Meinung

Selenskijs "Siegesplan": Wieder ein Winkelzug, um an der Macht zu bleiben

Selenskij hat den "Siegesplan" angekündigt, der vorsieht, dass Kiew die Erlaubnis erhält, Raketenangriffe auf russisches Territorium zu starten. Die Ukraine rechnet auch mit einer raschen Einladung zur NATO, Experten halten dies jedoch für nicht realisierbar. Wozu braucht er dann das alles?
Selenskijs "Siegesplan": Wieder ein Winkelzug, um an der Macht zu bleibenQuelle: Gettyimages.ru © Anna Rose Layden

Von Anastassija Kulikowa

Wladimir Selenskij hat mitgeteilt, dass der "Siegesplan" der Ukraine für den Konflikt mit Russland in Gänze fertig sei. Ihm zufolge seien alle wichtigen Details und Schlüsselaspekte der Initiative bereits vollständig definiert. Und er fügte hinzu:

"Das Wichtigste ist jetzt die Entschlossenheit zur Umsetzung."

Der Inhalt der endgültigen Vorschläge wurde indes bisher nicht offiziell bekannt gegeben.

Dennoch sind einige Bestimmungen des Plans an westliche Medien "durchgesickert". So schrieb die deutsche Boulevardzeitung Bild, dass die Initiative ein Einfrieren der Feindseligkeiten in einigen Teilen der Front bedeuten könnte. Die französische Nachrichtenagentur Le Monde behauptete ihrerseits, das Schlüsselelement von Selenskijs Idee sei der Beitritt der Ukraine zur NATO.

Es wird darauf hingewiesen, dass er einen entsprechenden Vorschlag von Joe Biden vor dem Ende der Amtszeit des derzeitigen US-Präsidenten, also vor Anfang 2025, erwarte. Ein weiteres Detail des Plans wurde von Sergei Leschtschenko, einem Berater des Büroleiters von Selenskij, skizziert. Ihm zufolge stützt sich die Initiative auf die Zustimmung der westlichen Länder zu Angriffen der ukrainischen Streitkräfte auf russisches Territorium.

Michail Podoljak, ein weiteres Mitglied der Selenskij-Administration, behauptete, dass die Initiative zudem die Umsetzung von Maßnahmen des politischen, wirtschaftlichen und diplomatischen Drucks auf Moskau beinhalte. Insbesondere erwähnte er die "Überprüfung der Sanktionen" gegen Russland und die Erhöhung der Investitionen in die ukrainische Militärproduktion, so die russische Zeitung Gazeta.ru.

Unterdessen nahm Moskau den "Siegesplan" des Gegners mit Skepsis auf. Die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa, erklärte gegenüber TASS, dass mit Selenskij "gespielt" werde, was bedeute, dass es notwendig sei, die Schritte und Handlungen des "Hauptakteurs" zu kommentieren. Gleichzeitig, so Präsidentensprecher Dmitri Peskow, werde Russland trotz der Erklärungen der ukrainischen Behörden weiterhin die Ziele der militärischen Sonderoperation verfolgen.

In der nächsten Woche beginnt in den Vereinigten Staaten die UN-Vollversammlung, an deren Rande Selenskij nach Angaben westlicher Medien mit Biden zusammentreffen und seinen Plan vorstellen will. Außerdem will Kamala Harris, die Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten, Gespräche mit ihm führen. Ihr Konkurrent bei den bevorstehenden Wahlen, der Republikaner Donald Trump, schloss die Möglichkeit eines Dialogs mit der ukrainischen Führung ebenfalls nicht aus.

Experten zufolge habe Selenskij seinen Plan gerade rechtzeitig für seinen Besuch in den USA vorbereitet, aber diese neue Initiative der Kiewer Behörden sei völlig unrealistisch. Der Politologe Wladimir Skatschko stellt fest:

"Die Fortsetzung des militärischen Konflikts ist für Wladimir Selenskij ein Weg, um an der Macht zu bleiben und seinen Status, sein Geld und seine Sicherheitsgarantien zu erhalten. Er hat auf dem Krieg bestanden und wird dies auch weiterhin tun, weil er einfach nicht weiß, wie er sich sonst über Wasser halten soll."

