Friedrich Merz: Ein "neoliberaler Amokläufer" wird Kanzlerkandidat
Von Susan Bonath
Arrogant kokettiert er mit seinem Millionenvermögen, während er Arme verachtet. Mit Verschwörungsmythen über Russen, Chinesen und andere "Bösewichte" rührt er die Kriegstrommeln. Von Arbeitsrechten hält er so wenig wie von auskömmlichen Renten. Seine Leidenschaft gilt dem Privatisieren von Gemeingütern, dem Stutzen des Sozialstaats und dem Fördern der Reichen: Der marktradikale Atlantik-Brückler, Ex-BlackRock-Aufsichtsrat und CDU-Chef Friedrich Merz könnte nun bald Bundeskanzler werden.
Schon mit seiner Wahl vor zweieinhalb Jahren zu ihrem Parteivorsitzenden, jetzt mit seiner "Krönung" zum Kanzlerkandidaten steckte die CDU ihre Prämissen wohl endgültig neu: Statt wenigstens noch so zu tun, als sei sie nah an der Bevölkerung, setzt sie jetzt offensichtlich auf spätfeudale Dekadenz in ihrer Führungsriege. Dafür ist Merz ganz zweifellos der Richtige.
Kriegstrommeln und Feindbildmythen
Dass rechte Hardliner wie Merz, den der sogenannte Arbeitnehmerflügel seiner Partei, CDA, schon 2004 als "neoliberalen Amokläufer" bezeichnete, grundsätzlich Freunde von Rüstungskonzernen und Militarismus sind, verwundert freilich nicht. Erstaunt kann man höchstens darüber sein, in welcher Windeseile sich diese Gedanken inzwischen in der ehemaligen Arbeiterpartei SPD und bei den angeblichen "Friedenstauben", den Grünen, festgesetzt haben.
Wie der deutsche SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius schwadroniert auch Merz in seiner Funktion als CDU-Chef von einer "Zeitenwende": Weil plötzlich überall "böse Feinde" lauerten, müsse Deutschland aufrüsten, was das Zeug hält. Die Bundeswehr gehöre "in die Mitte der Gesellschaft", trommelte Merz vergangenes Jahr.
In bekannter Propagandamanier fantasiert auch er von einem "russischen Imperialismus" – den aggressiven Real-Imperialismus des Westens mit seiner ausbeuterischen Wirtschaftspolitik und seinem expandierenden Militärbündnis NATO geflissentlich ignorierend. Angeblich bedrohten überdies "Autokratien wie China und Nordkorea" die "westlichen Werte", wie Merz im Juni 2024 nochmals betonte. Wie er darauf kommt, bleibt sein Geheimnis. Das ist das Wesen von Propaganda: Wer nur Ängste schüren will, braucht keine Fakten.
Aufrüsten und Israel-Gefolgschaft
Hardliner Merz will den Militäretat weiter anheben und Waffenexporte in Kriegsgebiete erleichtern. Im ARD-Sommerinterview im Juli verlangte er nach "mehr Tempo bei der Aufrüstung der Ukraine" gegen das angeblich "Böse" schlechthin: Russland.
Als ob die deutsche "Staatsräson", einst eher so nebenbei ausgerufen von Ex-Bundeskanzlerin und Merz´ Parteikollegin Angela Merkel, noch nicht genüge, bekräftigten er und die Unionsparteien CDU und CSU trotz mutmaßlichen Völkermords im Gazastreifen vor ein paar Monaten überdies, "unverrückbar an der Seite Israels" zu stehen.
Kein Wort verlor Merz dabei zur israelischen Aggression. Dazu gehört auch der Bombenangriff auf ein iranisches Konsulat in Syrien. Der Schuldige an allem steht für ihn fest: Iran, das in Reaktion darauf mit Ankündigung Raketen auf Israel feuerte. Merz' Plan: Mehr Sanktionen gegen das ohnehin schon bis zum Bersten sanktionierte Land. Dass diese auch Millionen Iraner arm halten: Was kümmert's Friedrich Merz.
