Warum die jungen Russen nicht gegen Putin rebellieren – und was das für die Zukunft bedeutet
Von Rainer Rupp
In der aktuellen Ausgabe von Foreign Affairs, der Hauspostille des "Atlantic Council", vom 15. Okt. geht Kolesnikov der im Untertitel seines Artikels angekündigten Frage nach: "Warum die jungen Russen nicht rebellieren – und was das für die Zukunft bedeutet". Die Gründe dafür, die der Autor herausgearbeitet hat, gehören allerdings eher in die Rubrik Realsatire als in einen angeblich "politikwissenschaftlichen" Beitrag
Ein zentraler Punkt, den Kolesnikov anspricht, ist der angebliche Einfluss der staatlich gelenkten Propaganda auf junge Russen. Seit Jahren werde das Bildungssystem von der Regierung genutzt, um ein bestimmtes Narrativ zu fördern, das den Staat und seine Führer in einem positiven Licht darstellt. Junge Menschen in Russland wüchsen in einem Umfeld auf, in dem sie hauptsächlich staatlich kontrollierte Informationen konsumieren, und alternative Meinungen schwer zugänglich sind.
(Kommentar: Auch die jungen Russen haben Computer und Internet und können sich sogar besser über den Westen informieren, als wir das aktuell in Deutschland über Russland können, weil die EU und die Ampel in Berlin russische Sender und Medien, wie z. B. RT gesperrt haben. Und Propaganda gibt es nicht nur in Russland. Auch in Deutschland wächst die Mehrzahl der jungen Menschen in einem Umfeld auf, in dem sie hauptsächlich staatlich kontrollierte Informationen konsumieren. Sogar die ganz Kleinen werden bereits in den morgendlichen TV-Kindergartensendungen auf Anti-russisch manipuliert.)
Laut Kolesnikov wurde insbesondere seit dem Beginn der Ukraine-Invasion 2022 die Propaganda noch verstärkt, um den patriotischen Eifer und die Unterstützung für Putins Politik zu fördern. Diese einseitige Informationspolitik schaffe eine Generation, die das Handeln der Regierung nicht infrage stellt. Kolesnikov betont, dass viele junge Russen den Narrativen der staatlichen Medien glauben und westliche Berichte als Feindpropaganda abtun.
(Kommentar: Natürlich sind auch junge Russen nicht so naiv, dass sie glauben, die NATO sei ihrem Land nur deshalb so nahe auf den Pelz gerückt, weil sie die russische Kultur so liebt. Auch gehen die jungen Russen nicht davon aus, dass die von Washington eingestandene Absicht, in der Ukraine US-Atomraketen zu stationieren, keine Bedrohung ihres Heimatlandes darstellt. Gegen Nordkorea oder Iran würden die Raketen ja wohl kaum gerichtet werden. Die jungen Russen brauchen keine Psychologie studiert zu haben, um zu erkennen, wann West-Politiker lügen, nämlich jedes Mal, wenn die den Mund aufmachen.)
Aber Kolesnikov macht weiter bei der Enthüllung der schrecklichen Bildungspolitik Russlands, wie mithilfe politischer Indoktrination. Die beginne bereits in den Schulen, um sich in den Universitäten und im Arbeitsleben fortzusetzen.
(Kommentar: Sollen die Russen z. B. "unabhängige" Medien vom Schlag der Bild lesen oder sich deutsche und westliche Regierungssender wie ARD und BBC reinziehen?)
Der Hammer kommt, als Kolesnikov behauptet, dass in Russland "oppositionelle Ansichten kriminalisiert werden".
(Kommentar: Solche Ansichten werden sicherlich nicht stärker kriminalisiert als in Deutschland, und sicherlich weitaus weniger als in Großbritannien, wo inzwischen an die 3.000 Menschen wegen Verbreitung von nicht regierungskonformen Ansichten im Gefängnis sitzen.
Ist es den RT-Lesern eigentlich schon mal aufgefallen, dass die Fragesteller bei Straßeninterviews westlicher Sender z. B. in Moskau immer wieder Russen finden, die ohne Scheu und ohne ihr Gesicht zu verdecken, in die Kamera blicken und Dinge sagen, die durchaus "oppositionelle Ansichten" zur Sichtweise der Regierung darstellen?)
Soziale und wirtschaftliche Sicherheit für die russische Jugend.
