Meinung

Der Osten wird blau

Zu Zeiten der Sowjetunion galt: Der Osten ist rot. Nun wird er immer blauer, durch die Siege der AfD. Ihre Konkurrenten treiben ihr die Wähler zu durch eine Politik, die die meisten Bürger als schädlich ansehen, und durch mangelnden Respekt vor ihren Wahlentscheidungen.
Der Osten wird blau

Von Rüdiger Rauls

Trotz aller Demonstrationen gegen Rechts, aller negativen Presse und aller Warnungen von Politikern vor der Wahl der AfD ist die Zustimmung zu ihr in der Bevölkerung ständig gewachsen. Auch Brandmauern haben nichts gegen die AfD genutzt, mit ihnen wuchsen nur die Probleme ihrer Erbauer in die Höhe. Letztere haben sich selbst alle Ausfahrten verrammelt und finden keinen Weg heraus aus ihrem selbst geschaffenen Ghetto.

Nutzlose Brandmauern

Der Wählerwille schert sich immer weniger darum. Auch die Keule des wirtschaftlichen Niedergangs und der Unregierbarkeit, mit der die Parteien von CDU bis SPD den Wählern auf dem Gang zur Urne vor den Nasen fuchtelten, hat diese immer weniger abgeschreckt. Denn die Wähler sehen den wirtschaftlichen Schaden, den die Ampel selbst in den letzten Jahren mit Sanktionen gegen Russland und all den teuren Maßnahmen gegen den sogenannten Klimawandel angerichtet hat. Kann es da noch viel schlimmer kommen, wenn die AfD mitregiert?

Gerade die Vorstellungen der AfD in Bezug auf die Unterstützung der Ukraine und eine Friedensregelung mit Moskau machen vielen Menschen mehr Hoffnung auf eine Besserung der Lage als das uneinsichtige Weiter-so der Ampel. Und dass die AfD vom Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextrem" eingestuft wird, scheint auch immer weniger Wähler zu beeindrucken. Die Behörde selbst erfreut sich nicht gerade hoher Beliebtheitswerte, ist somit eher eine schlechte Referenz.

Was man mit aller Macht hatte verhindern wollen, hat man somit nur befördet: Die AfD legte erheblich zu, wurde in Thüringen zur stärksten Kraft, in Sachsen und Brandenburg zur zweitstärksten. Es scheint in die Köpfe der Regierenden nicht hineinzugehen, dass man mit der Brechstange die Menschen nicht zurückgewinnt. Die Vorsitzende der abgehalfterten Grünen, Ricarda Lang, will "noch klarer herausstellen, wie wir das Land nach vorne bringen" (FAZ). Sie scheint ernsthaft zu glauben, was sie sagt.

Was der Bürger davon hält, zeigen die gewaltigen Stimmenverluste ihrer Partei. Die Wähler sind nicht so blöde, wie solche Politiker zu glauben scheinen. Es liegt nicht an der Kommunikation der Parteien, sondern an den weltfremden politischen Inhalten. Das moralische Alleinstellungsmerkmal der Grünen hat sich verbraucht, und statt überzeugender Argumente und Sichtweisen arbeiten die Parteien von CDU bis SPD mit Drohungen, Verunglimpfungen und mit inhaltsleeren Appellen an gemeinsame Werte.

Daneben gepredigt

Diese Werte sind aber keine gemeinsamen, wie jene glauben, die sie immer auf den Lippen tragen. Den Führungskräften der westlichen Gesellschaften geht es um Demokratie und die sogenannten "westlichen Werte", also um große Ideale und Ideen zur Absicherung der bestehenden Ordnung.

Die sind dem Mann auf der Straße aber weitgehend egal, diesem ist es wichtig, dass er Arbeit hat, ein Einkommen, mit dem er seine Familie ernähren und sich einen bescheidenen Wohlstand leisten kann. Vor allem aber will er eine freundliche Zukunft für seine Kinder. Und er sieht, dass es zunehmend schwieriger wird, über die Runden zu kommen. Er will ein menschenwürdiges Leben führen. Er will zufrieden sein. Dazu braucht er keine Ideale.

Ideale und Moral machen nicht satt und auch nur selten glücklich und zufrieden. Das aber verstehen jene nicht, die vollgesogen sind mit Wertedenken und den entsprechenden Parolen und Lehrmeinungen dazu. Ja, teilweise verachten sie sogar diese Bescheidenheit des Wählers. Sie glauben, dass der kleine Mann von der Straße sich für ihre Demokratie genau so aufopfern und dafür einstehen und kämpfen sollte, wie sie selbst es von sich annehmen. Tut er das nicht, dann muss es an mangelnder Bildung, an fehlendem politischem Verständnis oder gar rechter Gesinnung liegen.