Sozialdarwinismus à la Merz
Die Armen haben diesen Kanzlerkandidaten noch nie besonders interessiert. Als "neoliberaler Amokläufer" mit arg sozialdarwinistischem Einschlag setzt er sich stets gegen deren Interessen rege ein, zum Beispiel für Privatisierungen der Wirtschaft – auch in Bereichen der Grundversorgung und öffentlichen Daseinsfürsorge. Krankenhäuser und Pflegeheime sind für ihn keine Gemeinwohleinrichtungen, sondern Profitmaschinen.
Seit langem plädiert der millionenschwere CDU-Mann für das Kürzen von Sozialleistungen. Im Jahr 2002, als die Agenda 2010 und das Hartz-IV-Konzept bereits in der Schublade lagen, schwang er bereits die große Keule gegen Arme. Er forderte, die Sozialhilfe massiv zu kürzen und zugleich – wer hätte das gedacht – die Reichensteuern weiter abzusenken.
Seiner harten Linie gegen Unterprivilegierte verlieh er immer wieder öffentliche Aufmerksamkeit. So lobte Merz etwa 2008 eine "Studie" neoliberaler Ökonomen, die einen Hartz-IV-Regelsatz von monatlich 132 Euro für ausreichend erklärte. Dies nannte er dann demagogisch eine "Offensive für die soziale Marktwirtschaft". Er werde, so fabulierte er, "für die moralische Überlegenheit unserer Wirtschaftsordnung kämpfen". Seine große Furcht damals: Sozialistische Fantasien der "kleinen Leute".
Soziale Zeitenwende: Zurück ins 19. Jahrhundert
Ginge es nach Friedrich Merz, sollen die "kleinen Leute" am besten billig arbeiten und die Klappe halten. Vor drei Jahren zum Beispiel lobte er eine Arbeitspflicht für Arbeitslose wie in Dänemark. Für mickrige Sozialleistungen sollten diese also wie dort 37 Wochenstunden ableisten. Auf Bürgergeldniveau bekämen die Betroffenen dann etwa sechs bis sieben Euro pro Stunde – Mindestlohn ade.
Vom Recht auf Arbeitskampf für Lohnerhöhung hält er dabei gar nichts. Anfang dieses Jahres hetzte er gegen streikende Eisenbahner und forderte politische Einschränkungen und Verbote gegen solche Kämpfe. Mit anderen Worten: Arbeitslose will Merz demnach als Lohndrücker benutzen und den Beschäftigten dann zusätzlich verbieten, für ihre Rechte zu kämpfen. Das wäre dann wohl eine soziale "Zeitenwende" zurück ins 19. Jahrhundert.
Egal sind dem rechten CDU-Hardliner freilich auch die Kinder der Benachteiligten. Nicht nur auf Druck der Ampel-Partei FDP verkümmerte das großspurig von SPD und Grünen verkündete Projekt "Kindergrundsicherung" zu einer bloßen Phrase. Seine Fraktion forderte schon letztes Jahr den völligen Verzicht auf die ohnehin nicht üppig geplanten Hilfen für besonders arme Kinder.
Wenig später legte Merz noch eins drauf: Deutschland könne sich "das sogenannte Bürgergeld nicht mehr leisten", ätzte er. So sollen also offensichtlich Langzeitarbeitslose hungern und unter Brücken kampieren, die dann hoffentlich nicht einstürzen wie in Dresden – was kümmert es den Millionär?
Arme ärmer machen – für bessere Brücken
Um die Brücken immerhin will Friedrich Merz sich kümmern, wenn da nur nicht die Schuldenbremse wäre. Die könne man nicht einfach aufheben, raunte er, sondern müsse dann "an anderer Stelle sparen": bei den Sozialausgaben. Kurz gesagt: Arme sollen ärmer werden, um marode Brücken und Straßen zu sanieren. Das klingt ein wenig wie Erpressung.