Ein weiterer Faktor, der Kolesnikov zufolge die Rebellion der Jugend hemmt, ist die relative wirtschaftliche Stabilität und Sicherheit, die viele junge Menschen in Russland erleben. Die Putin-Ära ist für viele mit wirtschaftlichem Fortschritt und Wohlstand verbunden, insbesondere im Vergleich zu den chaotischen Jelzin-Jahren nach dem Zerfall der Sowjetunion. Während dieser Jahre erlebten viele Familien Armut, Unsicherheit und politische Instabilität, weshalb die Stabilität and der wachsende Wohlstand der letzten Jahrzehnte als Errungenschaften empfunden werden.
Für viele junge Russen stehe daher der Erhalt der Stabilität an erster Stelle. Politische Unruhen und revolutionäre Umbrüche würden als Bedrohung für die persönliche Sicherheit und den sozialen Frieden wahrgenommen. Zudem sei die wirtschaftliche Abhängigkeit vieler junger Menschen vom Staat hoch, sei es durch Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor oder durch soziale Leistungen, die eine größere Loyalität gegenüber der Regierung schaffen.
(Kommentar: Aus diesen Zeilen kann man heraushören, wie sehr Kolesnikov es bedauert, dass es den jungen Russen so gut geht, vor allem wenn man das mit der Situation und den Perspektiven der Jugend in den zunehmend abgewirtschafteten und moralisch verkommen westlichen Vorzeigestaaten vergleicht.)
Angeblich mangelnde Alternativen und Repression
Laut Kolesnikov gibt es in Russland auch kaum glaubwürdige politische Alternativen, die für junge Menschen attraktiv sein könnten. Dabei impliziert er, dass Oppositionsbewegungen solche Alternativen beinhalteten. Aber diese Bewegungen seien weitgehend zerschlagen worden und prominente Figuren wie der (Rassist und Nazi) Alexei Nawalny seien inhaftiert oder ins Exil gezwungen worden. Junge Menschen, die in einer solch repressiven politischen Umgebung aufwachsen, würden kaum Spielraum für Veränderungen oder Rebellion sehen.
Der Gedanke, gegen Putin zu rebellieren, sei nicht nur riskant, sondern erscheine auch aussichtslos. Das politische System sei so konzipiert, dass es den Status quo aufrechterhält und jegliche Form von Opposition systematisch unterdrückt. Durch Gesetze, die Versammlungsfreiheit einschränken und hohe Strafen für Proteste vorsehen, würde jegliche Form von Auflehnung gegen die Regierung im Keim erstickt.
Der Einfluss der russischen Kultur und Geschichte
Nicht zuletzt spiele laut dem Foreign-Affairs-Autor auch die tief verwurzelte russische Kultur eine Rolle bei der Passivität der jungen Generation. Kolesnikov beschreibt eine Kultur der Gehorsamkeit gegenüber Autoritäten und einen tiefen Respekt vor der Rolle des Staates in der Geschichte Russlands. In der russischen Erzählung wird der Staat oft als Retter des Volkes in Krisenzeiten dargestellt, sei es während der Kriege oder in den schweren Jahren des wirtschaftlichen Niedergangs nach dem Ende der Sowjetunion. Diese kulturellen Normen seien tief in das russische Bewusstsein eingebettet und prägten auch das Verhalten der Jugend.
Die Zukunftsperspektiven
Was bedeutet das alles für die Zukunft Russlands, stellt Kolesnikov am Ende die rhetorische Frage, um sie sogleich selbst zu beantworten: Die mangelnde Bereitschaft der jungen Generation, sich gegen Putin aufzulehnen, sei ein Zeichen für die langfristige Stabilität des gegenwärtigen Systems. Die staatlich gelenkte Kontrolle über Bildung, Medien und Kultur habe eine Generation geformt, die wenig geneigt sei, den Status quo infrage zu stellen.
Dennoch glaubt Kolesnikov Anzeichen dafür gefunden zu haben, wo sich das ändern könnte. Die Ukraine-Invasion und ihre Folgen hätten nämlich einige junge Menschen politisiert, vor allem jene, die Zugang zu westlichen Informationen haben oder im Ausland leben. Diese Gruppe könnte in den kommenden Jahren eine größere Rolle in der politischen Opposition spielen. Kolesnikov warnt jedoch davor, zu optimistisch zu sein: Der Apparat des "Putin-Regimes" sei stark und fest in der Gesellschaft verankert, und Veränderungen würden wahrscheinlich nur langsam und schrittweise erfolgen.
Der Artikel von Kolesnikov hat alle negativen Vorurteile des außenpolitischen US-Establishments bedient, aber dennoch kann der Autor nicht mit der frohen Botschaft von zunehmender Instabilität in Russland aufwarten. Er muss das Gegenteil einräumen, dass nämlich die gegenwärtige politische Ordnung in Russland noch lange Bestand haben wird, insbesondere, solange die Jugend keinen klaren Anreiz sieht, sich gegen Putin zu stellen.
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