"Jeder Hund bekommt seins"? – Eine israelische Journalistin und die Doppelmoral deutscher Medien
Von Joseph Turner
Staunen, nicht wundern, spricht der Volksmund. Aufmerksame und interessierte Bürger reiben sich seit Wochen und Monaten regelmäßig die Augen, hören mehrfach Vernommenes nach. Oft überwiegt ein Gefühl der Fassungslosigkeit. Das Thema lautet die deutsche Medienlandschaft und ihre Berichterstattung zu den Kriegen in der Ukraine und im Grenzgebiet Israel, Gaza und Libanon.
"Wozu sind Kriege da" sang ein Udo Lindenberg am 25. Oktober 1983 im Palast der Republik, im Rahmen der FDJ-Veranstaltung "Rock für den Frieden" in der Friedenshauptstadt Ost-Berlin. Der Palast, und ein ganzes Land gleich mit, wurden im Rahmen einer vermeintlichen Vereinigung auf allen erdenklichen Ebenen demontiert, so wie die Selbstverständlichkeit einer passiven "Friedensnation" Deutschland von 1945 bis 1990.
Gut 35 Jahre später, samt zwischenzeitlich verantwortlicher tödlicher Mitschuld in Jugoslawien und dauerhafter logistischer US-Unterstützung kriegerischer Massenmorde via Air-Base Ramstein, meinen nun die deutsche Außenpolitik und ihr treu zuarbeitende Medien, die Bürger "kriegsfähiger" machen zu müssen, gewinnorientierte "Kriegslust" zu erwecken. Die Notwendigkeit der Mobilisierung im Innern schmackhaft zu machen.
Dafür braucht man "Fachleute" unterschiedlichster Couleur und Eignung, die in bekannt-gefürchteten Talkformaten der Sender ARD und ZDF genau erklären, warum Krieg eigentlich immer schon Frieden bedeutete. Der vom Alltag ermüdete Bürger schaut irritiert bis verunsichert zu und nickt mehrheitlich laut themenbezogenen Umfragen die Darstellungen und Strategien des Wahnsinns ab.
So gaben rund 43 Prozent der Befragten zu Jahresbeginn an, "dass die bisherigen Sanktions-Maßnahmen gegen Russland ihnen nicht weit genug gingen." Seit August "fürchtet fast die Hälfte der Deutschen ein Übergreifen des Ukrainekriegs auf Deutschland." Bedeutet, etwas mehr als die Hälfte findet die Außenpolitik samt einer ungelernten, fahrlässigen und unfähigen Außenministerin anscheinend nicht bedenklich.
Zum Thema eines seitens Israels völlig enthemmten, barbarischen, tödlichen Feldzugs gegen die Menschen in Gaza und im Libanon, titelte das Stern-Magazin vor wenigen Tagen:
"Die Grünen sollen die Rüstungsexporte nach Israel gebremst haben. Dabei gibt es ausgerechnet unter ihren Wählern viel Unterstützung für militärische Hilfen."
Immerhin, das ARD-Info-Schlachtschiff "Tagesschau" musste Ende August darüber berichten, dass die manipulativen Absichten seitens Klamroths "Hart aber fair" und der Lanz-, Miosga-, Maischberger- und Co.-Talks nicht die gewünschten Ergebnisse bei der Wahrnehmung der Bürger bewirkten:
"Seit fast 11 Monaten herrscht Krieg in Gaza und Israel, seit fast 11 Monaten berichten Medien darüber, und seit fast 11 Monaten werden Medien für ihre Berichte immer wieder kritisiert. Eine Kritik ist dabei besonders laut: Deutsche Medien würden einseitig berichten, und zwar zugunsten Israels. Verlieren die deutschen Medien also gerade wichtiges Vertrauen?"
Was ist bloß los, mit "den Deutschen"? Fast jeder Zweite habe im Lande "wenig oder gar kein Vertrauen in die deutsche Berichterstattung zum Krieg in Nahost", zeige eine Umfrage. Bedeutet jedoch auch hier, sehr viele Menschen schließen sich dem Amoklauf der deutschen Außen- und Wirtschaftspolitik samt Berichterstattung überzeugt an.
