Gedanken des Balkonisten – Warum Katzenfutter und unbequeme Nachrichten teilweise liegen bleiben
Eine Lesermeinung von Mikhail Balzer
Es gibt wenige Dinge, die unseren sonst so ruhig, klar und zielgerichtet denkenden Balkonisten aus der Ruhe bringen können. Eines davon kann ihn aber morgens gar vom Zubereiten des heiß geliebten Milchkaffees abhalten: eine größere Menge angetrockneter, klebriger Reste des keineswegs billigen Katzenfutters im Futternapf von Murr III. Weil Katzen stets ihre Mitbewohner erziehen, wird Michael nun genötigt, zuallererst den Napf zu säubern. Ansonsten würde Kater Murr III. auch die hinzugegebene Ration ebenso ignorieren gemäß dem Motto:
"Ein edler Herr isst nicht vom verschmutzten Teller!"
Ebenso wie manchmal ein quasi unbearbeiteter Rest teuren Katzenfutters übrig bleibt, so scheinen relevante Nachrichten in den Medien gelegentlich einfach mal liegen zu bleiben. Oder diese werden dann doch notgedrungen, aber gerne irgendwie bruchstückhaft und verzögert präsentiert (nun ja, wer, analog Kater Murr III, konsumiert noch abgestandene Meldungen vom Vortag?). Vielleicht hat dort im Redaktionsbüro oder im Fernsehstudio auch nur jemand vergessen, den Präsentierteller (also den Schreibtisch) zu säubern und aufzuräumen? Oder ist es wie beim Kater: Einmal ein Gefühl der Übersättigung, ein anderes Mal eine Nachlässigkeit, eine Überheblichkeit oder auch nur eine allgemeine Zerstreutheit, die solcherlei bewirkt? Es ist und bleibt ein Rätsel, und hier scheinen des Balkonisten Analogieschlüsse nicht mehr zu greifen …
Eine solch rätselhafte Berichterstattung betrifft nun die aktuelle Reise des deutschen Bundeskanzlers nach Zentralasien. Am müßigen Sonntag lief alles noch regulär und synchron ab – Geschehnis und zeitnahe Information des Publikums. So wurde beinahe instantan auf allen Kanälen und überreichlich der gelungene Abschluss eines Migrationsabkommens mit Usbekistan vermeldet. Dies in fast schon überschwänglichem Grundtenor, wie nachfolgend auch über die in Deutschland nun doch machbaren und nunmehr als notwendig erachteten Grenzkontrollen (worüber die Nachbarländer übrigens nur teilweise entzückt sind).
Alles, was ein wenig überschwänglich und redundant daherkommt, weckt leider die Skepsis unseres Balkonisten:
"Gertrude, wir müssen mal herausfinden, wie viele Migranten aus oder via Usbekistan tatsächlich nach Deutschland gelangen!?"
"Michael, siehst Du nicht, dass ich gerade eine Torte zubereite und für Deine Eulenspiegeleien wirklich keine Zeit habe?!"
Nun gut, hier wie dort beinhaltet eine negative Antwort wenigstens auch eine Information – mag sich unser Balkonist hierauf gedacht haben. Aber was ist, wenn über internationale Geschehnisse nicht oder nur teilweise berichtet wird?
So geschehen am arbeitsamen Montag, als der Regierungschef Deutschlands planmäßig nach Astana, der Hauptstadt Kasachstans, weiter gereist war, um dort Präsident Qassym-Schomart Toqajew zu treffen. Hier wurden zudem nicht unbedeutende Vereinbarungen über die Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen getroffen. Es fand jedoch auch ein Gespräch beider Regierungschefs statt über verschiedene ökologische, wirtschaftliche, kulturelle und eben (geo-)politische Themen und auch zur Situation um die Ukraine. Aus den kasachischen Nachrichten (der Balkonist fand diese lesenswerten Informationen in den Astana Times) ließen sich die Gesprächsinhalte recht dezidiert entnehmen, nachdem der kasachische Präsident mit freundlichen und wertschätzenden Willkommensgrüßen den Besuch des deutschen Kanzlers als historischen Moment gewürdigt hatte.
