Meinung

Der Westen muss sich entscheiden: Den BRICS beitreten oder den Anschluss verlieren

Der Westen wäre gut beraten, seine ideologischen Scheuklappen abzulegen und auf die sich formierende Gemeinschaft der BRICS-Staaten zuzugehen – im besten eigenen Interesse. Allerdings sieht es, im Gegenteil, gar nicht danach aus, sondern nach verschärfter Konfrontation.
Der Westen muss sich entscheiden: Den BRICS beitreten oder den Anschluss verlierenQuelle: Sputnik © Илья Питалев/Фотохост-агентство brics-russia2024.ru

Von Pjotr Akopow

Gestern wurde in Kasan der BRICS-Gipfel eröffnet, die größte internationale Veranstaltung in Russland seit dem Beginn der Sonderoperation in der Ukraine. Natürlich kann man sich kaum eine anschaulichere Demonstration dafür vorstellen, dass alle westlichen Versuche, "Russland zu isolieren", gescheitert sind. Aber im Prinzip war dies bereits 2022 klar, und nach dem, was Israel im Gazastreifen (und jetzt im Libanon) getan hat, wurde die Falschheit der westlichen Aufrufe, "die Welt zu vereinen, um den Aggressor zu bestrafen", selbst den einfältigsten Laien klar.

Die symbolische Bedeutung der Tatsache, dass die Staatsoberhäupter von 24 Ländern Wladimir Putin besuchen, ist also für den Westen selbst von grundlegender Bedeutung: Unfähig, diese Tatsache zu ignorieren, versuchen sie, sie mit verschiedenen Gründen zu erklären – von ihren eigenen Fehlern bei der Zusammenarbeit mit dem Globalen Süden bis hin zur russischen Manipulation der antikolonialen und antiwestlichen Rhetorik. Die wachsende Popularität der BRICS ist jedoch völlig objektiver Natur und kann nicht losgelöst von der massiven Umgestaltung der gesamten Weltordnung verstanden werden.

Die BRICS wurde vor weniger als zwei Jahrzehnten gegründet, aber schon damals, im Jahr 2006, war klar, dass die Welt in eine neue Ära eintreten würde. Eine neue Weltordnung begann sich herauszubilden, und obwohl weder die Geschwindigkeit dieses Prozesses noch die Intensität des Kampfes klar waren, war allen klar, dass das Ausmaß des Wandels enorm und universal sein würde. Nur wenige Monate nach der Gründung der BRIC-Staaten (damals bestand der Verband noch aus vier Ländern) hielt Wladimir Putin in München eine Rede, in der er vor der Vergeblichkeit der Versuche des Westens (in erster Linie der USA) warnte, "die Nationen zu hüten" – im Grunde war dies eine Erklärung für das Scheitern der Pläne zum Aufbau einer unipolaren Welt.

Im darauffolgenden Jahr 2008 kam es zur globalen Finanzkrise, für die die USA die alleinige Schuld trugen, und da die USA das globale Finanzsystem kontrollierten, musste der gesamte Planet die Rechnung für die amerikanische Gier bezahlen. Zu diesem Zeitpunkt hatten die USA bereits den Irak, ein Schlüsselland im Nahen Osten, zerstört, sodass der Arabische Frühling, der drei Jahre später begann, mit seinen katastrophalen Folgen für die gesamte Region praktisch vorprogrammiert war. Von 2011 war es nur noch ein Schritt bis 2014, als Russland mit dem Westen in einen offenen geopolitischen Konflikt geriet, weil dieser versuchte, die Ukraine zu übernehmen. Nun ja, und weiter bis zum Jahr 2022 – als der Konflikt, wenn auch indirekt, die Form eines militärischen Konflikts annahm.

In all diesen Jahren ist der Westen geschwächt worden, während der Globale Süden gestärkt wurde. Die Schwächung des Westens war ein objektiver Prozess mit geopolitischen, historischen, wirtschaftlichen und anderen Erklärungen. Die Hauptsache war jedoch, dass die ein halbes Jahrtausend währende Ära der westlichen Vorherrschaft zu Ende ging – und dies manifestierte sich in Form des Zusammenbruchs des Globalisierungsprojekts nach angelsächsischen Regeln, auf das die USA und Europa ihr Hauptaugenmerk gelegt hatten.

Die Globalisierung war nicht vollendet – und sie begann zu bröckeln, nicht weil Russland oder einige Länder des Globalen Südens gegen sie rebellierten, sondern aufgrund von Fehlern in ihrem eigentlichen Konstruktionsprinzip. Es war unmöglich, das Unermessliche zu erreichen, d. h. die ganze Welt nach den Regeln (politisch, finanziell, wirtschaftlich, handelspolitisch, kulturell, ideologisch) leben zu lassen, die für den Westen vorteilhaft sind und im Westen geschrieben wurden.

Natürlich wurde das angelsächsische "Vor Erfolgen von Schwindel befallen" [Anspielung auf den Artikel Stalins "Vor Erfolgen von Schwindel befallen. Zu den Fragen der Kolchos-Bewegung" in der Prawda vom 2. März 1930 – Anm. d. Red.] durch den Selbstmord der UdSSR stark begünstigt, nachdem die Mehrheit der westlichen Elite wirklich an das "Ende der Geschichte" [Anspielung auf das Buch von Francis Fukuyama "The End of History and the Last Man" von 1992 – Anm. d. Red.] und den Beginn der Ära der "Weltregierung" glaubte.