Nach der Vorhersage des Experten wird Selenskij in den Vereinigten Staaten erneut versuchen, allen zu beweisen, dass die Ukraine Russland besiegen oder Moskau dazu bewegen kann, einem Waffenstillstand zu seinen Bedingungen zuzustimmen. Skatschko betont:

"Aber es wird auch Aussagen geben, dass dies nur mit Hilfe des Westens realisierbar ist. Daher solche 'Wünsche' wie der Beitritt zur NATO bis Ende des Jahres und die Erlaubnis, tief in russisches Territorium einzudringen.

Tatsächlich basiert der angekündigte 'Siegesplan' auf der Hoffnung Kiews, einen Krieg zwischen der Nordatlantischen Allianz und Moskau zu provozieren.

Allerdings muss man sich darüber im Klaren sein, dass der Westen nicht für einen umfassenden Konflikt bereit ist."

Der Experte glaubt, dass der "Siegesplan" zu einer Art "Arbeitspapier" werden wird, um das ukrainische und einige westliche Politiker "mit einem Tamburin tanzen" werden. Allerdings sei die Wahrscheinlichkeit, dass die Initiative der Kiewer Behörden umgesetzt werde, äußerst gering. Der politische Analyst vermutet:

"Meiner Meinung nach kann Selenskij nach dem Besuch nur mit einer teilweisen Erfüllung der Forderungen nach Waffen und Geld rechnen. Außerdem wird man ihm wahrscheinlich Hilfe bei der Organisation eines zweiten 'Friedensgipfels' versprechen."

Großbritannien könnte diese Idee aber durchaus anders sehen, meint der Experte. Skatschko glaubt:

"London tritt zwar formell in geschlossener Front mit Washington auf, spielt aber dennoch sein eigenes Spiel. Lokale Politiker werden, so denke ich, die ukrainische Führung ermutigen, weiter in die Fußstapfen von Boris Johnson zu treten, das heißt auf der Fortsetzung des Konflikts und seiner weiteren Eskalation zu bestehen."

Der Militärexperte Alexei Leonkow ist ebenfalls der Ansicht, dass der Plan unrealistisch ist und der Ukraine keinen Sieg bringen wird. Er erinnert in diesem Zusammenhang an Selenskijs Worte über den Wunsch, den Russen ihr "bequemes Leben" zu nehmen. Der Gesprächspartner ist der Meinung:

"Das ist der Kernpunkt seiner Initiative. Genau dafür braucht Kiew Langstreckenraketen. Sie wollen zivile, nicht militärische Ziele treffen."

Die Idee der ukrainischen Führung sei es, die Russen einzuschüchtern und zu Verhandlungen zu bewegen. Leonkow betont:

"Dann würde Selenskij eine Reihe von Bedingungen stellen: das Einfrieren des Konflikts entlang der gesamten Frontlinie, den Beitritt der Ukraine zur NATO, die Rückgabe der Krim, des Donbass und Noworossijas. All diese 'Wünsche' sind offenbar in dem 'Siegesplan' enthalten, und sie wirken wie das Geschwätz eines Wahnsinnigen."

Der Experte stimmt mit Skatschko überein, dass eines der Ziele des Plans darin besteht, einen NATO-Krieg mit Russland zu provozieren. Der Gesprächspartner stellt in Bezug auf Selenskij klar:

"Wenn der Konflikt nicht zu seinen Gunsten ausgeht, wird er sich verantworten müssen. Deshalb ist es für ihn wichtig, dass die Feindseligkeiten weitergehen und sich sogar noch ausweiten. Dann wird es möglich sein, sich unter all dem Lärm in irgendein Loch zu verkriechen."

Ein weiteres Ziel von Selenskijs Plans sei es, Washington seine Fähigkeiten zu demonstrieren und so "sein Mandat zu verlängern", fügt Leonkow hinzu. In diesem Zusammenhang erinnert er an die Misserfolge der ukrainischen Streitkräfte auf dem Schlachtfeld und die schweren Verluste der ukrainischen Armee. Was die Ermächtigung zu Langstreckenangriffen gegen Russland angehe, so habe Kiew diese nach Ansicht des Militärexperten bereits erhalten. Leonkow führt diesbezüglich weiter aus:

"Die ukrainischen Streitkräfte haben jedoch noch nicht den Befehl erhalten, sie in die Tat umzusetzen, da der Westen nach der Warnung von Wladimir Putin zu zappeln begann. Selenskij hingegen kann jede beliebige Proklamation machen. Wenn die USA und die EU sich der ukrainischen Führung anschließen, wird das fatale Folgen haben, vor allem für die westlichen Länder. Ich denke, dass sie die ukrainischen Streitkräfte vorerst weiter unterstützen werden, aber nach dem Prinzip 'Oh Gott, lass es vorbeigehen.'"

