Meinung

Strategiewechsel der USA? Das Wall Street Journal und die Ukraine

Als hätte man mit dem Trump-Attentat und dem ganzen restlichen US-Theater nicht schon genug Durcheinander in diesem Sommer, gibt es nun einen Artikel im Wall Street Journal, hinter dem sich eine ganze Kette möglicher Entwicklungen öffnet.
Strategiewechsel der USA? Das Wall Street Journal und die UkraineQuelle: www.globallookpress.com © IMAGO/ABACA

Von Dagmar Henn

Gestern hatte ich in einem Artikel dargestellt, was es eigentlich hieße, würde die Bundesregierung den Haftbefehl des Generalbundesanwalts zu Nord Stream wirklich ernst nehmen. Und heute erschien ein Artikel im Wall Street Journal (WSJ) mit folgendem Zitat von einem (wie üblich nicht näher benannten) "höheren deutschen Beamten, der mit dem Fall vertraut ist":

"Ein Angriff dieser Größenordnung ist ein ausreichender Grund, den Artikel der kollektiven Verteidigung der NATO auszulösen, aber unsere kritische Infrastruktur wurde von einem Land in die Luft gejagt, das wir mit massiven Waffenlieferungen und Milliarden an Bargeld unterstützen."

Im ganzen Artikel gibt sich der Autor weidlich Mühe, die Story rund um die Andromeda mit Details zu füttern, die auftauchte, nachdem Seymour Hersh die Vereinigten Staaten als Täter ermittelt hatte, und nie ihre Lückenhaftigkeit ablegte.

Das WSJ, eine Zeitung, die gerne mal von US-Diensten genutzt wird, erzählt nun eine Geschichte, nach der Wladimir Selenskij und Waleri Saluschny den Plan ausgekocht hätten und die CIA versucht habe, die Ukrainer von dem Plan abzuhalten – woraufhin Selenskij ihn abgebrochen, Saluschny sich aber nicht daran gehalten habe.

Die ersten Pläne zur Pipelinesprengung habe die Ukraine bereits 2014 gemacht, schreibt das WSJ unter Berufung auf einen ehemaligen Oberst der SBU Roman Tscherwinski. In einer Auseinandersetzung mit Selenskij nach dem Anschlag habe Saluschny erklärt, man habe die Sabotageeinheit nicht mehr zurückrufen können, da Kommunikationsverbot herrschte.

Das mag glauben, wer will. Aber jetzt muss man noch einige Rahmenbedingungen hinzufügen, die diesen Artikel, der geradezu mit beiden Zeigefingern auf die Ukraine deutet, zu einem Anzeichen für einen Strategiewechsel machen, dessen genaues Ziel noch unklar ist.

Die erste: Die US-Wahlen sind im November. Bis dahin vergehen noch zweieinhalb Monate. Eine Niederlage der Ukraine davor wäre für den Machterhalt der Demokraten äußerst ungünstig.

Die zweite: Die Front in der Ukraine steht vor dem Kollaps. Eine der am Angriff auf Kursk beteiligten Einheiten ist (oder war) die Präsidentengarde; ein typischer Fall einer Truppe, die erst eingesetzt wird, wenn es gar keine anderen Möglichkeiten mehr gibt. Der Überfall in Richtung Kursk war ein Vabanquespiel, das die Niederlage noch abwenden sollte, aber gescheitert ist.

Die dritte: Die EU hängt in ihrer politischen Entwicklung an Deutschland. Die politische Lage in Deutschland ist instabil. Noch wäre es möglich, die Tendenz in Richtung Deindustrialisierung umzukehren, wenn die Bundesregierung fällt. Also müssen die Risiken bei den drei anstehenden Landtagswahlen gemindert werden. Bliebe die jetzige Bundesregierung, würde selbst bei einem Ende des Projekts Ukraine schon allein die Klimaerzählung dafür sorgen, dass die Deindustrialisierung fortgesetzt wird.

Die vierte: Die Deindustrialisierung ist vor allem im Zusammenhang mit einem denkbaren, wahrscheinlichen Schub der Finanzmarktkrise wichtig, da Anlagegüter in unterschiedlichem Maß an Wert verlieren. Finanzanlagen können sich völlig in Luft auflösen, Immobilien verlieren stark, Industrieanlagen verlieren am wenigsten – was zu einer Kräfteverschiebung innerhalb des Westens führen würde, sollte Deutschland seine Industrie halten können. Wenn die Führungsposition der USA erhalten bleiben soll, was das oberste Ziel der US-Strategie ist, muss die Deindustrialisierung weitergehen.