Im Verlauf antwortete Toqajew ungewöhnlich ausführlich auf die Frage von Olaf Scholz nach einer Lösung der Situation um die Ukraine. Dies mit wohl gewählten und besonnenen, aber doch eindeutigen Worten – und vielleicht im Duktus etwas überraschend für seinen deutschen Partner (oder/und die mitreisenden deutschen Journalisten). So betonte der Präsident Kasachstans, dass es Fakt sei, dass Russland vom militärischen Standpunkt aus betrachtet unbesiegbar ist. Eine weitere Eskalation der Situation bringe irreparable humanitäre Konsequenzen für alle und mehr noch für die am Krieg Beteiligten. Leider wäre die gute Gelegenheit, zumindest für eine Feuerpause, durch die Ablehnung der Unterschrift unter den Istanbuler Vereinbarungen versäumt worden.
Toqajew erklärte zugleich, dass es immer noch die Möglichkeit gebe, einen Frieden zu vereinbaren, und man solle sorgfältig alle Friedensinitiativen der verschiedenen Länder unterstützen, insbesondere die von Brasilien und China. In der bemerkenswerten, abschließenden Erklärung wies der kasachische Präsident darauf hin, dass (politische) Führer der Länder kommen und gehen, aber die Nationen, insbesondere die miteinander benachbarten, müssten in Frieden und gegenseitigem Verständnis leben. Kasachstan und Russland teilten die längste Landgrenze der Welt, wobei er betonte, dass sich die Kooperation zu Russland in strategischer Partnerschaft und in den Allianzen weiterentwickele. Nichtsdestotrotz habe Kasachstan ebenso Sympathie für die ukrainische Bevölkerung und deren einzigartige Kultur und es habe nie Missstimmungen zwischen den beiden Ländern gegeben.
Soweit die Informationslage aus der kasachischen Hauptstadt Astana. Aber was wird zum Beispiel für "die Zuschauer der ersten Reihe" und im (besten) Ersten Deutschen Fernsehen ab 20 Uhr berichtet? Um es kurz zu machen: gar nichts! Mehr als die Hälfte der Sendezeit wird der bedrohlichen Hochwasserlage in Europa gewidmet und der bedeutsam anmutenden Meldung, dass eine Verfassungsbeschwerde gegen die Klimapolitik der Bundesregierung eingereicht wurde. Letzteres wird klimatisch phänomenal eingeleitet mit einer Aussage in eher leichter Sprache:
"Immer mehr extreme Wetterereignisse – nach Auffassung von Wissenschaftlern hängt das mit dem Klimawandel zusammen …"
Wie hoch die vermehrte CO₂-Emission allein durch europäische Waffenlieferungen und deren Einsatz in der Ukraine ist, sollte man jene nicht näher bezeichneten Wissenschaftler (ebenso nicht bezeichneter Fachgebiete) mal fragen. Womöglich käme man dann aber auf die oben genannten Aussagen des kasachischen Präsidenten zu den Folgen des Krieges zu sprechen?! In der schreibenden Presse (zum Beispiel von der Chefkorrespondentin aus dem Hauptstadtbüro des RND – wohlgemerkt nicht aus dem Büro in der Hauptstadt Kasachstans oder wenigstens einer zentralasiatischen Kapitale) erfährt man angedeutet und bisweilen umgedeutet vage Hinweise auf den Gesprächsinhalt. Immerhin geben einige die Aussage des kasachischen Präsidenten wider, dass "Russland in militärischer Hinsicht unbesiegbar ist" sowie auch seinen Hinweis auf die bedrohlichen Folgen einer weiteren Eskalation des Konfliktes für alle.
Dem Balkonisten mutete dies alles an, als wären hier nicht nur kleine Reste des informativen Futters vom Vortag liegen geblieben. Vielleicht sollte man hierzu einige nicht näher bezeichnete wissenschaftliche Fachexperten um medialen Rat fragen, oder eben eine Reinigungsfachkraft einstellen, die die Schreibtische gelegentlich aufräumt?
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