Wahlen in Ostdeutschland: Wen interessiert schon der Ukraine-Krieg?
Von Tom J. Wellbrock
Für die Ampelregierung sind die Wahlen in Ostdeutschland eine Katastrophe, und selbst diese Bezeichnung erscheint noch zu harmlos. Alle drei Ampelparteien sind gnadenlos abgeschmiert, die FDP wurde in der TV-Berichterstattung zeitweise unter "Sonstige" eingeordnet. Die Erklärungen für dieses Desaster beginnen beim Attribut "irgendwie niedlich" und enden bei "komplett durchgeknallt". Interessant auch, dass die abgestraften Parteien "die nächsten Tage" für die Analyse der Ergebnisse nutzen wollen. Das wird zu wenig sein, denn die Gründe für die Niederlagen sind in der Politik der letzten Jahre zu finden, da dürften ein paar Tage Rätselraten kaum ausreichen.
Andererseits wissen wir ja, was gemeint ist. Man geht ein paar Tage in sich, dann vor die Presse und am Ende heraus aus dem Rampenlicht, um weiterzumachen wie bisher. Früher – die Älteren werden sich erinnern – gab es nach Wahlen mit vergleichbarem Ausmaß personelle Konsequenzen. Bis heute ein Politiker zurücktritt oder gefeuert wird, müssen Sonnenunter- und -aufgang gleichzeitig stattfinden, und selbst dann wäre nichts sicher.
Die zutiefst die Demokratie verachtenden Debatten darüber, dass es keinesfalls eine Regierung mit der Beteiligung der AfD geben wird, ist schon ein starkes Stück. Man beschließt einfach, eine demokratisch gewählte Partei zu einer nicht demokratischen Partei zu machen und stellt damit auch gleich die gesamte Wählerschar in die Ecke von so bezeichneten Faschisten oder solchen, denen dieser Faschismus egal ist.
Aber warum haben die Menschen in Thüringen und Sachsen eigentlich gewählt, wie sie gewählt haben?
Eine Wahl gegen den Krieg!
Nach der Landtagswahl in Thüringen hat CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt eine Analyse, die sich gewaschen hat, aber trotzdem stinkt. Das BSW hatte im Wahlkampf den Ukraine-Krieg in den Fokus gerückt und angekündigt, bei möglichen Koalitionen die Haltung zu diesem Krieg als Grundlage für Gespräche zu machen. Auch die geplante Stationierung von neuen US-amerikanischen Raketen hatte das BSW zum Thema gemacht. Aber den Erwartungen des theoretischen Koalitionspartners BSW zu Verhandlungen über die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland trat Voigt energisch entgegen:
"Weltpolitik wird nicht in Thüringen entschieden."
Das stimmt so jedoch nicht ganz. Aber es ist nah dran, wenn man den Satz ein wenig umformuliert:
"Über Weltpolitik wurde in Thüringen entschieden."
So wird ein Schuh draus, denn insbesondere im Osten Deutschlands ist der Wunsch nach einem Ende des Ukraine-Kriegs ausgesprochen ausgeprägt und die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen ist den Ostdeutschen ebenfalls ein Gräuel. Die Wahlen in Ostdeutschland waren keine Wahlen mit regionalen Themen. Die mögen hier und da bei Wahlentscheidungen eine Rolle gespielt haben. Aber man muss kein Genie sein, um sich festlegen zu können bei der Analyse, dass die Ostdeutschen sich mit ihren Wahlentscheidungen gegen die Bundespolitik gestellt haben.
Wer spricht sich denn für die Verhandlungen im Ukraine-Krieg aus? AfD und BSW. Wem tropft dagegen der bellizistische Speichel seit Februar 2022 dauerhaft aus den Mundwinkeln? SPD, Grünen und FDP. Also, ja, die Ostdeutschen haben ihre Stimmen zu einem wesentlichen Teil an der Weltpolitik ausgerichtet.
Leider, muss man sagen, haben die Wähler die ebenfalls bellizistische Grundhaltung der CDU ignoriert. Dennoch überrascht das nicht, und es bedeutet auch nicht, dass die Wähler nicht die Kriegspolitik der Bundesregierung abgestraft haben. Man muss den Ostdeutschen viel Konsequenz attestieren, aber so viel, dass nun auch die CDU ins Bodenlose fällt, war nicht drin. Man darf ja auch nicht vergessen, dass die CDU im Bund die Opposition darstellt, schon allein dieser Status dürfte geholfen haben, ihr viele Stimmen im Osten zu bescheren. Hauptsache, gegen die Bundesregierung ist nicht das einzige Argument für die Wähler gewesen, aber doch eines, das schwer wiegt.
Was macht das BSW jetzt?
Das BSW steht fürs Regieren zur Verfügung, das ist klar. Aber selbst, wenn vielleicht in Zukunft hier und da mal für einen Antrag der AfD entschieden wird (etwa, wenn es um die Frage geht, ob 2 + 2 = 4 ist), scheint eine Koalition für das BSW kategorisch ausgeschlossen.
Welche Voraussetzungen kann es also geben, um in eine Koalition mit wem auch immer zu gehen? Mario Voigt hat ja recht, wenn er sagt, dass Weltpolitik nicht in Thüringen entschieden wird. Aber wie wichtig ist den Wählern das im Vorfeld der Wahlen getätigte Versprechen des BSW, man wolle nur Koalitionen eingehen, wenn Koalitionspartner auf Unterstützung der Ukraine gegen Russland verzichten? Wahlkampftaktisch war das äußerst klug, denn Wagenknecht weiß natürlich, wie wichtig der Ukraine-Krieg für die Wähler in Ostdeutschland ist. Was aber bleibt jetzt, nach der Wahl, von dieser griffigen Forderung übrig?
Und überhaupt: Was passiert jetzt weiter? Werden alle Parteien Koalitionen mit der AfD ausschließen (was das demokratische Prinzip von Wahlen auf den Kopf stellt und somit ad absurdum führt)? Ja, so wird es wohl kommen, keine der Parteien traut sich, mit einer Partei zu koalieren, die kollektiv aus dem erlauchten Kreis der "demokratischen Parteien" entfernt wurde. Wird das BSW tatsächlich nur Koalitionsgespräche mit Parteien führen, die gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine sind? Das ist mehr als unwahrscheinlich, und selbst wenn das BSW das durchziehen würde, wäre flächendeckende Unregierbarkeit in Stein gemeißelt.
Man kann nur spekulieren, aber vermutlich läuft es darauf hinaus, dass sich eine wie auch immer geartete Koalition zusammenfinden wird, die weder auf Bundesebene noch auf Landesebene ernsthafte Veränderungen erzielen wird. Und die Tatsache, dass der AfD die eben noch vorhandene Sperrminorität wegen eines "Softwarefehlers" wieder entzogen wurde, trägt auch nicht gerade dazu bei, dass der Politikbetrieb in Ostdeutschland künftig ein bisschen spannender wird.
Tom J. Wellbrockist Journalist, Sprecher, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.
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