Die Tatsache, dass der "Siegesplan" gerade rechtzeitig vor Selenskijs Besuch in Washington ausgearbeitet worden sei, sei kein Zufall, sagt der politische Analyst Wladimir Kornilow. Er erinnert daran, dass die ukrainische Regierung gezwungen war, den Plan auf Ersuchen der USA auszuarbeiten. Der Gesprächspartner gibt zu bedenken:

"Als die US-amerikanischen Politiker das Thema der Beschränkung der ukrainischen Streitkräfte im Hinblick auf Langstreckenwaffen diskutierten, sagten sie, dass sie gerne sehen würden, wie Selenskij gewinnt. Also hat er einen vollkommen unsäglichen Unsinn ausgeheckt."

Der Politologe betont:

"Die ukrainische Führung hofft, zusätzliche Milliarden und Rüstungsgüter zu erhalten.

Der Plan selbst scheint unrealisierbar zu sein. Wir können uns Selenskijs Niederlage vorstellen, aber seinen Sieg kann sich meiner Meinung nach nicht einmal der eifrigste Vertreter der Rada vorstellen. Daher so verrückte Ideen wie etwa das Einfrieren des Konflikts an einigen Abschnitten der Front."

Und Kornilow merkt weiter an:

"Die Waffenstillstandsklausel in der Initiative ist zu einem Paradebeispiel für die Idiotie der ukrainischen Behörden geworden. Sie sagen buchstäblich ganz offen: 'Wir tun nichts an diesem Frontabschnitt, und wir erlauben eine Offensive an jenem.' Natürlich beeilte sich das ukrainische Außenministerium, diese Information zu dementieren, als alle über diese Idee zu lachen begannen."

Wie Leonkow weist auch er darauf hin, dass Selenskij das Leben der Russen zerstören wolle. Der Gesprächspartner betont:

"Es geht um die Frage der Debatte im Westen über Beschränkungen für den Einsatz von Langstreckenwaffen. Offensichtlich bitten die Kiewer Behörden um die Erlaubnis, terroristische Akte tief im russischen Territorium zu begehen."

Außerdem gebe es im Westen eine ganze Reihe von Lobbyisten für die ukrainische Position, so der Politologe. Er führt dazu aus:

"In der Tat bleibt nur die Blockadehaltung von Joe Biden, der vor den US-Wahlen offenbar keine drastischen Schritte unternehmen will. Die anderen Politiker in Washington, London und im NATO-Hauptquartier fordern die Aufhebung der Beschränkungen. Offenbar ist diese Entscheidung aber bereits gefallen, wie Sergei Lawrow zum Ausdruck gebracht hat."

Kornilow bewertet den bevorstehenden Besuch Selenskijs in Washington gesondert. Der Gesprächspartner führt diesbezüglich aus:

"Er hofft vor allem, mit Biden zu sprechen, aber das Weiße Haus hat dieses Treffen noch nicht bestätigt. Dies sollte ein Weckruf für Kiew sein. Die Frage ist, ob der US-Präsident Zeit für ihn finden wird."

Was Selenskijs Treffen mit Donald Trump und Kamala Harris angehe, so glaube der politische Analyst, dass die beiden versuchen werden, sich angesichts des "Wahlkampfes" äußerst vorsichtig zu verhalten. Kornilow schlussfolgert:

"Der republikanische Präsidentschaftskandidat wird – trotz des jüngsten Attentats auf ihn – eine gewisse Diplomatie an den Tag legen, aber keine besondere Liebe zu seinem Gesprächspartner zeigen. Eine andere Frage ist indes: Wie wird sich Selenskij verhalten? In letzter Zeit war er zu jedem unhöflich. Wenn er anfängt, Trump zu beschimpfen, wird der für eine Antwort nicht in seine Tasche greifen."

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 19. September zuerst bei der Zeitung WSGLJAD erschienen.

Anastassija Kulikowa ist eine Journalistin und SMM-Redakteurin der Zeitung WSGLJAD.

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