eine Tonne beträgt. Die kritische Masse, also die Menge, in der spaltbares Material vorliegen muss, damit eine Kettenreaktion in Gang gesetzt wird, beträgt bei Uran 235 mindestens 17,2, bei Plutonium 237 nur 1,62 Kilogramm.
Allerdings haben Atomwaffen, wie jeder weiß, neben ihrer gewaltigen Sprengkraft auch einen gewaltigen Nachteil. Ihre Explosion hat durch die entstehende Strahlung und das durch sie verteilte strahlende Material langfristige Folgen. Zugegeben, auch konventionelle Sprengstoffe haben Nebenwirkungen, zum einen durch das Material, das sie umkleidet (wie abgereichertes Uran), zum anderen durch den chemischen Prozess, in dem sie erzeugt werden – die Grundstücke alter Sprengstofffabriken sind in der Regel chemisch sehr verseucht. Aber verglichen mit den Wirkungen der Atomexplosionen von Hiroshima und Nagasaki sind sie gering.
Hyperschallraketen sind die ersten Waffen seit der Erfindung der Atombombe, die sie hinter sich lassen könnten. Dabei sind Sprengladungen eigentlich nur noch ein "Bonus" zu dem Gewicht, das mit hoher Geschwindigkeit auftrifft und seine Bewegungsenergie an die Umgebung abgibt. Die ersten Versuche fanden bereits vor über sechzig Jahren statt, aber erst jetzt tauchen sie weit verbreitet auf. Das Problem dabei dürfte vor allem gewesen sein, den für den Aufschlag vorgesehenen Körper ausreichend vor der Reibungshitze zu schützen. Die Temperaturen, die bei diesen Geschwindigkeiten entstehen, entsprechen mindestens jenen, die beim Wiedereintritt eines Raumfahrzeugs in die Erdatmosphäre entstehen.
Das "natürliche" Vorbild, das dem Einschlag einer solchen Rakete ähnelt, ist der Einschlag eines Meteoriten. Die kleineren Meteoriten werden von der Erdatmosphäre abgebremst und haben beim Bodenkontakt nur noch eine Geschwindigkeit von 150 bis 210 Metern pro Sekunde (oder 540 bis 756 Stundenkilometern), also deutlich weniger als die einfache Schallgeschwindigkeit (1.236 km/h). 3.000 Meter in der Sekunde ist dann schon die Aufprallgeschwindigkeit eines größeren Meteoriten. Der Meteorit, der das Nördlinger Ries schuf, soll eine Geschwindigkeit zwischen 15 und 50 Kilometern pro Sekunde gehabt haben, also noch einmal mindestens fünfmal so schnell gewesen sein.
Die Wirkung des Aufpralls eines Geschosses wie der Oreschnik liegt also irgendwo dazwischen auf der Skala der kosmischen Ereignisse. Wobei eben die Energie im Quadrat zur Geschwindigkeit zunimmt, ein doppelt so schneller Aufprall also eine viermal so hohe Energie überträgt. Die am Einschlagspunkt hoch genug sein kann, um solide Materie verdampfen zu lassen.
Je nachdem, wie weit die Beschleunigung vorangetrieben werden kann, ergibt sich also durchaus im Zentrum des Kontakts ein ähnliches Ergebnis wie im Kern einer Atomexplosion. Der entscheidende Unterschied ist jedoch, dass sich nach der Explosion zwar womöglich einige interessante Gläser gebildet haben, aber keine Strahlung mehr übrig bleibt. Auch, wenn die bisher eingesetzten Versionen von Hyperschallraketen maximal die Wirkung der kleinsten Atomwaffen erreichen – sobald sie sich der Wirkung größerer nur annähern, sind Letztere obsolet.
Weil es, unter dem Gesichtspunkt, dass Krieg immer die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist und politische Ziele sich nun einmal nach dem Maß des menschlichen Lebens bemessen, keinen militärischen Sinn ergibt, ganze Gebiete über lange Zeit unbewohnbar zu machen (selbst wenn die Legende behauptet, die Römer hätten nach der Zerstörung Karthagos die Ackerböden versalzen).
Es ist dieser Punkt des größeren Nutzens, der dazu führen könnte, dass die Technologie von Hyperschallwaffen, nicht jetzt, aber womöglich in absehbarer Zukunft, die nukleare Bewaffnung dorthin befördert, wo sie schon lange sein sollte, ins Museum der Menschheitsgeschichte. Inzwischen gibt es ja sogar Reaktortypen, in denen man die Reste entsorgen kann, ohne danach radioaktiven Müll über Jahrhunderte lagern zu müssen.
Das klingt wie eine Utopie, nachdem alle politischen Versuche, den einmal der Flasche entkommenen Geist des atomaren Krieges wieder einzufangen, gescheitert sind. Aber vermutlich ist das letztlich der erfolgversprechendere Weg. Dass Atomwaffen nicht mehr interessant sind, weil es Besseres, Genaueres und Nebenwirkungsärmeres gibt. So, wie die Dampfmaschine durch elektrischen Strom abgelöst wurde. Oder der Vorderlader durch den Karabiner.
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