Meinung

Was der Sternfahrer Ijon Tichy nach seiner legendären Zeitschleife zu sehen bekam (IV)

Auch diese Woche muss sich unser kosmonautischer Held wieder durch allerlei terranischen Weltraumschrott kämpfen. Im Zeitenwende-Chaos des schillernden Regenbogenbunt*Lands begegnen ihm dabei sinistre Gestalten, diverses Polit-Personal, das schon zu Beginn seiner Karriere abgehalftert ist, kurz: fremdgesteuerte Irrläufer jeglicher Couleur.
Was der Sternfahrer Ijon Tichy nach seiner legendären Zeitschleife zu sehen bekam (IV)Quelle: Gettyimages.ru © John Lamb/The Image Bank

Die Teile I, II und III finden Sie hier, hier und hier.

Eine Lesermeinung von Mikhail Balzer

Der Satire vierter Teil

Eigentlich hätte ihn der Beinahe-Zusammenstoß mit den blinden Militärspionage-Satelliten aus Regenbogenbunt*Land davon überzeugen können, dass er sich nun tatsächlich in der absurdesten und chaotischsten "Zeitenwende" Terraniens befände. Doch hatte unser Kosmonautenheld, womöglich verursacht durch die Öde seiner terranischen Umlaufbahn, immer noch das unbestimmte Gefühl, alles sei nur ein übler Traum, und so sehnte er sich zurück in seine Zeit, die ihm trotz ihres kosmopolitischen Chaos' so viel geordneter und ehrlicher erschienen war.

Nun war aber Realitätsverweigerung nie seine Angelegenheit – ganz im Gegensatz den märchenhaften ministerialen Mathematikgenies mit den wohlklingenden Namen Gernhardt Hab-Nicht-Gesehen und Schmierstoff Lindenbaum. Diese können uns nämlich vorrechnen, wie man wirtschaftet und aus zig Milliarden roter Zahlen einen herrlichen schwarzen Haushalt stricken kann. Besonders Gernhardts Lösung ist kinder(buch)-einfach: Man vergesse zufällig die Preise von Öl, Gas und anderen Rohstoffen wirtschaftlicher Entwicklung, kann selbst auf böswilliges Nachfragen in Talkshows wenig Auskünfte über den "inflationären Einkaufskorb" im Supermarkt geben und kennt den Weg zur nächstgelegenen "Tafel" sowieso nicht. Also dorthin, wo sich gerade enteignete Rentner und Pfandflaschensammler ein nettes Stelldichein geben. Diese große Rentnermehrheit schweigt übrigens schamhaft: ganz im Gegensatz zu den bestalimentierten Pensionär*Innen auf bestellten Gutmensch-Demos.

Man mag denken: "nun ja, ein regenbogenbuntes Schaf darf es sogar in der besten Regi*ment*erung geben" ... wenn es eben nur ein einziges wäre! Doch im kleinen Land im Zentrum der PanEU*ropischen Einfältigkeit präsentieren sich noch weitere Akrobaten im Schafspelz und ... auf dem Hochseil! Selbstverständlich werden sie durch Marionettenspieler-Fäden bestens absturzgesichert. Da haben wir die bestdenkbare außenbeauftragte Springsportlerin, die Terranien je in seiner Geschichte erleben durfte und an deren gar unterhaltsamen Abenteuern und Eskapaden selbst unser Kosmonaut nun via terranisches Satellitenfernsehen teilhaben durfte. Auch andere, eher olivgrün schillernde Persönlichkeiten wie ein kumpelhaft- kurzsichtiger Orwell'scher "Verteidigungs-Stratege" (gemeint ist Baldovino Pistoletti) wären in Ijons Zeit gar nicht erst auf diesen Posten befördert worden: Denn man hatte das Peter-Prinzip im Jahre 2121 durch kluge Psychometrie-Algorithmen ausgemerzt.

Doch was ist überhaupt diesem "netten Kumpel" vorzuwerfen, dessen Weste so rein wie die regelbasierte Ordnung des Werte*Western ist? Da würde ein ungetrübter Blick auf das fehlende politische Abwägen kriegerischer Ratschläge einiger hochdekorierter, postpubertär prahlender militärischer Kommissköppe genügen (man denke nur an jene "ganz fabelhaften Jungs", die im militärischen Planspiel eine Stier-gestützte Provokation des weit östlichen Landes diskutierten und sich sogar der Unterstützung des kumpelhaften Bosses (Pistoletti) ganz sicher schienen).
Gerade hier werden aber bereits die wichtigsten Forderungen an verantwortungsvolle Politik ignoriert, so unter anderem, dass Politik und Diplomatie immer den Vorrang vor den Militaristen haben müssen. Dies, wie leider so oft in der Geschichte Terraniens. Man könnte entschuldigend denken, dies sei den Betreffenden doch niemals bekannt gemacht worden: Doch da stehen leider scharenweise Analysen herausragender Historiker in den Bibliotheken – offensichtlich aber nur zu dem Zwecke, dort ungelesen zu verstauben.

