Scholz' und Lindners Showdown: Ein Kampf um Schulden und die Zukunft der deutschen Wirtschaft
Von Rüdiger Rauls
Waschtag
Wie so oft, wenn Beziehungen auseinandergehen, wird anschließend schmutzige Wäsche gewaschen. Was lange zurückgehalten wurde, kommt nun an die Öffentlichkeit. Da scheinen sich Führungskräfte nicht von den normalen Menschen zu unterscheiden. Olaf Scholz beklagte sich bei seiner Ankündigung über den Bruch der Koalition darüber, dass FDP-Finanzminister Lindner das Vertrauen des Kanzlers "so oft" gebrochen habe. Ob das ausschlaggebend war für Scholz' Entscheidung, muss bezweifelt werden. Denn an Waschtagen wird nicht nur schmutzige Wäsche gewaschen, man will danach selbst eine weiße Weste haben.
Der Bruch der Koalition bedeutet nicht nur deren Ende, sondern auch einen Neuanfang unter anderen Vorzeichen, auf den sich nun alle politischen Kräfte vorbereiten. Früher oder später, der Zeitpunkt ist noch nicht ausgemacht, wird Scholz die Vertrauensfrage stellen mit der Ankündigung von Neuwahlen, sollte er nicht in seinem Amt bestätigt werden.
Dass nun schmutzige Wäsche gewaschen wird, ist eine Vorbereitung auf diese Wahlen. Jede der beteiligten Parteien versucht, sich von der Schuld am Scheitern der Koalition reinzuwaschen und sich im besten Licht zu zeigen. Das klappt am besten, wenn man den anderen den schwarzen Peter zuschieben kann. Scholz beklagt den Vertrauensbruch Lindners und dieser den Erpressungsversuch durch den Kanzler.
Das aber ist die Oberfläche, auf der sich die Schuldzuweisung für die Öffentlichkeit abspielt. Darunter geht es um Wichtigeres. Denn es ist vielleicht kein Zufall, dass das Auseinanderfallen der Koalition am selben Tag stattfindet, an dem Donald Trump die Wahlen in den USA gewonnen hat. Dass die Ampel schon lange nicht mehr so richtig schaltete, ist kein Geheimnis. Sie stand öfter auf Rot als auf Grün. Aber mit Trumps Sieg war klar geworden, dass die Befürchtungen, die besonders die Europäer mit seiner Wiederwahl verbanden, nun Wirklichkeit werden könnten. Nun gilt es, sich darauf vorzubereiten und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, gesamteuropäisch, aber besonders auch in Deutschland.
Neue Nöte
An den Ursachen der deutschen und europäischen Ängste hat sich nichts geändert. Da ist die finanzielle wie militärische Unterstützung der Ukraine und die nachlassende Unterstützung bei den Völkern Europas für diesen Krieg. Da ist die Schwäche der europäischen, besonders aber der deutschen Wirtschaft, die besonders gegenüber China immer mehr an Konkurrenzfähigkeit und Innovationskraft verliert. Die Europäer befürchten, dass die Lösung all dieser Probleme unter einem Präsidenten Trump schwieriger für sie wird, denn schon jetzt droht er mit höheren Zöllen nicht nur auf chinesische, sondern auch auf europäische Produkte.
Besonders die Unterstützung der Ukraine dürfte für die Europäer teurer werden. Denn Trump hat schon angekündigt, dass die USA weniger zahlen werden und zudem erwarten, dass die Europäer die Kosten tragen. Für ihre eigene Verteidigung sollen sie mehr Geld ausgeben, am besten für Waffen aus amerikanischen Rüstungsschmieden. Wer von den USA geschützt werden will, muss mehr zahlen. Das gilt nicht nur für Europa, denn der neue Präsident hat auch Südkorea bereits damit gedroht. Trump ist eben in erster Linie Geschäftsmann und weniger Politiker.
Das größte Problem aber, vor dem die Europäer stehen, ist der Geldmangel zur Bewältigung all dieser Aufgaben und Krisen. Hier liegt auch der eigentliche Kern des Konflikts innerhalb der Ampel und besonders zwischen Scholz und Lindner. Das findet in der Erklärung des Bundeskanzlers vom 6. November zum Bruch der Koalition nur am Rande knappe Erwähnung in den Worten: "Angesichts der Herausforderungen, vor denen wir gemeinsam stehen, brauchen wir einen größeren finanziellen Spielraum" (FAZ).