Die fünfte: Was ist gestern auf diesen Flughäfen gelandet, die abgeriegelt wurden? Egal, welche Variante man im ganzen Spektrum ABC-Waffen in den Blick nimmt, es muss auf jeden Fall so illegal gewesen sein, dass eine Landung auf einem US-Flughafen nicht möglich war, weil das aufgrund der stärkeren Auskunftsbestimmungen (wie Informationsfreiheitsgesetz) eine leichter auffindbare Spur hinterließe. Das Transportgut, sofern die Hypothese dieser Lieferung zutrifft, muss mit glaubwürdiger Abstreitbarkeit, plausible deniability, versehen werden.

Alle Faktoren miteinander fordern entweder einen vollen Einstieg in der Ukraine, offen sichtbar mit der ganzen NATO, oder aber einen Rückzug zumindest aus der militärischen Auseinandersetzung. Dabei wären mehrere Möglichkeiten denkbar. "All in" muss man nicht näher ausführen, auch wenn hierbei die angenommene, unbekannte Fracht eine Rolle spielen könnte; die Geschichte im WSJ spricht jedoch eher gegen eine Strategie des "all in". Aber der Rückzug wäre auf verschiedene Weisen möglich.

Die "mildeste": Die Wendung, die mit der Geschichte des WSJ eingeleitet werden könnte, zielt nur auf einen Austausch der ukrainischen Regierung mit darauffolgendem Versuch, vor dem Kollaps eine Rumpfukraine zu retten, die in einigen Jahren erneut als Aufmarschbasis genutzt werden könnte.

In dieser Version wäre die gestrige Fracht vermutlich tatsächlich eine vorgezogene Raketenstationierung. Der Vorteil: Gelänge es, den Krieg in der Ukraine stillzulegen, wäre er aus dem Wahlkampf in den USA raus, und die bedrohten bundesdeutschen Parteien könnten Wahlen ohne das Thema Ukraine durchführen, ohne an der bereits etablierten Propaganda etwas ändern zu müssen. Diese Version geht allerdings von einer Verhandlungsbereitschaft von russischer Seite aus, die so nicht vorhanden ist, weil ein Einfrieren des Konflikts inakzeptabel ist.

Variante zwei: Die Fracht dient dazu, diesmal eine False Flag zulasten der Ukraine durchzuführen, nachdem im Kern die propagandistische Wendung durch das WSJ vorbereitet ist – wir haben es gut gemeint, aber es waren schlicht zu viele korrupte, verantwortungslose Leute dort. Die Unterstützung wird zurückgefahren, man versucht, mit Russland zu verhandeln, indem man das anbietet, von dem man ausgeht, dass es es haben will. Es bleibt eine Rumpfukraine, die als kleiner gescheiterter Staat die Landschaft zwischen Polen, Ungarn, Rumänien und Russland bereichert. Durch die empört-moralische Abwendung vom entarteten Staat bleiben die eigenen Narrative in Bezug auf Russland unversehrt und können, falls nötig, langsam und vorsichtig zurückgebaut werden; eine Fortsetzung in diese Richtung wird aber durch die zu inszenierende Untat unterbunden, und die Hände werden frei für China.

Variante drei: Ebenfalls eine False-Flag-Aktion mit ukrainischem Pass daneben, abrupte Abwendung des gesamten westlichen Blocks, und der Zusammenbruch von Front und Staat werden schlicht hingenommen. Die moralische Empörung über das inszenierte Verbrechen sorgt dafür, dass die faktische Niederlage, die militärisch feststeht, aus der Berichterstattung gestrichen werden kann. Da eine Einstellung der westlichen Hilfe einen sofortigen finanziellen Zusammenbruch des ukrainischen Staates auslösen würde, hätte dann Russland das Problem, sich um die gesamte Ruine zu kümmern, denn von allen Anrainern hätte es die größten Folgen zu tragen, würde sich die Ukraine in ein europäisches Somalia verwandeln.

Vielleicht sollte man in diesem Zusammenhang auch einbeziehen, dass gerade wieder das Seuchenspiel hochgefahren wird. Im Zusammenhang mit dem völligen Einstieg ist es wenig nützlich, aber bei den Ausstiegsvarianten würde es nicht nur erlauben, die Wahlen besser zu manipulieren, sondern auch, die Wirkung der eigenen Propaganda wieder etwas zu erhöhen.

Das ist, versteht sich, alles andere als ein klares Bild, nur eine Skizze mit Vermutungen; aber selbst wenn sie alle danebenliegen sollten – dieser Artikel allein wäre schon ein Zeichen dafür, dass etwas im Busch ist; dieser Artikel zusammen mit abgeriegelten Flugplätzen ist schon fast eine Garantie dafür. Wie immer, die Zeit wird erweisen, welche Variante zutrifft.

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