Die nächste von heldenhaftem Gratismut glänzende Tat Pistolettis ließ nun auch nicht lange auf sich warten. So erklärte er doch unlängst provokative Bestrebungen, die durchaus geeignet wären, einen Zweifrontenkonflikt mit dem noch ferneren kommunistischen Gelb*Land heraufzubeschwören. Dieses solle sich gefälligst aus den Schifffahrtswegen vor der eigenen Küste trollen und die nahgelegene wunderschöne und produktive IT-Insel, entgegen international anerkannter Vereinigungsbestrebungen, endlich in die Hände der friedfertigen NA*Toren entlassen! Hurra – das erinnert uns doch an großartige imperialistische Ansprüche! Dazu scheint dieser Kriegsheld in spe ernsthaft zu denken, man könne quasi durch einen "Zangengriff" über die halbe Welt hinweg Konflikte an zwei Fronten schüren: eine Situation, die in dem früheren SchwarzWeiß*Reich zu Recht nicht nur einmal kräftig in die Hose gegangen war.

Wir sehen auch hier: bedeutende Politdarsteller müssen mit einer ordentlichen Portion Ahistorizismus ausgestattet sein, denn sonst könnten sie ja keine derartigen Heldentaten vollbringen! Den Applaus dazu gibt es selbstverständlich wieder aus Ersten Reihe der dankenswerterweise frei zensurierten Bunten- (Citronen*)Pressen-Konferenz (oder kurz: BPK). Womöglich bekommen jene handverlesenen und hochalimentierten Redakteure bald noch ein bockhaftes Dessert mit Baeren-Beilage serviert: durch jene 360-Grad-Pirouetten-Springerin des außenpolitischen Eistanzparketts – eben so, wie sie seinerzeit TV-wirksam dem großen Land im aggressiven Osten den Krieg erklärt hatte.

Wenn diese Entwicklungen nicht bereits das ganze Chaos einer verwirrten Menschheit zeigen würden, so hätte man sich noch echauffieren können über die bockspielhaften und dyonisischen Festspiele rund ums Goldene Kalb mitsamt Inversion des christlichen Glaubens und finalem Teufelsritt; uraufgeführt nicht in einem Drama aus der Johannesoffenbarung, sondern ganz telemedial real im einst wunderschönen Par*isch. Von olympischer Völkerverständigung, von der Achtung der Kulturen und nationalen Traditionen sowie von Friedfertigkeit keine Spur, nicht einmal im gender*gerechten Boxkampf! Wer dann noch das kostenfreie Zubrot zu diesen tollen regenbogenbunten Spielen sucht, sucht allerdings vergeblich. Hierzu müsste er zurückreisen in das Rom der Verfallszeit: Brot und Spiele waren damals, doch der kulturelle Niedergang ist heute! Überhaupt ist heutzutage alles sehr exklusiv und nicht Jeder*Frau wird hereingelassen: weder in die Metro seiner Stadt noch in den olympischen Boxring!

Zum Glück aber wird der Normalbiedermeier bis zum Überdruß mit oberflächlich plauderhaften Nachrichtensendungen und sportlichen Belanglosigkeiten auf seinem komfortablem Platz in der ersten Reihe eingelullt. Dazu wird er mit Lobhudeleien hirngewaschen und mit Sandmännchens Sand des Vergessens überschüttet. So verblendet und ertaubt, übersieht der Zuschauer rasch den ganzen Wahnsinn und die vielen Irrläufer um ihn herum, ganz zum Glück für ihn! Könnte er gar solch böswilligen Verschwägerungs*Theoremiker auf den Leim gehen und denken, dass eine verdeckte "Puppenspielergruppe" und jene NA*Toren diese "hochmoralisierte" und regelbasierte neue Weltenordnung ausgeheckt hätten und nun die Folgsamkeit der Plebs, wie zu Zeiten des alten Roms, testen wollten.

Leider hat hier unser Weltraumheld Ijon Tichy großes Pech: Steht er doch mit den Füßen nicht auf dem terranischen Boden bunter Illusionen, sondern in seinem geräumigen realen Raumschiff. Und so konnte er selbst beim besten (und naivsten) Willen nicht diesem ganzen Unsinn, wie leider viele Millionen im Regenbogenbunt*Land, auf den Leim gehen.

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