Falsche Todesnachricht – wie ein russischer Kriegsreporter "aus der Asche auferstanden ist"
Von Wladislaw Sankin
Für viele Konsumenten russischer Medien ist WGTRK-Kriegsreporter Jewgeni Poddubny eine seit vielen Jahren vertraute Persönlichkeit. Er war es, der im Mai und Juni 2014 kontinuierlich aus dem belagerten Slawjansk im Donbass für das russische Fernsehen berichtete. Er war es, der sich ein Jahr später aus der syrischen Wüste zuschalten ließ, um über die Kämpfe gegen IS-Truppen zu berichten. Zuvor war er in Süd-Ossetien, auf dem Kiewer Maidan und in Ägypten – überall, wo es brannte und krachte in der Welt, immer vorne mit dabei. Seit Februar 2022 hat Poddubny die Kriegsschauplätze des Ukraine-Konflikts nur ganz selten verlassen.
Außerdem war er, wie auch viele andere Medienschaffende seines Schlages, durch seinen Telegram-Kanal mit circa 765.000 Abonnenten für seine Leser stets präsent. Ebenso wie viele andere seiner Kollegen betreute Poddubny humanitäre Projekte in Krisengebieten und sammelte Spenden für die Armee und kriegsgeschädigte Zivilisten. Poddubny war eine kleine Institution und Teil einer Bruderschaft der Militärberichterstatter, die es wahrscheinlich sonst in der Welt nirgendwo mehr gibt. Und er war nicht nur für Siegesmeldungen da, er musste auch über bittere Rückschläge und Misserfolge der russischen Armee berichten. Sein Tod wäre in dieser schwierigen Zeit für das kämpfende Land ein großer Verlust gewesen.
Am Mittwochabend schlug die Meldung über den Tod Poddubnys wie ein Blitzschlag in den russischen Telegram-Äther ein. Es klang fast wie bestätigt, denn eine vertrauenswürdige Quelle hatte dies vermeldet: der Duma-Abgeordnete Michail Deljagin, den viele aus Fernsehsendungen kennen. Viele Telegram-Kanäle haben die Meldung übernommen, und sogar Poddubnys älterer Kollege und Reporter-Legende Alexander Sladkow mit seinen 900.000 Telegram-Abonnenten meißelte die Todesnachricht in Stein: "Er starb in Erfüllung seiner Pflicht, wie es sich für einen Mann gehört".
Einige blieben misstrauisch, und dazu gehörte Gott sei Dank auch RT Newsroom. Man hat sich schnell geeinigt und das kam in allen Redaktionen sofort an – wir warten die offizielle Bestätigung des Todes ab und vermelden erst einmal gar nichts. Diese könnte beispielsweise von den Ärzten kommen oder eben vom Arbeitgeber des Reporters. Die Bestätigung kam aber nicht... Seine Freunde beteten und luden die anderen Telegram-Nutzer dazu ein, das Gleiche zu tun.
Für einen Moment wurde es still auf Telegram, gespenstisch still. Kein schöner Moment für all diejenigen, die Poddubny für seine Kühnheit und klare Sprache schätzen und für sein Talent, mit wenigen Worten das Richtige zu sagen. Zu diesen Menschen gehört auch der Autor dieser Zeilen, weil der Tod jedes Kollegen ihm im Herzen besonders wehtut. "Wer macht den Job denn sonst noch so gut wie er oder sie?", fragt man sich immer dabei. Solche Profis, wie Poddubny einer ist, sind nicht nur äußerst wertvoll, sie sind unschätzbar.
Ungefähr nach einer Stunde des Bangens tauchte ein Dementi nach dem anderen auf. Zunächst erschien eine Mini-Videonachricht, in der ein Militär sagte, Poddubny habe den Drohnenangriff überlebt und sei zwar schwer, aber nicht lebensgefährlich verletzt. Dann gab es ein Video, das die Einlieferung des Reporters in ein Kursker Krankenhaus zeigte. Es brach Jubel aus – Poddubny lebt und kann nach seiner Rehabilitation ganz sicher weitermachen. Kurz vor 22 Uhr war es eine schöne Gute-Nacht-Meldung.