Am 18. Oktober war dann in der Medienlandschaft von Springer-Verlag bis Spiegel-Redaktion der "Tag der Ratte". Die israelische Armee tötete nach Anordnung und Befehl ihres gnadenlosen Premiers Netanjahu den Anführer der Hamas-Miliz, Yahya Sinwar. Der Springer-Verlag lud zur Einschätzung des brisanten Ereignisses die deutsch-israelische Journalistin Antonia Yamin ins Welt-Fernsehstudio ein. Der YouTube-Text erklärte den Zuschauern:
"Yamin betont, dass es sich um keine geplante Eliminierung handelte, sondern um einen Zufallserfolg. Israels Bevölkerung reagierte mit Erleichterung auf die Nachricht (...)"
So weit, so unspektakulär die Einschätzung der jungen Frau Jahrgang 1988, die laut Wikipedia-Eintrag "während ihres Militärdienstes zum Judentum konvertierte". Ihr Handwerk lernte sie demnach in Israel, wechselte dann im Februar 2022 zur Bild-Zeitung. Ein Kress-Artikel ergänzt:
"Sie kommt vom israelischen Sender KAN TV, bei dem sie Chefkorrespondentin für Europa [in Berlin] der KAN-Nachrichten ist."
Dem Sender also, dem ihr Bild-Kollege und "Frontberichterstatter" Paul Ronzheimer, rein zufällig am Tag der Ermordung Sinwars vor Ort in Gaza, unmittelbar ein Interview gab. Yamin gab nun folgende, wörtlich anmaßende und bizarre Erklärung live im Welt-Interview zum Besten (ab Min 03:45):
"In Israel hat man sich natürlich gefreut, in einer anderen Art und Weise, wie man es hier [in Berlin] auf der Sonnenallee sieht. Israelis oder Juden gehen nicht feiern wie bekloppt auf der Straße, dass lassen wir den Barbaren (sic). Aber wir [journalistische Neutralität?] haben uns natürlich erleichtert gefühlt (...)
In den letzten vier Wochen hat es Israel geschafft, Nasrallah, den Hisbolla-Chef, in einer sehr gezielten Eliminierung umzubringen, und jetzt halt auch Sinwar. Und ich würde jetzt mal sagen, damit auch die arabischen Zuschauer, wenn wir welche in Deutschland haben, verstehen, und das wäre [auf Arabisch vorgetragen]:
Jeder Hund bekommt seins, obwohl Sinwar war eher eine Ratte als ein Hund."
NEW:🇮🇱🇩🇪 Israeli journalist Antonia Yamin just casually threatens all Arabs in Germany on TV: “Every dog gets their own,” she says, addressing any possible Arab viewers. pic.twitter.com/UaQG0Ayvui
— Megatron (@Megatron_ron) October 22, 2024
Die Welt-Redaktion informierte unter dem YouTube-Beitrag, dass "wir wegen des hohen Aufkommens unsachlicher und beleidigender Beiträge zurzeit keine Kommentare mehr zulassen können." Gab es ansonsten Erklärungen seitens des Senders oder der Redaktion? Nein. Im November 2018 berichtete die Süddeutsche Zeitung, dass Yamin "in Berlin-Neukölln bei der Aufnahme eines TV-Berichts gestört" wurde. Jugendliche hätte einen Böller in ihre Richtung geworfen.
האמת שבסך הכל עבר עלי יום נחמד בעבודה. היו לי כמה מרואיינים מדהימים שאני כבר ממש משתוקקת שתראו בסדרת כתבות שתעלה בקרוב. בין מרואיין אחד לשני הייתי צריכה לעצור לרגע כדי לדווח על הסכם הברקזיט המתגבש. אבל מתברר שבשכונת נויקלן בברלין אי אפשר לדווח בעברית מבלי שיפריעו ויזרקו עליך נפץ pic.twitter.com/1TKJqora5b
— Antonia Yamin אנטוניה ימין (@antonia_yamin) November 25, 2018
Ex-Außenminister Heiko Maas hätte "den Vorfall auf Twitter verurteilt." Yamin erklärte im SZ-Interview, wohlgemerkt im Jahr 2018:
"Es ist das erste Mal, dass ich in Berlin bei meiner Arbeit so behindert wurde. Dennoch habe ich in den eineinhalb Jahren, in denen ich jetzt in Berlin lebe, immer versucht, Neukölln zu meiden (...) Ich will nicht groß Antisemitismus schreien. Das ist nicht mein Stil. Ich kann nicht hundertprozentig sagen, warum diese Jungs gemacht haben, was sie gemacht haben. Ich weiß nicht, ob sie mich belästigt haben, weil ich Jüdin bin oder Israelin oder eine Frau. Ich stand da ja nicht mit Kippa oder einem riesigen Davidstern."
