Als Deutscher in Russland: "Ich bin fassungslos"
Von Tom J. Wellbrock
Nach Russland zu gehen, das war für meine Frau und mich die logische Konsequenz der politischen Entwicklungen in Deutschland. Die ehemalige Demokratie ist zu einem woken Totalitarismus verkommen, in dem Andersdenkende es schwer haben. Als die Entscheidung gefallen war, gingen wir davon aus, dass nichts besser, aber alles schlimmer werden würde. Bisher haben sich unsere Befürchtungen bestätigt.
In unseren zahlreichen Gesprächen ging es natürlich auch um einen möglichen Krieg. Als wir an einem Abend darüber sprachen, waren wir sehr beunruhigt, denn wir redeten über das Thema mit einer Kombination aus Pragmatismus und Emotionalität. Ganz nüchtern kamen wir zu dem Schluss, dass Deutschland, der Westen, die NATO und die USA diese Eskalation wollen und von Anfang an wollten. Wir dachten über mögliche Auswege für die deutsche Politik nach, konnten jedoch keinen finden. Die politischen Kräfte in Deutschland, die eine Deeskalation befürworten, sind zu machtlos, um ernsthaft etwas ändern zu können. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und die AfD sprechen sich klar für Deeskalation und wirtschaftliche Zusammenarbeit aus, doch sie bewirken auf der politischen Entscheidungsebene nichts.
Als wir also über den Krieg sprachen, stellte sich uns die Frage, wo wir im schlimmsten aller anzunehmenden Fälle sein möchten. Die Antwort lautete: Russland. Das war nicht nur so dahingesagt, sondern die Folge unserer Überlegungen hinsichtlich der Frage, "auf welcher Seite" wir stehen. Weite Teile der deutschen Politik haben sich für eine Seite entschieden; sie glauben (oder glauben es nicht), auf der "richtigen" Seite zu stehen, wie auch immer sie diesen Begriff definieren. Denn wie kann es richtig sein, auf der Seite zu stehen, die den Krieg fortsetzt, anheizt, verlängert und so täglich für neue Todesopfer sorgt?
Wir wissen, dass die meisten Deutschen nicht auf der Seite der Politik stehen. Es dürfte nur ein geringer, aber eben doch einflussreicher Teil von Menschen sein, der den deutschen Faschismus entweder vergessen hat oder Hitlers Werk als nach wie vor unvollendet ansieht. Wir bewundern jeden Deutschen, der sich dem Wahnsinn widersetzt; wir selbst waren dazu nicht mehr in der Lage. Wir haben aber auch mit Sorge und Enttäuschung gesehen, wie wenige Menschen Anfang August bei der Friedens-Demo in Berlin auf der Straße waren.
Immer wieder hören wir den Vorwurf, uns der Lage in Deutschland nicht zu stellen, abgehauen zu sein, den bequemen Weg gewählt zu haben. Doch abgesehen davon, dass der Weg nach Russland alles andere als bequem war, ist der Grund unseres Weggangs nicht nur die Unerträglichkeit der Lage in Deutschland gewesen, sondern auch die tiefe Überzeugung, uns für eine Seite entscheiden zu müssen. Das wäre in Deutschland nur bis zu einem gewissen Punkt möglich gewesen. Da die Antwort auf die Frage, wo wir im Falle eines Krieges sein und vermutlich unsere letzten Tage und Stunden verbringen wollen, Russland lautete, war das Auswandern nicht nur konsequent, sondern ohne Alternative. Wir sind jetzt dort, wo wir sein wollen, egal, was passiert.
Als Journalist verfolge ich das politische Geschehen in Deutschland professionell und in der Regel verhältnismäßig unaufgeregt. Nicht emotionslos oder gefühlskalt, aber wenn ich jede Meldung zu dicht an mich herankommen ließe, könnte ich meinen Job nicht mehr machen. Jetzt aber hat sich das geändert. Ich bin einfach nur fassungslos.
Deutsche Panzer schießen wieder auf Russen. Ukrainische Soldaten töten Zivilisten auf russischem Boden, und in Deutschland wird das für gut befunden. Marcus Faber (FDP), Vorsitzender des Verteidigungsausschusses, sagte zum Einsatz von aus Deutschland gelieferten Waffen auf russischem Staatsgebiet:
"Mit der Übergabe an die Ukraine sind es ukrainische Waffen."
Er sagt das, als rede er über einen Gebrauchtwagen, der den Besitzer wechselt, als sei die Tatsache, dass mit deutschen Waffen auf Russen geschossen wird, eine Kleinigkeit, nichts, was Beachtung verdiene. Und er steht damit nicht allein. In ganz Europa wird auf politischer Ebene – von ein paar kritischen Stimmen abgesehen – akzeptiert und begrüßt, was die Ukraine gerade in Kursk tut.
Und die Medien sind natürlich auch wieder an "vorderster Front" dabei. Die taz beginnt einen Artikel mit dem fast schon infantilen Hinweis, die Ukraine sei "immer noch für eine Überraschung gut", als gehe es hier um eine neue Taktik bei einem Fußballspiel nach der Halbzeitpause. Dieselbe Zeitung schreibt dann:
"Und Russland? Moskau hat die Grenzen offensichtlich doch nicht lückenlos unter Kontrolle und ist nicht in der Lage, die Menschen vor den mörderischen Auswirkungen seiner 'Spezialoperation' zu schützen."
Wie gesagt, ich bin fassungslos. Wo kommt er her, dieser Hass? Wie entsteht diese verstörende Freude über den Tod von Russen? Gibt es eine Grenze der menschlichen Abscheulichkeit? Die Frage ist inzwischen rhetorischer Natur, denn dieselben Akteure, die sich über russische Tote freuen, lassen zu, was Israel im Gazastreifen tut.
Offen gestanden interessiert mich auch die Theorie nicht mehr, dass die ukrainischen Angriffe auf Kursk taktisch bedingt seien und zu einer guten Ausgangslage für Verhandlungen über einen grundsätzlichen Waffenstillstand führen sollen. In Kursk werden übelste Kriegsverbrechen begangen, und der Westen rechtfertigt diese mit einer heuchlerischen und unmenschlichen moralischen Berechtigung.
Währenddessen metzeln Mitglieder des "Nachtigall" Bataillons auf russischem Gebiet. Der Name ist nicht neu, im Zweiten Weltkrieg gab es schon einmal ein Bataillon mit diesem Namen. Es arbeitete eng mit den Nazis zusammen, und man glaubt es nicht, aber in einem Artikel über dieses Bataillon liest man:
"Der offen ausgelebte Sadismus der ukrainischen Nationalisten des Bataillons und ihre Disziplinlosigkeit wurden selbst der Wehrmacht zu viel …"
Nein, da ist nichts mehr zu retten. Deutschland, der Westen, die NATO, die USA – sie sind zu Monstern geworden, zu Monstern, die weitere Monster erschaffen und fördern. Die Welt steht am Abgrund, und die schuldigen Mächte drängen den Rest der Menschheit weiter in Richtung des tiefen Sturzes hinab in die Dunkelheit.
Meine Frau und ich sind am richtigen Ort. Hier ist es heller, selbst wenn wir mitgerissen werden in die Katastrophe.
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.
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