Mitte der Nullerjahre wurde jedoch klar, dass der Westen mit der Rolle eines globalen Auftraggebers-Architekten-Auftragnehmers-Erbauers nicht mehr zurechtkam, alles ging in die Brüche. Damals entstanden die BRICS, zunächst als Instrument der Koordinierung zwischen nichtwestlichen Ländern, die erkannten, dass der Westen auf dem falschen Weg war und die ganze Welt mit sich riss.

In den vergangenen Jahren ist der Westen noch schwächer geworden, nicht nur in Bezug auf seine Position auf der Weltbühne, sondern auch im Innern. Die USA sind Mitte des letzten Jahrzehnts in eine Phase verstärkter Turbulenzen geraten, aus der sie sich nicht nur mittelfristig nicht befreien können, sondern die sie in ernsthafte innere Turbulenzen zu stürzen droht. Das bedeutet nicht, dass Amerika nicht mehr die Kraft hat, um seine Position als Welthegemon zu verteidigen, aber es bedeutet, dass es sich zwischen dem Versuch, diese Hegemonie auf der Weltbühne zu verteidigen, und tiefgreifenden inneren Reformen entscheiden muss.

Das derzeitige amerikanische Establishment ist jedoch weder willens noch in der Lage, seinen Anspruch auf die Weltherrschaft (um die Dinge beim Namen zu nennen) aufzugeben, was bedeutet, dass sich die geopolitische Strategie und Praxis Washingtons nicht ohne größere interne Umwälzungen ändern werden. Mit anderen Worten: Amerika wird versuchen, auf allen Brettern gleichzeitig zu spielen – und diejenigen in Schach zu halten, in denen es eine reale oder potenzielle Bedrohung seiner Hegemonie sieht.

Was bedeutet das für die BRICS? Dass der Block mehr und mehr antiamerikanisch werden muss – nicht, weil sein Ziel die Konfrontation mit den USA ist, sondern weil die USA selbst ihn nicht in Ruhe lassen werden. Für die USA sind alle Projekte zum Aufbau einer alternativen globalen Architektur (Finanzen, Handel, Militär) kategorisch inakzeptabel, insbesondere solche, die die wichtigsten Länder der nichtwestlichen Welt – China, Indien, Russland, die arabische Welt und die Lateinamerikaner – vereinen. Und die USA werden den Druck auf die BRICS-Länder erhöhen, um ihre Entwicklung hin zu einer Integration der gleichen Finanzsysteme zu verhindern oder zumindest zu verlangsamen.

Die BRICS haben sich bis 2022 nicht erweitert, und erst dann hat der Verband begonnen, neue Mitglieder aufzunehmen. Von den sechs eingeladenen (und angefragten) Ländern fiel eines sofort aus: Der proamerikanische und antichinesische Präsident [Javier – Anm. d. Red.] Milei kam in Argentinien an die Macht. Saudi-Arabien hat seinen Beitritt etwas verzögert: Prinz Mohammed hat eine Pause eingelegt, und der vollwertige Beitritt zu BRICS wird wahrscheinlich auf dem aktuellen Gipfel in Kasan bestätigt. Iran, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und Äthiopien sind jedoch den BRICS beigetreten, sodass aus den "Fünf" die "Neun" geworden sind.

Mit dieser Erweiterung sind die BRICS bereits zu einem wahrhaft globalen Verband geworden, denn die zwei Milliarden Menschen zählende islamische Welt war bisher überhaupt nicht vertreten, jetzt sind es sogar drei Länder aus ihr. Und mehrere andere sehr bedeutende Länder der islamischen Welt sind dabei: Auch wenn die Frage mit Saudi-Arabien noch offen ist, haben viele muslimische Staaten von der Türkei bis Malaysia Interesse gezeigt.

Natürlich gibt es viele Differenzen zwischen den einzelnen BRICS-Ländern. Die bemerkenswertesten sind die zwischen China und Indien (obwohl dieser Gipfel das erste offizielle Treffen zwischen Xi Jinping und Modi seit viereinhalb Jahren sein wird – seit dem Grenzkonflikt im Himalaja im Frühjahr 2020 haben sie nicht mehr miteinander gesprochen). Und genau dies versuchen die Angelsachsen auszunutzen, vor allem in Bezug auf die Länder, auf die sie keinen direkten Druck ausüben können.

Die bestehenden Differenzen sind jedoch nichts im Vergleich zu dem, was die BRICS+-Länder eint, nämlich die Einsicht, dass der Westen weder das Recht noch die Fähigkeit hat, allen anderen sein "Bild der Weltordnung" aufzuzwingen. Innerhalb der BRICS wird es immer Meinungsverschiedenheiten über die gewünschte Geschwindigkeit und die Unterstützungsmethoden im Prozess des "Niedergangs des Westens" geben, aber niemand stellt die Tatsache infrage, dass das Ende der westlichen Hegemonie im Interesse aller Länder liegt, die sich um die BRICS scharen.

Es entspricht übrigens auch den Interessen der westlichen Länder selbst, einschließlich der Vereinigten Staaten, aber sie sind bereits zu bloßen Trägern des parasitären und antinationalen, globalistischen Projekts geworden und können ihre nationalen Interessen nicht verteidigen. Wenn sie jedoch den Willen und die Kraft finden, die von ihnen aufgezwungene Rolle aufzugeben, werden die BRICS gerne bei der Ausarbeitung der Regeln einer neuen Weltgemeinschaft und beim Aufbau einer neuen Weltordnung mitwirken. Diese wird auf jeden Fall errichtet – entweder gemeinsam mit dem Westen oder gegen seinen Willen.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist zuerst am 22. Oktober 2024 auf RIA Nowosti erschienen.

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