Deshalb verstehen die Herolde der Werte nicht, dass immer mehr Menschen die AfD und den BSW wählen, obwohl doch erstere "gesichert rechtsextrem" ist. Sie glauben, das den Menschen nur noch besser erklären zu müssen, damit sie es verstehen und auf den rechten Weg zurückfinden. Sie wollen nicht wahrhaben, dass all ihre Bemühungen, Drohungen, Warnungen und gar Erpressungen wie im Falle Woidkes an dem Denken einer wachsenden Zahl von Bürgern vorbeigehen. Es interessiert diese einfach nicht mehr, zumal sie auch immer deutlicher sehen, dass all diese hehren Werte nur so lange Gültigkeit haben, wie sie den Interessen jener dienen, die sie wie eine Monstranz vor sich hertragen.

Darin besteht der verloren gegangene Kontakt zu den Menschen. Die gesellschaftlichen Führungskräfte wollen nicht erkennen oder können es vielleicht auch nicht aufgrund eigener Verblendung, dass sie an jenen vorbeireden, die sie erreichen wollen. Sie können sich noch so sehr anstrengen, sie reden eine andere Sprache, sie denken in anderen Kategorien als jene, die sie erreichen wollen. Sie wollen nicht wahrhaben, dass die Menschen keine Werte haben wollen, zumindest nicht ihre, sondern Wahrheiten statt Propaganda, Ehrlichkeit statt taktischer Spielchen wie jenen im Erfurter Landtag.

Würdelos konstituiert

So haben sich kaum der Pulverdampf des Wahlkampfes in Thüringen gelegt und die Verlierer ihre Wunden geleckt, da versucht man schon, es der siegreichen AfD heimzuzahlen. Die erste Sitzung des Thüringer Landtags war an Würdelosigkeit nicht zu überbieten. Für die meisten Beobachter in der Gesellschaft außerhalb der Plenarsäle ist nicht nachvollziehbar, worum es da überhaupt geht und noch weniger ist für den Nichtjuristen zu erkennen, wer denn da im Recht ist.

Solche Kleinkriege interessieren die Menschen nicht. Sie führen nur dazu, dass sie sich noch mehr von diesem Betrieb abwenden. Umso erschreckender ist, dass sich selbst BSW und Linke an solchen Intrigen beteiligen. Hat man innerhalb so kurzer Zeit schon das Gespür dafür verloren, dass man politisch überzeugen muss, wenn man die Menschen von der AfD zurückgewinnen will?

Besonders das BSW scheint schon bestens in den politischen Ränkespielen des Parlamentarismus eingeübt zu sein, dass er nicht mehr wahrnimmt, wie sehr solch rechthaberisches Verhalten die Bürger anödet.

Ob es nun den Politikern und vielen Bürgern passt oder nicht, aber die AfD hat die meisten Stimmen bei den Wählern gewonnen. Sie ist die stärkste Partei und vertritt ein Drittel all jener, die gewählt haben. Alles, was nun im Thüringer Parlament abläuft, erscheint den meisten Menschen außerhalb als nichts anderes als der unsportliche Versuch der schlechten Verlierer, dem Sieger den Sieg nachträglich noch streitig zu machen. Die AfD hat gewonnen, und sie hat nicht aus eigener Kraft gewonnen, sondern aufgrund des Unvermögens der anderen Parteien.

Sie hat nicht gewonnen, weil die anderen ihre Erfolge nicht ausreichend herausstellen oder ihre Politik nicht gut genug erklären konnten. Sie hat gewonnen, weil die anderen Parteien nichts anderes machen, als ihre Erfolge herauszustellen und schlechte Politik für gut zu erklären. Sie hat gewonnen, weil die Menschen wenig wahrnehmen von dem, was ihnen die unterlegenen Parteien als Erfolge verkaufen wollen. Die Menschen merken, dass die Preise überall weiter steigen, auch wenn EZB, Politik und sogenannte Wirtschaftsexperten ihnen sinkende Inflationszahlen unter die Nase reiben, als wäre damit alles gut.

Nun versuchen die unterlegenen Parteien, mit taktischen Tricks die AfD von der Regierung fernzuhalten. Das kann man machen, ist auch nach den Regeln des parlamentarischen und demokratischen Betriebs mehr oder weniger abgesichert. Aber das Kernproblem beheben sie damit nicht: die Unterstützung in der Bevölkerung zurückzugewinnen. Vielleicht können sie hier und da der AfD ein Schnippchen schlagen und darüber in Siegesgeheul ausbrechen, aber sie demonstrieren damit auch einem Drittel der Wählerschaft, dass ihnen deren Willen vollkommen schnuppe ist. So schaffen sie die Grundlage für die nächsten Wahlniederlagen.

