Meinung

Gefangenenaustausch: Scholz findet alles bewegend – und dankt den Falschen

Mit diesem Austausch endete ein monatelanger Vorlauf, und erstaunlicherweise stranden die meisten der Freigelassenen in Deutschland. Das könnte eigentlich ein Anzeichen für ein kleines bisschen Vernunft sein; aber nicht, wenn deutsche Politiker ins Spiel kommen.
Gefangenenaustausch: Scholz findet alles bewegend – und dankt den FalschenQuelle: www.globallookpress.com © Christoph Reichwein

Von Dagmar Henn

Dass man derzeit in Deutschland aus allem eine Schnulze machen muss… Das ist gewissermaßen die Strafe dafür, dass politische Entscheidungen, selbst weitreichende, mit tränenreichen Rührgeschichten begründet werden, weil man sie mit nüchternem Interesse nicht begründen kann. Wie beispielsweise die Unterstützung für den israelischen Genozid, für die man wie eine Dauerschleife eine falsche Darstellung des 7. Oktobers abspult, aber die grauenvollen Dinge, die Israel in Gaza treibt, völlig verschweigt.

Bundeskanzler Olaf Scholz greift also in die Gefühlskiste, und erklärt zur Ankunft der ausgetauschten Deutschen: "Das war sehr bewegend", und betont, die Ausgetauschten hätten um ihre Gesundheit und ihr Leben gefürchtet. Und auch Innenministerin Nancy Faeser macht auf gefühlig. "Das ist eine sehr, sehr schwere Entscheidung gewesen".

Eigentlich nicht. Man kann nur nicht sagen, dass es eine gewöhnliche Handlung ist, und dass eher der Zustand der letzten Jahre ungewöhnlich war, in dem Derartiges fast gar nicht mehr stattfand. Denn in Wirklichkeit sind solche Austauschverhandlungen etwas, was jede Seite führt, weil damit den eigenen Leuten gegenüber Zuverlässigkeit und Loyalität bewiesen wird. Eine Phase, in der es keinen Austausch mehr gibt, ist extrem unsicher, weil das Risiko für alle Beteiligten auf allen Seiten steigt.

Und man kann natürlich auch nicht sagen, dass diese Verhandlungen deshalb lange dauern und schwierig sind, weil jede Seite darauf achtet, nicht über den Tisch gezogen zu werden. Das geht schon deshalb nicht, weil derzeit die Akteure der einen Seite, also die Russen, immer Schurken sein müssen, während die Akteure der anderen Seite, also die US-Amerikaner und die Deutschen, selbstverständlich völlig unschuldig verurteilt sind.

Nun, wenn man ein kleines Beispiel betrachtet – einer der Deutschen, der durch die Verhandlung freigelassen wurde, ist ein junger Russlanddeutscher namens Kevin Lick. Der Vorwurf ihm gegenüber lautet, er habe "Militärstützpunkte fotografiert und die Bilder nach Deutschland geschickt". Was der FSB in Russland böserweise als Landesverrat sah.

Hätte er nicht auch die russische Staatsbürgerschaft besessen, wäre es "nur" Spionage gewesen. Aber man erinnere sich – es ist nicht allzu lange her, da wurden in Deutschland zwei Deutschrussen verhaftet, weil sie in Grafenwöhr fotografiert haben sollen. Das ist zwar militärisches Gelände, aber so interessant wie ein drei Wochen alter Wetterbericht; und trotzdem wurde daraus unter Einsatz von Faeser und ihrem Kollegen im Justizministerium, Marcus Buschmann, eine riesige Spionagegefahr gemacht.

Was in Russland eher nicht passiert. Da wird die Geschichte nicht wochenlang durch die Medien gejagt. Da wird einfach kurz eine Festnahme gemeldet. Und bei der Geschichte mit Kevin Lick, der wahrscheinlich tatsächlich derartige Fotos gemacht hat, stellt sich eigentlich eine ganz andere Frage – wer war der Fiesling, der von deutscher Seite einen Minderjährigen überhaupt angeworben hat, und gab es da irgendwelche disziplinarischen Konsequenzen?

Witzig ist natürlich die schräge Sicht, dass die ausgetauschten Russen selbstverständlich alle Agenten waren, weil Russland das durch den Austausch gleichsam eingestanden habe, während das auf westlicher Seite nicht gilt. Ein Kindermärchen, das alle Bundesminister treulich mit inszenieren.

Allerdings, geradezu peinlich ist eine Aussage von Scholz. Voraussetzung für dieses "bewegende" Ereignis sei die "intensive Kooperation mit vielen Ländern Europas und ganz besonders den Vereinigten Staaten von Amerika über eine ganz lange Zeit."

Typisch Scholz. Gerüchte über Austauschverhandlungen gab es schon vor Monaten, weil die USA unbedingt ihre Leute herausholen wollten (wie gesagt, Austausch ist gewissermaßen Teil der Geschäftsbasis in diesem Gewerbe), aber der wertvollste Austauschgegenstand nun einmal in einem deutschen Gefängnis saß, und die Bundesregierung ihn nicht rausrücken wollte. Wobei der wahre Grund dafür eher der sein dürfte, dass derjenige, den man zum "Tiergartenmörder" – geschickt gewählt, weil immer "Tiermörder" mitklingt – stilisierte, unter Umständen nach einer Rückkehr die ziemlich löchrige Geschichte, mit der er verurteilt wurde, zerstören könnte.

In der wirklichen Welt haben also die Amerikaner die Deutschen bekniet, endlich nachzugeben, und die Deutschen haben dafür rein nach Köpfen auch die größte Portion erhalten, zumindest was die eigenen Staatsbürger angeht (wem welcher "Kremlkritiker" gehört, wird man am gewählten Wohnsitz ablesen können; interessanterweise sind nur drei der Ausgetauschten in die USA geflogen). Wobei es ein klein bisschen eklig ist, diesen Terroristen aus Weißrussland herauszuholen.

Scholz jedoch macht aus dieser Vorgeschichte eine Dankbarkeitsbekundung, ja, geradezu einen Kniefall vor den Amerikanern. Damit erweist er sich gewissermaßen erneut als Statthalter der USA und verzichtet ihnen gegenüber schon reflexhaft auf jedes bisschen Würde.

Denn eigentlich hätte sich ein deutscher Regierungschef vor allem bei den eigenen Leuten bedanken müssen; wenn in Presseberichten steht, das Bundeskanzleramt habe mitverhandelt, dann steht das für den BND, weil der Kanzleramtschef die Aufsicht über die deutschen Dienste führt. Scholz besitzt derart wenig Loyalität dem eigenen Land und dem eigenen Apparat gegenüber, dass er sich sogar in diesem Moment bei den falschen Leuten bedankt.

Technisch betrachtet war es das Verhandlungsgeschick der deutschen Teilnehmer gegenüber den Amerikanern, das diese für die deutsche Seite ungewöhnlich günstige Quote erzielte. Als deutscher Regierungschef hätte er, insbesondere in einer Situation, wenn er vor den Kameras als solcher agiert, seine eigenen Leute loben müssen. Er ist aber selbst dafür zu sehr Knecht.

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