Meinung

Tag der deutschen Einheitlichkeit: Vollkommen hanebüchene Assoziationen des Balkonisten

Wofür steht nach 34 Jahren Wiedervereinigung heute eigentlich der "Tag der Deutschen Einheit"? Darf man sich freuen, dass Ost und West nach langer Teilung endlich zusammengefunden haben? Oder muss man nicht eher erschrecken ob des propagierten Einheits-Singsangs und Einheits-Denkens, das ebenso gut Honeckers internen Anweisungen entstammen könnte? Unser Balkonist macht sich dazu so seine Gedanken.
Tag der deutschen Einheitlichkeit: Vollkommen hanebüchene Assoziationen des BalkonistenQuelle: Gettyimages.ru © Pool/Pool

Eine Lesermeinung von Mikhail Balzer

"Es gibt Tage, da würde man besser gar nicht erst aufstehen": Dieser banale Spruch fiel unserem Balkonisten am diesjährigen 3.Oktober ein. Begonnen hatte dieser vermeintlich bedeutende Tag mit den halbverdauten Speiseresten des Kater Murr III. auf dem Küchenboden, gespickt mit den obligaten unansehnlichen Fellresten. Für den Kater eine zwingende Notwendigkeit, will er keinen Darmverschluss bekommen; und zugleich ein Zeichen, dass nicht alles, was uns von außen zugeführt wird, auch gut verdaulich ist.

Dazu gesellte sich noch ein weiteres ungünstiges Vorzeichen: Seine Frau hatte ausgerechnet schon am frühen Morgen einen ihrer seltenen Migräneanfälle. "Das kann ja heiter werden!", war ihr lapidarer Kommentar, als sie sich mit einer Tasse schwarzen Tees, "gewürzt" mit zwei Kopfschmerztabletten, wieder ins Bett zurückzog. Hinzu kam noch die Erkenntnis, dass unser Balkonist heute den Morgenkaffee ohne Tageszeitung genießen musste – wegen des Feiertages.

So zwiegespalten wie die Kopfschmerztablette und des Katers "notgedrungenes Fehlverhalten" wirkten sich auf unseren Balkonisten dann auch die Nachrichten dieses Festtags der gesamtdeutschen Einheit aus. In Schwerin fand bekanntlich der Festakt statt (heuer in Orwellscher Manier als "Bürgerfest" bezeichnet). Schön, mit angeordnet oder bestellt wirkendem Jubel und dem schullehrerhaften Motto "Vereint Segel setzen: gemeinsam Demokratie und Vielfalt fördern". Wer sich solche Sprüche nur ausgedacht hat?! Stammen diese womöglich gar aus dem Vermächtnis von Erich H's Notizblöckchen? Natürlich greift die "Landesmutter" Mecklenburg-Vorpommerns obiges Motto gerne auf: "Bei uns im Norden sagt man: Egal, wie der Wind weht; wir müssen die Segel richtig setzen. Miteinander, nicht gegeneinander."

Hinzu kamen ein paar einprägsame, weil einfach gestrickte Phrasen des Kanzlers wie "Die Geschichte der Deutschen Einheit ist nicht zu Ende. Wir müssen ihr neue Kapitel hinzufügen." Auch werden wir hier über eine Stärke der Vielfalt belehrt: "Unsere innere Vielfalt ist kein Defizit – sie ist eine besondere Stärke unseres Landes." Ob dies auch für die Meinungsvielfalt gilt? Nur mit den glänzenden Worten eines Kanzlers können die im Grundgesetz fest verankerten Grundlagen der Bundesrepublik neu und plastisch formuliert werden: "Unsere Einheit in Freiheit – sie bleibt unser gemeinsames Fundament." Natürlich folgten weitere politische Lobhudeleien, was da alles schon so gut klappt im Lande! Aber schwingt da im Einheits-Singsang nicht jenes berühmte "Vorwärts immer, rückwärts nimmer" mit? Doch trotz weiterer Publikumsmagnete wie "Samson aus der Sesamstraße" und Roland Kaiser blieben etliche Parkplätze leer.

Apropos Segel und wirtschaftliches Vorankommen: Denken wir mal an die erfolgreich gerafften Segel der beiden sündhaft teuren "Gorch Focks", quasi Vorzeige- Symbole der ökologisch-klimaneutralen Republik. Besonders Gorch Fock 2, nach "nur" sechs Jahren im April 2021 wieder als Schulschiff der Bundesmarine zugestellt – mit heuer sogar kriegstauglichen Segeln! Leider kostete der ganze segelnde Spaß lächerliche 135 Millionen statt der geplanten zehn: von Anfang an fehlgeplant, dann noch abgezockt mit Betrug und Korruption... Übrigens: Planung und Ausschreibung erfolgten ja durch die Geheimnis-Uschi – damals noch nicht Generalsekretärin der EU. Hätte sie womöglich seinerzeit schon besser eine neue Fock per SMS bestellen sollen?

Gar nicht so weit entfernt, in der Raffinerie Schwedt, drohen übrigens die Segel gänzlich eingerollt zu werden – wenn die unselige, aber ideologisch getriebene Sanktionitis gegen "Russenöl" so weitergeht. Derzeit "merkelt" man sich noch durch mit Schweröl-Lieferungen aus Kasachstan, durchgeleitet via Russland über die nicht ganz so politisch korrekte, aber funktionstüchtige Druschba-Pipeline. Leider helfen nämlich in Schwedt das teure und vielfältige, also demokratisierte amerikanische Öl und Gas nicht weiter.