Nun, sechs Jahre später, kann und will sich Frau Yamin anscheinend für die Schrecksekunde und mit für sie angebrachten Worten in einem Live-Interview endlich rächen. Am 18. Oktober 2024 schrieb der Spiegel-Journalist Markus Feldenkirchen in einem X-Posting:
"Ich habe heute Süßigkeiten in Berlin verteilt, weil die Hamas-Ratte nicht mehr wirken kann #Sinwar"
Ich habe heute Süßigkeiten in Berlin verteilt, weil die Hamas-Ratte nicht mehr wirken kann. #Sinwar
— Markus Feldenkirchen (@MFeldenkirchen) October 17, 2024
Auf die Kritik eines Lesers, hinsichtlich der Wortwahl, ergänzte Feldenkirchen süffisant:
"Wieso? Was stört Sie denn genau? 'Ratte' ist doch absolut moderat für einen skrupellosen Massenmörder. Oder hatten Sie so 'ne kleine Sympathie für dessen Aktion am 7. Oktober?"
"Ratte", so eine weitere Beantwortung zum X-Text, sei für den Spiegel-Profi in der Wortwahl "absolut moderat für einen skrupellosen Massenmörder mit perverser Phantasie".
Zur Wortwahl "Ratte", als historisch belastete Argumentationslinie "nationalsozialistischer Propaganda", heißt es bei Wikipedia:
"Als Beispiel lässt sich der Vergleich von Juden mit Ratten als 'hinterlistige', 'feige' und 'grausame' Tiere anführen, wie er im Film Der ewige Jude propagandistisch eingesetzt wurde."
Nazi-Jargon als medial eingesetzte Staatsräson, Orwell lässt wieder einmal grüßen. Gab es Erklärungen, Reaktionen seitens der Spiegel-Redaktion oder ansonsten Artikel seitens der Hauptstadtpresse zu beiden verbalen Übergrifflichkeiten gegenüber einem ermordeten Menschen? Nein. Weil es nur ein Araber und "ein Terrorist, ein Massenmörder" war?
Die schlichte medial-politische Realität im Deutschland des Jahres 2024 lautet jedoch, wären entsprechende, exemplarische Kommentare, Bezeichnungen oder zynische Vergleiche samt Wortwahl zum Ableben eines israelischen Pendants gleiches Kalibers wie Sinwar auch nur irgendwo in den Tiefen der sozialen Medien aufgetaucht, wäre das der Skandal der Stunde, mit großen Buchstaben versehen, von Bild, über Nius, Tagesspiegel, Tichy bis hin zur Tageschau-Meldung.
Das Brandenburger Tor würde erneut solidarisch in den Farben Israels erleuchten. Es würde geheuchelt und gegreint diskutiert, über die anmaßende Unmenschlichkeit des fiktiven Verfassers. Der bedenklichen Verrohung der ehemals doch so guten Sitten.
Beide krawalligen Wortführer, Yamin, wie Feldenkirchen, wissen sehr genau, dass sie nichts zu befürchten hatten, dass ihr unangenehmes Agieren eher noch goutierend wahrgenommen wird und sie in ihren jeweiligen Positionen festigt.
Wir leben in sehr anstrengenden, mehr als belastenden Zeiten, die erneut und regelmäßig die Abgründe der menschlichen Aaligkeit täglich offenbart. Die Konsequenz kann individuell umsetzbar nur lauten, entweder für sich und den persönlichen Eigenschutz die digitale Auszeit samt Nachrichtenstopps wählen; oder sich dem Unangenehmen, den unbarmherzigen, medial-politischen Schlachtfeldern stellen.
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