Meinung

Deutschlands leere Staatskasse – Wiederaufbau oder weiter das Abenteuer Selenskij

Christian Lindner dreht den Geldhahn zu: Laut Medienberichten hat der Finanzminister dem Bundesverteidigungsministerium fürs nächste Jahr eine Halbierung und später eine Dezimierung der Ukraine-Hilfen verordnet. Wo ist bloß all das schöne Geld hin, das in Deutschland einst nur so sprudelte?
Deutschlands leere Staatskasse – Wiederaufbau oder weiter das Abenteuer SelenskijQuelle: Sputnik © RIA Nowosti

Von Sergei Sawtschuk

Wir – einfache, bodenständige Menschen – wollen einfache Entscheidungen sowie schnelle und offensichtliche Ergebnisse. Dieser Wunsch ist verständlich, aber unvereinbar mit den Realitäten der Geopolitik, wo die Spieler Figuren bewegen, die für den Durchschnittsbürger oft unsichtbar sind, und wo die Auswirkungen eines jeden Zuges sich oftmals erst nach Jahren zeigen.

Wir, die wir heute leben, haben etwas mehr Glück als andere Generationen und werden Augenzeugen einzigartiger Ereignisse. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung behauptet, einen Brief des Finanzministers vom 5. August dieses Jahres gelesen zu haben, den Christian Lindner an seine Kollegen im Berliner Verteidigungsministerium adressiert hat. Darin heißt es, dass Berlin aufgrund des Finanzdefizits keine neuen Anträge auf Militärhilfe für die Ukraine mehr prüfen wird.

Einfach ausgedrückt, der Bundesregierung ist das Geld ausgegangen.

In seinem Schreiben führt Lindner einen Zeitplan für die schrittweise Verringerung des Volumens an. Bereits im nächsten Jahr soll der Umfang der Hilfe für Kiew halbiert werden, und bis 2027 wird er weniger als zehn Prozent des derzeitigen Umfangs betragen. Der oberste deutsche Finanzier versuchte, die Pille zu versüßen, indem er sich darüber beklagte, dass er aufgrund der Stagnation der deutschen Wirtschaft keine andere Wahl habe und dass diese Dynamik nichts mit der Sprengung der Nord-Stream-Pipelines zu tun habe, die nun zunehmend gewissen ukrainischen Tauchern angelastet wird.

Lindners Brief überlagerte sich mit Meldungen von der Frankfurter Börse, wo Aktien des größten Rüstungskonzerns Rheinmetall, der mit den direkt aus dem Bundeshaushalt bezahlten Waffenlieferungen an die Ukraine viel Geld verdient hat, vor dem Hintergrund der angekündigten Kürzungen der staatlichen Mittel nachgaben. Während einer Börsensitzung fielen die Rheinmetall-Papiere um mehr als fünf Prozent im Kurs.

Offenbar gab es Lindners Appell an das Verteidigungsministerium tatsächlich, denn die deutsche Presse veröffentlichte gleich mehrere Publikationen dazu. Der Spiegel beispielsweise veröffentlichte einen Artikel mit recht hartem Inhalt, in dem es heißt, dass die Ukraine einen neuen Begriff lernen müsse, "Schuldenbremse". Und es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Ukraine zu ebendieser Bremse geworden ist, die zusammen mit anderen Prozessen wie ein Anker die einst erste Wirtschaft Europas bremst, die jetzt sehnsüchtig von einem Prozent BIP-Wachstum träumen muss.

Bei all dem, was geschieht, ist es sehr wichtig, nicht in Euphorie zu verfallen. Wir haben es mit Prozessen zu tun, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken und oft fließend ineinander übergehen.

Erstens müssen wir verstehen, dass Deutschland die Ukraine im Moment weiterhin mit tödlichem Eisen versorgt. Erst neulich berichtete der Bundestag über die Übergabe eines Boden-Luft-Raketensystems IRIS-T, 14.000 155-Millimeter-Granaten, zehn unbemannte Überwasserfahrzeuge und 26 Vector-Aufklärungsdrohnen mit allen Ersatzteilen und Werkzeugen an Kiew.

