Meinung

Nord Stream: Die Terroristen-Versteher

Putin-Versteher? Das ist etwas für Anfänger. Der Umgang mit den neuen Erkenntnissen über die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines offenbart in Deutschland eine neue Spezies: die Terroristen-Versteher.
Nord Stream: Die Terroristen-VersteherQuelle: Legion-media.ru © Credit: Mykhailo Polenok

Von Tom J. Wellbrock

Vorweg: Der Autor dieses Textes geht nicht davon aus, dass die Geschichte aus dem Wall Street Journal (WSJ) die letzte Wahrheit über die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines ist. Zumindest die Behauptungen, Selenskij und die CIA sollen den Stopp der geplanten Sprengungen gefordert haben, wirken mehr als naiv bzw. konstruiert und dienen offenkundig der vorauseilenden Weißwaschung der politischen Spitzen von USA und Ukraine.

Aber sei's drum, nehmen wir einmal an, dass das WSJ im Kern recht hat mit der Geschichte über eine Beteiligung der Ukraine, so ergibt sich doch ein sehr interessantes (man könnte auch sagen: verstörendes) Bild, wenn man auf die deutschen Reaktionen darauf schaut.

Der Haftbefehl

Man muss es in Anbetracht der allgemeinen deutschen Ermittlungsträgheit wohl als große Leistung bezeichnen, dass der Generalbundesanwalt einen Haftbefehl erwirkt hat. Der Ukrainer, um den es geht, konnte aber nicht verhaftet werden, da die Polen, denen der Haftbefehl zugestellt wurde, den Mann in Ruhe ließen, dieser dann unbehelligt in die Ukraine ausreisen konnte und dort jetzt womöglich in einer Hängematte bei einem kühlen Getränk dem deutschen Treiben zusieht. Denn die Ukraine liefert ihre Staatsbürger nicht aus (freut sich allerdings sehr, wenn ihre Staatsbürger ihr ausgeliefert werden, um im Krieg zu sterben).

Das Bemerkenswerte an dieser Nicht-Verhaftung ist die Reaktion der Sprecher der Bundesregierung auf der Bundespressekonferenz. Die dort anwesenden Journalisten zeigten sich entgegen ihrer sonstigen allgemeinen kritiklosen Spracharmut sehr interessiert an der Haltung der Bundesregierung. Stand sie im Kontakt mit Polen, gibt es einen Austausch mit der Ukraine, wird sich um eine Auslieferung des Ukrainers bemüht, für den ein deutscher Haftbefehl vorliegt?

Die Antwort verschiedener Sprecher lautete sinngemäß: Keine Ahnung! Stets wurde auf den Generalbundesanwalt verwiesen, der betreibe die Ermittlungen, an den müssten sich die Journalisten wenden, wenn sie etwas erfahren wollten. Die Bundesregierung hat also erstens mit dem Fall nichts zu tun und kann zweitens dazu nichts sagen, weil sie kein Interesse und keine Meinung hat. Die Tatsache, dass es sich bei den Sprengungen um Terroranschläge handelte, kümmert die Bundesregierung offenbar nicht.

Terroristen-Versteher mit Brille

Die Bundesregierung hüllt sich in Schweigen, für sie ist der Terror, der die Sprengung der Pipelines ermöglichte, keine große Sache. Sicher, ein direkter Angriff auf die deutsche Energieversorgung sollte eigentlich schon von Interesse sein, wenn man politischer Entscheider ist. Doch dem ist nicht so, und auch wenn die Bundesregierung selbst sich in korruptes Schweigen hüllt, müssen wir dennoch nicht auf eine Erklärung und Einordnung des Ganzen verzichten. Denn im Grunde ist überhaupt nichts passiert.