Lindner hat sich am Tag danach deutlicher dazu geäußert. Natürlich kommt auch er nicht ohne Schuldzuweisungen aus. Aber über das Persönliche hinaus, das bei Scholz einen sehr breiten Raum einnahm, machte Lindner deutlich, worum es in dieser Auseinandersetzung geht. Er spricht davon, dass "unser Land einen neuen wirtschaftlichen Aufbruch benötigt … um die grundsätzliche Schwäche unseres Landes zu überwinden" (FAZ).
Beide, sowohl Scholz als auch Lindner, sind sich der schlechten Lage der deutschen Wirtschaft bewusst. Keiner von beiden aber verliert ein Wort darüber, dass sie diese Notlage selbst herbeigeführt haben durch die antirussischen Sanktionen mit ihren Preissteigerungen und die Notlage bei den Energieträgern. Wie sollte es anders sein, gibt Scholz Russland die Schuld: "Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Sicherheitslage auf Jahre tiefgreifend verändert" (FAZ). Diese Schuldzuweisungen sind jedoch für die deutsche Wirtschaft nicht hilfreich.
Wenn sich beide auch weitgehend einig sind in der Einschätzung der Lage, so verfolgen sie in der entscheidenden Frage, woher das Geld für Aufrüstung und Wirtschaftsförderung kommen soll, vollkommen verschiedene Ansätze. Scholz, seine SPD und die Grünen wollen diese Probleme über mehr Schulden lösen und dafür die Schuldenbremse des Grundgesetzes aussetzen. "Der russische Angriffskrieg" stelle für Scholz eine "außergewöhnliche Notsituation" dar, die einen "Überschreitensbeschluss" der Schuldenbremse nicht nur rechtfertige, sondern auch notwendig mache, so die FAZ.
Scholz hält die Einschränkungen der Schuldenbremse für überzogen, denn "unter allen wirtschaftsstarken Demokratien haben wir mit weitem Abstand die geringste Verschuldung" (FAZ). Diese Einschränkungen wirken sich auf den Haushalt aus, der aufgrund der wachsenden Ausgaben und vor allem der zu erwartenden geringeren Steuereinnahmen wegen der schwachen Wirtschaftslage ein Defizit von zuletzt 20 Milliarden auswies. Dabei beinhaltet er für das Jahr 2025 eine Neuverschuldung von 40 Milliarden Euro; das entspricht knapp einem Zehntel des gesamten Haushalts.
Kapitalismus in Not
Trotz neuer Schulden und trotz des Sondervermögens, das im ordentlichen Haushalt nicht erscheint, reicht das Geld nicht. Trotz all dieser widrigen Umstände hat Finanzminister Lindner sich geweigert, "die Schuldenbremse des Grundgesetzes auszusetzen" (FAZ), was Scholz nach Lindners Darstellung von ihm "ultimativ" verlangt hatte. Daraufhin hatte Scholz ihn entlassen. Hinter dem, was wie ein Streit zwischen ideologisch verblendeten und sich stur stellenden Rechthabern aussieht, steckt mehr.
Lindner drückte es so aus: "Jetzt steht unser Land vor einer neuen Richtungsentscheidung" (FAZ). Selbst Olaf Scholz scheint klar zu sein, was auf dem Spiel steht, und das ist mehr als nur der Haushalt für 2025. Denn die Frage lautet: entweder Ukrainehilfen oder Förderung der eigenen Wirtschaft. Beides scheint nicht mehr zu gehen. Denn, "die [Ukraine-] Hilfen aus dem laufenden Haushalt zu finanzieren bedeute, dass Straßen und Schulen nicht ausgebaut werden können, die Wirtschaft nicht unterstützt werden könne", so Scholz laut der FAZ.
Während Lindner noch nur von einer Richtungsentscheidung spricht, macht Scholz deutlich, was er befürchtet, wenn nicht mehr Geld zur Verfügung steht. Wenn die Ukraine weniger Geld aus Europa bekommt und noch weniger aus den USA, wird sie den Krieg gegen Russland verlieren. Andererseits sei Scholz aber auch nicht bereit, "unsere Unterstützung für die Ukraine und Investitionen in unsere Verteidigung zulasten des sozialen Zusammenhalts zu finanzieren, zulasten von Rente, Gesundheit oder Pflege", so die FAZ. Dann, so befürchte er, "zündet man das Land an".