Für bessere Brücken – und mehr Steuergeschenke für die Reichen – nimmt Merz auch Rentner in die Verantwortung. Immer wieder sorgt er mit bekannten Vorschlägen aus den neoliberalen Denkfabriken für Schlagzeilen. 2023 etwa legten er und seine CDU-Mitstreiter ein Papier vor, in dem sie dafür plädierten, das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung zu koppeln.
Man könnte es salopp wohl so ausdrücken: Wenn Millionäre wie Merz künftig im Schnitt 90 Jahre alt werden, sollen Bauarbeiter bis 70 arbeiten – und dann wohl am besten gleich tot umfallen.
BlackRock, Atlantikbrücke und Co.
Existenzielle Probleme im Alter wird Merz jedenfalls nicht bekommen. Anders als viele schwer Arbeitende hat er seine Schäfchen im Trocknen. Seine Haupttätigkeit ist nämlich hoch bezahlter Lobbyist. Bis vor wenigen Jahren war er zum Beispiel Aufsichtsratschef des deutschen Ablegers des Vermögensverwalters BlackRock.
Eine goldene Nase verdiente er sich unter anderem in gleicher Stellung beim Köln-Bonner Flughafen, als Vorsitzender der Atlantik-Brücke und als sogenannter "Beauftragter für die Folgen des Brexit und die transatlantischen Beziehungen der nordrhein-westfälischen Landesregierung" – und das ist längst nicht alles.
Als kürzlich die Augsburger Allgemeine berichtete, Merz sei "einst Wirtschaftslobbyist" gewesen, war das wohl ein wenig untertrieben. Bis heute sitzt er nicht nur in der Atlantik-Brücke, sondern auch noch in anderen lukrativen Gremien. Und nebenbei betreibt er mit seiner Gattin eine Stiftung.
Millionär verhöhnt die Mittelschicht
Und wenn man denn schon Millionär ist, kann man, so denkt er sich vielleicht, damit auch schon mal andere verhöhnen. Im Jahr 2018 kokettierte Merz in einem Bild-Interview mit seinem Status. Damit gehöre er angeblich noch "zur Mittelschicht". Das ist natürlich lächerlich, was jedem "Mittelschichtler" klar sein dürfte. Wenig später konkretisierte er, sein Einkommen betrage "rund eine Million Euro brutto" pro Jahr.
Umgehend spekulierte die Presse rauf und runter: Ist das schon Oberschicht oder noch nicht so ganz? Und: Gehören Friedrich Merz nicht nur Immobilien, sondern auch zwei Privatflugzeuge? Das hat ein bisschen was von jenem Voyeurismus, den die Klatschpresse im Vereinigten Königreich ihrem Adel zukommen lässt.
Spätfeudale Dekadenz
Dieser Rückschritt in eine Art der spätfeudalen Dekadenz erinnert an die Zustände in den USA. Ohne mindestens ein paar Millionen in der Hinterhand und gut gefördert aus betuchten Kreisen schafft man es dort nicht mal mehr in die zweite Riege der Regierung. Das Nachahmen der US-Politik ist in Deutschland bekanntlich ein ungeschriebenes Programm.
Mit Friedrich Merz als neuem Bundeskanzler wäre diese Hürde nun wohl auch genommen. Um zahlungskräftige Sponsoren müssen sich solch "neoliberale Amokläufer" wohl keine Sorgen machen. Ihre einstigen Vordenker, wie beispielsweise Milton Friedman, Friedrich-August von Hayek, Margaret Thatcher und Augusto Pinochet würden jetzt wohl gemeinsam die Champagnerkorken knallen lassen, wenn sie könnten. Zurück in die Zukunft? Die Milliardäre im Silicon Valley und darüber hinaus wird's freuen.
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