Meinung

"Kriegstüchtig", revanchistisch und nazistisch: Berlin fällt in altbekannte Muster zurück

Bezeichnenderweise unter einer sozialdemokratisch geführten Bundesregierung und einem SPD-"Verteidigungsminister" revidiert die Bundeswehr ihr offizielles Traditionsverständnis. Was jahrzehntelang in der BRD beschwiegen wurde, wird nun salonfähig gemacht: die faschistischen Wurzeln der Bundeswehr. Ungeachtet des aktuellen Rückziehers registriert man in Moskau diese Entwicklung auch weiterhin sehr genau.
"Kriegstüchtig", revanchistisch und nazistisch: Berlin fällt in altbekannte Muster zurückQuelle: Gettyimages.ru © Carsten Koall/Getty Images

Redaktionelle Vorbemerkung:

Der nachstehende Kommentar zu den jüngsten geschichtsrevisionistischen Bemühungen der Bundeswehr hat sich durch die Rücknahme der "Ergänzenden Hinweise" zum Traditionserlass leider nicht erledigt. Die Rehabilitierungsbestrebungen gehen weiter. Daher dokumentieren wir diese russische Perspektive auf die aktuelle Entwicklung in Deutschland.

* * *

Von Jelena Karajewa

Wie die Öffentlichkeit erfahren durfte, führte eine späte Schwangerschaft schließlich doch noch zur Entbindung: und zwar vom Revanchismus.

Ein Sprecher der Bundeswehr sagte auf einer Pressekonferenz, dass "Deutschland nun gleichberechtigt mit den Teilnehmern am Widerstand gegen das NS-Regime das Andenken an einige Wehrmachtsangehörige ehren wird, die nach dem Untergang des Dritten Reiches 'am Aufbau der neuen Armee der BRD mitgewirkt und sich offen von ihrer Vergangenheit distanziert haben.'"

Der Anfang des Satzes von Arne Collatz ist ein Standard-Wortsalat, der diejenigen, die das rasche Anwachsen revanchistischer Tendenzen ignorieren wollen, in die Irre führen soll. Aber es lohnt sich, beim letzten Satz zu verweilen. Um zu verstehen, wer genau "am Aufbau einer neuen Armee der BRD" beteiligt war, zumal mindestens zwei Persönlichkeiten genannt werden. Es geht um Konteradmiral Erich Topp.

Und den Piloten Oberst Erich Hartmann. Er war Mitglied der NSDAP (nach Hitlers Machtübernahme war es unmöglich, ohne Parteibuch einen Pilotenschein zu erhalten) und Träger des höchsten Ordens des nationalsozialistischen Deutschlands – des Ritterkreuzes des Eisernen Kreuzes.

Hartmann tötete russische Piloten, britische Piloten und amerikanische Piloten. Nach Kriegsende wurde er, nachdem er von den Amerikanern gefangen genommen worden war, an das sowjetische Kommando übergeben. Obwohl er große Angst hatte, von der Roten Armee gefangen genommen zu werden (wenn man die Situation umdreht, wurden unsere Flieger-Asse sofort von Leuten wie Hartmann erschossen).

Hartmann saß zehn Jahre in Haft für diejenigen, die er als "Untermenschen" betrachtete und die er in Sklaven der arischen Rasse verwandeln wollte. Allerdings wurde er von uns begnadigt – von eben jenen Untermenschen, die er tötete, um "Lebensraum" für Deutschland zu schaffen.

Auf Wunsch von Adenauer, dem damaligen Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Das war 1955.

Und Herr [im russischen Original steht "Herr"; Anm. d. Red.] Hartmann hat, wie wir bereits aus dem offiziellen Kommuniqué der Bundeswehr erfahren haben, "begonnen, beim Aufbau der neuen deutschen Armee mitzuwirken."

Die Causa Hartmann ist keineswegs ein Einzelfall.

Der derzeitige Chef des deutschen Verteidigungsministeriums, Herr [auch hier steht "Herr" im Russischen; Anm. d. Red.] Pistorius, scheint, wenn man sieht, wie weit er ausholt, einen Kurs der Rehabilitierung sowohl der Nazi-Ideologie (de facto) als auch der Hitlerschen Militärmaschinerie (de jure) eingeschlagen zu haben. Umso mehr, wenn man die aktuelle Koalition derjenigen betrachtet, die sich gegen uns zu einem Stellvertreterkrieg oder schlicht: zu einem Krieg verbündet haben. Wenn man diese aktuelle Koalition mit derjenigen vom Juni 1941 vergleicht, dann gibt es nicht allzu viele Unterschiede in der Liste.