Das erklärt uns jedenfalls Roderich Kiesewetter (CDU), der zunächst einmal betont, dass zum Zeitpunkt des Anschlags überhaupt kein Gas durch die Pipelines transportiert wurde. Nord Stream 1 war laut Kiesewetter zunächst auf ein Minimum reduziert, danach sei der Betrieb ganz eingestellt worden, Nord Stream 2 hatte die Arbeit noch gar nicht aufgenommen, daher sieht der Erklär-Bär mit Brille auch keinen Anlass, die Pipelines überhaupt zu zerstören. Mit anderen Worten: Putins Kriegskasse wurde wegen fehlenden durchgeleiteten Gases nicht gefüllt, was wiederum dazu führt, dass die Ukraine keinen Grund gehabt habe, die Röhren in die "Luft" zu jagen. Eigenwillig, aber in der Gedankenwelt eines Roderich Kiesewetter wohl schlüssig.

Man muss dem Mann weiter lauschen und ihn wörtlich zitieren, um zu verstehen, wie in Deutschland mit Staatsterror oder auch dem Verdacht darauf umgegangen wird:

"Ich verteidige nicht die Ukraine, weil, wenn sie's war, ist es auch spannend, weil kein deutsches Eigentum beschädigt wurde, es war in internationalen Gewässern, also es gäbe keinen Rechtsfall gegen Deutschland."

Und jetzt kommt der Terroristen-Versteher ins Spiel:

"Außerdem ist die Ukraine die Angegriffene, die Sicherheit der Ukraine – egal, ob sie das zerstört haben oder nicht – ist in unserem Interesse. Mir geht es eher darum, eine vernünftigere, breite Recherche zu machen."

Halten wir fest: Selbst wenn der Terroranschlag von der Ukraine ausging, ist die weitere Unterstützung dieses abgrundtief korrupten politischen Systems mit Verdacht auf Terroraktivitäten auf die deutsche Infrastruktur für den Roderich eine Selbstverständlichkeit.

Das sind ausgesprochen gute Neuigkeiten für die USA. Die spielen zwar in Kiesewetters "vernünftiger, breiter Recherche" ohnehin keine Rolle. Doch sollte sich herausstellen, dass sie der Urheber der Anschläge waren, brauchen sie aus Deutschland nichts zu befürchten, weil ihre bloße Existenz mit allen Schweinereien, die das mit sich bringen könnte, in jeder Hinsicht "in unserem Interesse" ist.

Schimpfe aus Polen

Die Bundesregierung schweigt weiter, was sogar einen ZDF-Journalisten wundert und schockiert. In einem Interview mit einer Kollegin kann ZDF-Hauptstadtkorrespondent Andreas Kynast das laute Schweigen in Berlin nicht fassen. Er verweist auf die Seriosität des WSJ und betont, dass der Vertrauensverlust im Raum stehe und es jetzt nicht einfach so weitergehen könne. Der Mann wird sich wohl täuschen.

Dafür hat sich aber Polens Regierungschef Donald Tusk gemeldet. Der steht unter einem gewissen Druck (so weit man das zahnlose Ächzen aus Deutschland als Druckmittel verstehen will), weil der Tatverdächtige mir nichts, dir nichts in die Ukraine verschwinden konnte. Die fast schon bizarre Argumentation Tusks lautet:

"An alle Initiatoren und Schirmherren von Nord Stream 1 und 2: Das Einzige, was ihr jetzt tun solltet, ist euch entschuldigen und still sein."

So nachzulesen auf X. Man könnte diesen Tweet wohl wie folgt übersetzen: Wir waren immer schon gegen Nord Stream. Ihr habt die Dinger trotzdem gebaut, und jetzt sind sie kaputt und einer der Täter war bei uns, ist jetzt aber weg. Hättet Ihr Idioten Nord Stream gar nicht erst gebaut, hätten wir jetzt auch kein Problem.

Auch eine Form, mit Staatsterrorismus umzugehen. Man macht das Objekt der terroristischen Begierde durch seine Existenz für die Tat verantwortlich und bastelt sich so einen Grund, der den Terror erklärt und rechtfertigt.

Wie sagt man so schön in den sozialen Medien: Der Bundesregierung gefällt das.

Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.

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