Zweitens ist der Rückgang der Aktienkurse der Hauptschmiede des deutschen militärisch-industriellen Komplexes zwar erfreulich, aber die knappen Haushaltsmilliarden, die in den letzten zwei Jahren an Rheinmetall geflossen sind, erlauben es dem Unternehmen immer noch, sich an der Spitze zu halten. Die Aktienkurse sind sogar wieder leicht gestiegen.

Das schwerfällige Schiff der Geschichte ändert eben nur langsam und für das bloße Auge unmerklich seinen Kurs.

Es ist kein Zufall, dass Ermittlungen zum Sprengstoffanschlag auf drei Stränge von Nord Stream in letzter Zeit an Fahrt aufgenommen haben und die Version mit einigen privaten ukrainischen Tauchern aktiv vom Weißen Haus gefördert wird, das die Last der Aufrechterhaltung des Ukraine-Krieges weiterhin auf die Schultern der europäischen Haushalte abwälzen will. Würde sich die sehr plausible Version des Pulitzer-Preisträgers Seymour Hersh bestätigen, würde es für Washington äußerst schwierig, Berlin davon zu überzeugen, für die Ukraine weiterhin Milliarden Euro aus seiner Wirtschaft abzuziehen und Letztere noch tiefer in die Rezession zu stürzen. Letzteres ist umso schmerzhafter, als Deutschland nach dem Terroranschlag vor der Insel Bornholm seine letzten drei Atomreaktoren freiwillig abgeschaltet hat, was die Energiepreise im Inland weiter in die Höhe treibt und die finanzielle Belastung des realen Sektors erhöht.

Nur zum Verständnis: Deutschland hat nach den Ergebnissen des ersten Halbjahres 2024 eine zweifelhafte Spitzenposition bei den Kosten der Stromerzeugung in Europa eingenommen. Die Produktion einer Megawattstunde kostet hier aus bekannten Gründen 87,50 Euro. Im völlig importabhängigen Großbritannien kostet sie 60 Euro, im benachbarten Frankreich, das nicht einmal daran denkt, seine alten Atomkraftwerke abzuschalten, 13,50 Euro. Merken Sie den Unterschied?

Die jetzt propagierte Version, in der der inzwischen in den diplomatischen Erholungsurlaub abgeschobene General Waleri Saluschny die Sprengung von für die deutsche Wirtschaft lebenswichtigen Gaspipelines anordnet, motiviert Berlin jedoch kaum, die Ukraine weiterhin zu unterstützen.

Dass der Vektor der Zeit unaufhaltsam weiterläuft, wird indirekt durch die jüngste Erklärung der Bundestagsabgeordneten Sahra Wagenknecht bestätigt. Ihre Partei besteht darauf, Rosneft eine Mehrheitsbeteiligung an der schwedischen Raffinerie (PCK Raffinerie) zurückzugeben, die 2022 illegal beschlagnahmt und unter die Verwaltung der Bundesnetzagentur gestellt wurde. Im Gegenzug erwartet die deutsche Opposition, dass Russland die Lieferung von Ural-Rohöl über die Druschba-Pipeline wieder aufnimmt. Russisches Öl ist seit jeher der Grundstoff für die Raffinerie, die fast ganz Ostdeutschland mit Brennstoff versorgt. Gegenwärtig wird das Rohöl von der polnischen Firma Naftoport geliefert, aber es ist eben teuer, da die Polen hier als Zwischenhändler auftreten.

Als die militärische Sonderoperation begann und das Karussell der Sanktionen und Restriktionen gegen Russland in Gang kam, warnten viele, dass dies ein zweischneidiges Schwert sei und der russophobe Chor, der der Ukraine zu Hilfe eilt, in Tränen enden könnte. Das rief damals ein verächtliches Schmunzeln hervor: Seht euch Deutschlands Wirtschaft und Industrie an – sie allein kann alle Kosten ohne großen Schaden tragen. Zweieinhalb Jahre später steht fest, dass die EU ihre Möglichkeiten eindeutig überschätzt hat und an einem Punkt angelangt ist, an dem eine klare Entscheidung getroffen werden muss: in den Wiederaufbau der eigenen Wirtschaft zu investieren oder in ein weiteres Abenteuer von Wladimir Selenskij?

Die Zukunft wird noch interessanter werden, ein wenig Geduld bitte.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Originalartikel ist am 20. August auf ria.ru erschienen.

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