Am nächsten Morgen wurde der schwer verwundete Korrespondent ins Moskauer Sklifosowski-Krankenhaus eingeliefert – trotz seiner Verletzungen an Rücken und Kopf war er bei Bewusstsein. Was aber war mit Poddubny am Vortag geschehen? Dies hat sein Freund, KP-Militärkorrespondent und Mitglied des Menschenrates beim Präsidenten, Alexander Koz, ermittelt. Wie es sich für eine Reporter-Legende gehört, die auch er darstellt, war er ebenfalls bereits im Gebiet Kursk unterwegs, dem neuen Brennpunkt des Krieges. In dem Moment, wenn es keine Frontlinie gibt und die einfallenden Truppen überall auftauchen können, von den allgegenwärtigen FPV-Drohnen ganz zu schweigen – ein mutiges Unterfangen.
Er nahm Kontakt zum Dreh-Team von Poddubny auf, zu seinem Kameramann und Tontechniker. Die beiden fuhren mit ihm in einem anderen Auto in einem Konvoi, Poddubny war vorne und fuhr den Wagen allein. Sie trafen sich mit Koz an einer Tankstelle und erzählten ihm, was passiert war. Als sie sich der Einfahrt in die Stadt Sudscha näherten, kam eine mit Sprengstoff beladene Kamikaze-Drohne angeflogen und steuerte auf den Wagen von Jewgeni Poddubny zu. Soldaten, die die Drohne erblickt hatten, feuerten auf sie und sie explodierte kurz über dem Wagen. Das Auto geriet außer Kontrolle und rollte mit Drehbewegungen in einen Straßengraben, wobei der zusätzliche Dieseltank Feuer fing. Als Poddubnys Kollegen zum Wagen kamen und versuchten, die Tür zu öffnen, stand der Innenraum komplett in Flammen.
Da sie dachten, dass Poddubny im Inneren geblieben war, glaubten sie, er sei tot. Einen Feuerlöscher gab es offenbar nicht in der Nähe. Der Reporter war aber zuvor aus dem Wagen herausgeschleudert worden und lag ohnmächtig im Graben, unbemerkt aufgrund der Dunkelheit. Aufgesammelt wurde er später von einem freiwilligen Sanitäter, der in der Gegend herumfuhr und ihn am Straßenrand liegend bemerkte. Er brachte den Verwundeten auf eine Station, wo ihm Erste Hilfe geleistet wurde und von wo aus er später in ein Krankenhaus in Kursk verlegt wurde.
Die Militärs dementierten schließlich die voreilige Todesnachricht. Der Abgeordnete, der sie in die Welt gesetzt hatte, entschuldigte sich am frühen Morgen reumütig in einem Video. Er habe Angst, dass die Information später unter den Teppich gekehrt werden könnte, sagte er zu seinem Fehler.
Diesmal ist alles gut gegangen für Poddubny und sein Team. Aber der Vorfall zeigt eindrücklich, vor welchen neuen Herausforderungen die russischen Militärberichterstatter nun im Ukraine-Krieg stehen. Wegen der allgegenwärtigen FVP-Drohnen ist es fortan gefährlicher, in frontnahen Gegenden auf Verkehrsstraßen unterwegs zu sein, als sich auf Positionen des Militärs zu befinden. Und da die ukrainischen Drohnenführer kaum noch zwischen militärischen und zivilen Fahrzeugen unterscheiden, können alle Autos zur Zielscheibe der tödlichen Drohnen werden. Zahlreiche verbrannte Autos am Straßenrand im russischen Gebiet Kursk sind ein Beweis dafür.
Und wenn die Ukrainer herausfinden, dass da ein Reporter herumfährt, ist es für sie ein zusätzlicher Grund zuzuschlagen, denn sie betrachten die "Propagandisten" des Feindes als legitimes militärisches Ziel. Bei der Entmenschlichung und Delegitimierung eines ganzen Berufsstandes hilft den Ukrainern der Westen, wenn er russische Journalisten sanktioniert und als Propagandisten beschimpft. So werden die Russen in diesem Konflikt unfairerweise durch ihren Gegner des Rechtes auf Information und Meinungsbildung beraubt.
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