Wenn die Menschen das Gefühl haben, nicht ernst genommen zu werden in ihren Wahlentscheidungen, dann ist zu erwarten, dass sie sich immer weiter von denen abwenden, die sich so verhalten. Wenn man die AfD als stärkste Partei mit allen Mitteln von der Regierungsgewalt fernhalten will, dann darf man sich nicht wundern, wenn sich bei jedem weiteren Misserfolg, jeder neuen unpopulären Entscheidung die Stimmen mehren, die eine andere Politik wollen. Das Problem der herrschenden Parteien ist, dass sie die Menschen nicht mehr überzeugen können. Sie sind inhaltlich ausgebrannt und reagieren mit Druck, Verunglimpfungen und Drohungen, also mit jenen Mitteln, die sie in früheren Zeiten erfolgreich anwenden konnten. Aber diese Zeiten sind vorbei.

Woidke und was dann?

Das Rezept von Drohung und Erpressung hat Woidke in Brandenburg noch einmal erfolgreich angewandt. Aber er hat damit hoch gepokert und sich gleichzeitig in eine, wenn nicht aussichtslose, dann doch sehr schwierige Lage gebracht. Er wollte die AfD verhindern und drohte seinen Bürgern, nicht mehr den Ministerpräsidenten zu geben, wenn sie nicht die SPD zur stärksten Partei machen. Das hat geklappt. Der Druck trieb die Nichtwähler an die Wahlurnen und bescherte Woidke einen knappen Sieg. Aber es ist ein Pyrrhus-Sieg.

Seine Drohungen mündeten in einem extrem zugespitzten Wahlkampf, an dessen Ende er zwar als Sieger dastand, aber sehr alleine. Denn allen möglichen Koalitionspartnern hat er mit diesem Manöver die Wählerschaft dermaßen abgesaugt, dass außer AfD und dem BSW keine Parteien mehr zur Regierungsbildung zur Verfügung stehen. Grüne und FDP sind nicht mehr im Landtag vertreten und die CDU hat ein solch schlechtes Ergebnis eingefahren, dass eine Koalition mit ihr keine Mehrheit für Woidke bringt. "Die bisherige Koalition mit CDU und Grünen hat er mit seinem Triumph geschrottet", stellt die FAZ fest.

Er wollte die AfD als stärkste Partei verhindern. Das ist ihm gelungen. Aber er hat verbrannte Erde hinterlassen. Nun muss er mit Wagenknecht klarkommen, denn mit der AfD will er auf keinen Fall regieren. Ob die leichter zu handhaben ist als die AfD, wird sich noch zeigen. Es kann sein, dass Woidke und seine SPD noch einmal mit einem blauen Auge davonkommen, aber das ist keine gute Grundlage für den Bundestagswahlkampf im nächsten Jahr.

Die AfD wurde zurückgewiesen, aber die Probleme bleiben, und der Unmut über beides wächst. Denn nicht die AfD wurde von der Teilhabe an der Macht ausgeschlossen, sondern vor allem jene wachsende Menge, die sie gewählt hat. Diese wird aber nicht geringer, wenn die Probleme nicht gelöst werden, schon gar nicht, wenn bei den Menschen die Vorstellung zunimmt, dass alleine die AfD Lösungen anzubieten hat. Auf Dauer werden da auch keine Brandmauern mehr Schutz bieten vor der Veränderung, die immer mehr Menschen wollen.

Darin aber besteht die Parallele zu 1933, die immer wieder von vielen bemüht wird. Die meisten Wähler und Mitglieder der AfD sind keine Nazis. Immer mehr Medien, die früher das Bild von den Nazis in Nadelstreifen schufen, scheinen zu erkennen, dass das nicht mehr lange gut geht und solche Verunglimpfungen nicht zur Schwächung der AfD beitragen. Die Parallele zu 1933 besteht vielmehr darin, dass die bürgerlichen Parteien die Wähler nicht mehr an sich binden können. Ähnlich wie heute hatten sie ihnen nichts mehr zu bieten. Dabei geht es nicht um finanzielle Wohltaten, sondern um Perspektiven. Das heißt nicht, dass die AfD es besser kann, aber immer mehr Menschen erhoffen sich genau das. Und weder die ausgedörrte Linke noch das aufgeploppte BSW haben im Moment überzeugende politische Mittel, um den Osten wieder rot werden zu lassen.

Rüdiger Rauls ist Reprofotograf und Buchautor. Er betreibt den Blog Politische Analyse.

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