Wofür soll man sich also noch schämen? Dass hier ein Großvater, dort ein Urgroßvater der wichtigsten Minister der Bundesregierung nicht nur gegen uns gekämpft, bei uns geraubt und gemordet hat, sondern auch in der Schutzstaffel oder in den Wachmannschaften unter dem Kommando von SS-Reichsführer Heinrich Himmler Dienst getan hat? Wann war das, und überhaupt: Wer sich an das Alte erinnert, der … na ja, jeder kennt das Ende des Sprichworts [Anspielung auf das russische Sprichwort: "Кто старое помянет – тому глаз вон, а кто забудет – тому оба вон" – etwas frei übersetzt: Wer alten Kohl aufwärmt, der soll ein Auge verlieren, aber wer vergisst, soll beide Augen verlieren; Anm. d. Red.].

Die Schutzstaffel [im russischen Original auf Deutsch; Anm. d. Red.] oder SS, die Elite der Wehrmacht, die die Vernichtungslager bewachte, Strafaktionen durchführte, all diejenigen verbrannte und tötete, die man irgendwie für "lebensunwert" befand, ist heute, wenn wir in der Logik des Bundeswehrchefs und derjenigen bleiben, die "die Traditionen der neuen deutschen Armee wiederbeleben" wollen, offenbar nur eine nicht allzu angenehme Episode des verlorenen Krieges. Als Deutschland, erinnern wir uns noch einmal, die vollständige und unumstrittene Weltherrschaft anstrebte. Alle Grundsatzdokumente, Gesetze, Reden und Erlasse jener Zeit sprechen von der Vorherrschaft und den Mitteln und Wegen, diese zu erreichen.

Aber wie sich herausstellt, handelt es sich dabei nur um ein Missverständnis, nur um ein paar lästige Kleinigkeiten, die einst, im letzten Jahrhundert, die deutsche Gefechtsuniform befleckten. Solche Flecken können heute mit guten Chemiepräparaten beseitigt werden. Außerdem werden diese Chemikalien von denselben oder fast denselben Unternehmen hergestellt, die an der Entwicklung von beispielsweise eben jenem Zyklon B beteiligt waren oder beteiligt sein konnten.

Zyklon-B-Gas wurde in mobilen (kursierenden) Lastwagen, auch "Duschegubki" genannt ["Seelenvernichter" – so die Bezeichnung im Russischen für die von den Nazis als "Sonderwagen", "Entlausungswagen" o. Ä. bezeichneten Gaswagen; Anm. d. Red.], und in stationären "Duschen" (Betonräumen) der Vernichtungslager eingesetzt.

Um dem Bild den nötigen Rahmen zu geben, sei hinzugefügt, dass das an der Produktion von Zyklon B beteiligte Unternehmen (es hieß Degussa AG) noch heute als Tochtergesellschaft des Pharmakonzerns Evonik Industries AG existiert.

Nun, ja, es hatte wieder etwas gegeben, das eingestandenermaßen nicht allzu angenehm für das Image des Unternehmens war, aber darüber war endlich auch Gras gewachsen.

Daher schenkte niemand dem Wunsch des deutschen Verteidigungsministers Beachtung, eine "neue deutsche Armee" auf der Grundlage "früherer Traditionen" im paneuropäischen Block aufzubauen, der ja gerade zu dem Zweck geschaffen wurde, "keine Kriege mehr zu führen".

Aber wir haben es getan.

Diejenigen, die von den Hartmanns und anderen SS-Männern verbrannt, gefoltert und getötet wurden. Diejenigen, die die Hartmanns schließlich besiegt haben – trotz der siebenundzwanzig [im Russischen als Zahlwort ausgeschrieben; Anm. d. Red.] Millionen Menschenleben, die wir bezahlt haben, um uns von der Ideologie zu befreien, die es den Hartmanns erlaubte, uns zu töten.

So könnt ihr in Deutschland natürlich die späte Geburt des Revanchismus akzeptieren. Aber wir in Russland – und das sollte man nicht vergessen – können diese giftige Gebärmaschine noch einmal zerstören. Und zwar so oft wie nötig. Nicht, weil wir Angst vor euch haben. Sondern weil dies unsere Pflicht ist vor dem Andenken derer, die einen kolossalen Preis gezahlt haben, damit wir, unsere Kinder und unser Land leben können.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 14. August 2024 auf ria.ru erschienen.

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