Noch dazu scheint das Flüssiggas, endlich angeliefert am Terminal in Rügen, gerne mal seine Segel Richtung Schweden zu setzen. Ergo lernen wir: Hauptsache, im Winde fremder Interessen seine Segel wenden!
Vom beinahe-schon "volkseigenen VW-Kombinat" (Pardon: VW AG!) mal ganz zu schweigen, das gerade schnelle Fahrt in flauer Brise aufnehmen wollte – allerdings nur in Sachen des Segel-, Pardon: massiven Stellenabbaus. Hier hat es der prominent-politische Aufsichtsrat auch irgendwie vorher versäumt, diese löchrigen Segel überhaupt zu bemerken.

Nach diesen fabel- und segelhaften Windeiern wechseln wir nun mit unserem Balkonisten gedanklich nach Berlin, wo eine große Friedenskundgebung und mehrere Gegendemonstrationen anberaumt worden waren. Nicht nur, dass die Friedensbewegung, zerrissen in konträre Fraktionen, zahlenmäßig gegenüber der "alten Bundesrepublik" recht ausgedünnt erscheint. Vielmehr werde sie auch unterlaufen von "politisch weniger korrekten Gruppierungen". Altbekannte Vorwürfe wie "Querfront" sollen wieder einmal eine Assoziation zu Rechten, Querdenker-Szene und vermeintlichen Verschwörungstheoretikern herstellen. So soll es wohl mit erhobenem Zeigefinger und wie "in Stein gemeiert" heißen: "Pfui, lieber guter und bundeseinheitlicher Bürger: Hier gehen wir aber lieber nicht hin!"

Dennoch kamen sie in größerer Zahl zur Demonstration, auch um Sarah Wagenknecht zu hören. Diese wurde recht deutlich und bezeichnete die deutsche Außenministerin als "Sicherheitsrisiko für Deutschland"; denn Menschen wie sie zögen das Land immer weiter in Kriege hinein. Auch sprach sie spitzzüngig, aber treffend von "Kriegsertüchtigungsmaulhelden". Unwillkürlich muss unser zynischer Schelm des Balkons an solch gratismutige Protagonisten wie die Herren "Miesewetter, Pistoletti sowie die Waffen-Agathe" denken.

Auf der anderen Seite versuchte der SPDler Ralf Stegner einen parteipolitischen Spagat. Sprach er zunächst unter Buhrufen von einem "russischen Angriffskrieg" und davon, dass Deutschlands Hilfe – auch die militärische – humanitär sei; so forderte er andererseits unter Hinweis auf die (in seiner Parteizentrale wohl vergessene) Tradition, dass die SPD ein Teil der Friedensbewegung sei, deutlich eine diplomatische Lösung.
Wunderbar, wenn dann zeitgleich einige Hundert dem Aufruf seines "Parteifreundes" und Kriegsertüchtigers Michael Roth, der stets noch mehr Unterstützung für die Ukraine fordert, zu einer der Gegendemonstrationen folgten.

Hier waren gemäß der Berichte auch Ukraineflaggen und Parolen wie "Stoppt Russland" oder "Russland ist ein Terrorstaat" zu sehen. Dass es ein Herr Roth generell mit der Nichteinmischung in die innenpolitischen Angelegenheiten souveräner Staaten nicht ganz so genau nimmt, wissen wir ja bereits seit seinen "spektakulären Auftritten" in Georgien, wo er lauthals und vehement die Opposition unterstützte. Mit der oben genannten Tradition der SPD hat sein Agieren jedenfalls wenig gemein.

Überhaupt bleibt das Fazit des 3. Oktobers, wie schon der Beginn des Tages vermuten ließ, für unseren Balkonisten recht zwiegespalten. Lag der Grundtenor der Reden zum Tag des vereinten Deutschlands nicht doch auf dem erhobenem Zeigefinger? Geht die gewünschte Vereinheitlichung nicht zu weit, zurück bis zum kollektiven Unterordnen unter einen beglückenden staatlichen Ideologieschirm? Erkennt man hier nicht bereits Warnzeichen der Gleichschaltung von glücklicherweise noch bestehenden diskursiven Gegensätzen innerhalb Deutschlands? Schließlich lebt gemäß immer noch gültiger Definition die Demokratie vom Pluralismus, also von der Diskussion und dem Aushalten gegensätzlicher Meinungen (und folglich auch unterschiedlicher gesellschaftspolitischer Erfahrungen in Ost und West).

Oder anders ausgedrückt: der erfahrene Kapitän hat gelernt, auch gegen den Wind zu segeln – was heißt, sich auf gegenläufige Ereignisse und Meinungen einzulassen. Umgekehrt gibt es jene brandgefährlichen Situationen, in denen das Schiff eben nicht "hart am Wind" manövriert werden sollte, denn eine eskalierend rasante Fahrt kann auch ungebremst in den Orkus münden, wie reichliche Erfahrungen aus der Historie belegen. Gerade bei drohender kriegerischer Eskalation sind Vorsicht und Bedachtsamkeit vonnöten, und keine Schnellschüsse. Leider ist die mahnende Stimme der Friedensbewegung, im Vergleich zu den 1980er Jahren, heuer ausgedünnt und uneinig.

Mager war am jetzigen 3. Oktober auch das Mittagessen, denn Michaels Frau war den gesamten Tag mit einer Migräneattacke quasi ausgeschaltet. So gab es für alle drei nur einen magenschonenden Brei, den unser Balkonist im flauen Wind des einheitlich faden Meinungskorridors würzte. Selbst Kater Murr III. musste wieder einige Male würgen, denn bei einem Einheitsbrei ist eben nicht alles gut verdaulich, was uns von außen so eingeflößt werden soll.

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