Beide, sowohl Lindner als auch Scholz, scheinen sich des Ernstes der Lage bewusst zu sein. Es steht mehr auf dem Spiel als nur der Haushalt oder ein akademischer Streit über die Schuldenbremse. Doch warum gibt Lindner dann nicht nach, wenn auch er den Ernst der Lage zu erkennen scheint? Die Kehrseite der Verschuldung ist weitere Verschuldung und Zahlungsunfähigkeit. Dafür sind gerade die USA ein mahnendes Beispiel, die jährlich bald eine Billion Dollar Zinsen zahlen müssen. Auch wenn sich das Land aufgrund seiner Marktmacht an den Finanzmärkten ständig weiter verschulden kann, so engen die gewaltigen Zinslasten die Handlungsfähigkeit des Staates immer mehr ein.
Immer schneller und öfter muss die Schuldengrenze zwischen den politischen Kräften neu verhandelt werden. Immer öfter und schneller drohen Stillstand in der Verwaltung, Schließung von Behörden, Zahlungstopp gegenüber Staatsbediensteten und Unternehmen. Immer wieder neu droht auch eine Herabsetzung der Bonität der USA durch die Ratingagenturen. Das hat praktische Konsequenzen. Das Land muss immer höhere Zinssätze für seine Anleihen anbieten, damit die Investoren noch zugreifen. Das bedeutet aber, dass der amerikanische Staat immer abhängiger wird von den Geldgebern an die Finanzmärkten.
Wie Scholz zu Recht feststellt, weist Deutschland unter allen "wirtschaftsstarken Demokratien" die niedrigste Verschuldung aus. Das beschert Deutschland niedrige Zinssätze, wenn es an den Kapitalmärkten Geld aufnimmt. Diese machen nur fast die Hälfte dessen aus, was die USA zahlen müssen. Diese Möglichkeit, sich billig zu verschulden, will Lindner nicht aufs Spiel setzen. Es steht also die Entscheidung an, sich weiterhin zu günstigen Bedingungen Geld zu verschaffen, aber damit politisch nur noch beschränkt handlungsfähig zu sein, oder aber höhere Schulden in Kauf zu nehmen, um politisch bestimmen und Einfluss ausüben zu können.
Denn eines wird an dieser Entwicklung auch deutlich: Der Kapitalismus der sogenannten wirtschaftsstarken Demokratien ist nicht so stark, wie sich Scholz einredet. Er ist nicht mehr in der Lage, die eigenen politischen Ziele und seine gesellschaftlichen Aufgaben aus der Wirtschaftskraft seiner Unternehmen heraus zu finanzieren. Stattdessen saugen die sogenannten wirtschaftsstarken Demokratien ihre Stärke aus den Mitteln, die ihnen die Geldgeber an den Finanzmärkten zur Verfügung stellen. Damit werden die westlichen Staaten immer abhängiger von Investoren und deren Interessen. Diese wollen in der Regel mehr Zinsen, was die Kosten der Staatsführung erhöht.
Die Auseinandersetzung, die sich zwischen Lindner und Scholz abspielt, ist die um die Finanzierung der Zukunft der führenden kapitalistischen Staaten. Können sich die Staaten in Zukunft noch selbst finanzieren oder werden sie immer süchtiger nach den Infusionen der Geldgeber, machen sich immer abhängiger von diesen und dadurch immer erpressbarer? Dessen sind sich beide vielleicht nicht bewusst, aber sie scheinen es zu ahnen.
Es wird jedoch deutlich, dass die Staaten des politischen Westens unter den gegebenen finanziellen Bedingungen nicht weiter in Lage sind, entweder ihre Weltherrschaft oder die Lebensbedingungen ihrer Bürger weiter zu finanzieren. Denn auch eine Ausweitung der Verschuldung, wie sie nun von Scholz und seinen Unterstützern vermutlich durchgesetzt wird, geht nach Abzug der Zinsen zulasten der finanziellen Ausstattung des Staates. Dieses Missverhältnis wird größer, wenn es nicht gelingt, die Wirtschaft leistungsfähiger zu machen. Der westliche Kapitalismus hat offensichtlich die Grenzen seiner eigenen Finanzierbarkeit überschritten.
Rüdiger Rauls ist Reprofotograf und Buchautor. Er betreibt den Blog Politische Analyse.
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