Meinung

Der Gefangenenaustausch – Symbol für einen neuen kalten Krieg

Anders als viele denken, ist der am Donnerstag durchgeführte Gefangenenaustausch kein Zeichen der Verbesserung der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen. Tatsächlich symbolisiert er einen neuen Kalten Krieg und steht ganz in den Traditionen des alten.
Der Gefangenenaustausch – Symbol für einen neuen kalten KriegQuelle: Sputnik © Kirill Sykow, RIA Nowosti

Von Andrei Restschikow und Rafael Fachrutdinow

Russland und die USA haben am Donnerstag einen präzedenzlosen Gefangenenaustausch durchgeführt. Ausgetauscht wurden dank des von der Türkei und anderen Ländern vermittelten Deals Bürger aus Russland, den USA und Deutschland. Kann dieser Austausch als eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Moskau und Washington angesehen werden? Oder ist er nur ein weiterer Beleg dafür, dass der neue Kalte Krieg entschlossen geführt und lange andauern wird?

Beteiligt waren an diesem Prozess Behörden und Geheimdienste der Türkei, Deutschlands, Polens, Sloweniens und Norwegens. Damit der Gefangenenaustausch stattfinden konnte, unterzeichnete der russische Präsident Wladimir Putin Dekrete zur Begnadigung der betroffenen Personen.

Wie der Föderale Sicherheitsdienst (FSB) erklärte, wurden acht im Westen inhaftierte Russen samt minderjährigen Kindern in ihre Heimat zurückgebracht. Der Austausch war dank der gezielten Arbeit der zuständigen Regierungsbehörden und ausländischer Partner möglich – die Russen wurden gegen eine Gruppe von Personen ausgetauscht, die im Interesse ausländischer Staaten zum Nachteil der Sicherheit der Russischen Föderation handelten.

Die Informationen über den Deal wurden von US-Präsident Joe Biden bestätigt, der am Donnerstag eine Erklärung dazu abgab. Insgesamt seien 16 Personen freigelassen worden, darunter fünf Deutsche und sieben Russen. Biden hob besonders die Freilassung von US-Bürgern hervor: Evan Gershkovich, Journalist des Wall Street Journal; Paul Whelan, ehemaliger Marinesoldat; und Alsu Kurmasheva, Redakteurin von Radio Swoboda (Radio Free Europe/Radio Liberty), in Russland als ausländische Agentin eingestuft.

Zu den nach Russland zurückgeführten Personen zählt der in Deutschland wegen des Mordes an dem georgischen Staatsbürger Selimchan Changoschwili zu lebenslanger Haft verurteilte Wadim Krassikow. Russland holte auch Wladislaw Kljuschin zurück, der in den USA wegen Insiderhandels inhaftiert war. Der Russe Roman Selesnew wurde in den Vereinigten Staaten wegen Cyberbetrugs verurteilt, und Wladimir Konoschtschenok wurde beschuldigt, über Estland illegal amerikanische Elektronik für den russischen militärisch-industriellen Komplex gekauft zu haben.

Der von Warschau freigelassene Pawel Rubzow wurde im Februar 2022 von den polnischen Behörden an der polnisch-ukrainischen Grenze festgenommen und beschuldigt, für Russland spioniert zu haben. Norwegen ließ Michail Mikuschin frei, der im Jahr 2022 wegen Spionageverdachts inhaftiert worden war.

Im Rahmen dieses Austauschs wurden die in Slowenien wegen angeblicher Spionage verurteilten Artjom und Anna Dulzew an Russland ausgeliefert. Den Ermittlungen zufolge hatten sie sich als argentinische Staatsangehörige ausgegeben. Kürzlich wurden sie von einem Gericht zu einem Jahr und sieben Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Auch ihre beiden Kinder sind nach Russland zurückgekehrt.

Gershkovich, der von Russland ausgeliefert wurde, ist wegen Spionage zu 16 Jahren Freiheitsstrafe in einer Hochsicherheits-Strafkolonie verurteilt gewesen. Für den Versuch, vom russischen Geheimdienst eine Mitarbeiterliste einer FSB-Einheit zu erhalten, erhielt Whelan die gleiche Freiheitsstrafe. Die in die USA ausgelieferte Kurmasheva wurde vergangene Woche von einem Gericht in Tatarstan wegen vorsätzlicher Verbreitung von Falschinformationen über die russische Armee zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

Der von Minsk freigelassene deutsche Staatsbürger Rico Krieger wurde diese Woche von Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko von der Todesstrafe begnadigt. Dem Deutschen wurde vorgeworfen, Handyfotos von Iskander-Raketenwerfern und anderer Ausrüstung zugunsten des Sicherheitsdienstes der Ukraine gemacht zu haben. Außerdem soll er Sprengstoffanschläge auf die weißrussische Eisenbahn geplant haben. Von der russischen Seite wurde Lukaschenko bereits Dankbarkeit für die Geste des guten Willens bekundet.

Der als ausländischer Agent anerkannte Publizist Wladimir Kara-Mursa Jr. ist wegen Hochverrats und Fälschungen über die russische Armee zu 25 Jahren Freiheitsstrafe in einer Hochsicherheits-Strafkolonie verurteilt. Neben der russischen und britischen Staatsbürgerschaft besitzt er auch eine Aufenthaltsgenehmigung für die USA. Der ausländische Agent Ilja Jaschin wurde im Zusammenhang mit Falschaussagen über die russische Armee ebenfalls zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Moskau lieferte auch Demuri Woronin aus, einen Politikwissenschaftler mit russischer und deutscher Staatsangehörigkeit, den das Moskauer Stadtgericht wegen Hochverrats verurteilt hatte.

Unter den weiteren Ausgetauschten gehören die ehemaligen Leiter von Alexei Nawalnys Hauptquartier Lilia Tschanyschewa und Wadim Ostanin, Xenia Fadejewa, die wegen Extremismus zu neun Jahren Freiheitsstrafe verurteilt ist, und Andrei Piwowarow, ehemaliger Leiter von "Otkrytaja Rossija" [Open Russia], einer Organisation, die für unerwünscht erklärt wurde und ihre Tätigkeit in Russland einstellte. Oleg Orlow, ein Menschenrechtsaktivist von "Memorial", der ebenso als ausländischer Agent eingestuft ist, und die Künstlerin Alexandra Skolitschenko haben jeweils eine Verurteilung wegen Diskreditierung der russischen Streitkräfte.

Der Sankt Petersburger Fahrradaktivist German Moyzhes (der einen russischen und einen deutschen Pass besitzt) war wegen Landesverrats verhaftet worden. Der jüngste Beteiligte an dem Deal ist ein 18-jähriger Einwohner von Maikop, der russische und deutsche Staatsbürger Kevin Lik, der im Dezember 2023 wegen Zusammenarbeit mit westlichen Geheimdiensten zu vier Jahren Freiheitsstrafe in einer allgemeinen Strafkolonie verurteilt wurde.

Unter Experten wird nun darüber spekuliert, ob der Gefangenenaustausch ein Vorläufer für andere gegenseitige Schritte zum Spannungsabbau und vielleicht sogar für Verhandlungen über den Kern des Konflikts zwischen Russland und den Vereinigten Staaten sein könnte.

Das sei nicht so, meint der Politikwissenschaftler Fjodor Lukjanow. Ihm zufolge sei der Austausch ein Indiz für eine etablierte und strukturierte Konfrontation, wie es sie auch während des Kalten Krieges gegeben habe:

"Man könnte sagen, dass es sich um einen humanitären Akt handelt, wenn die Konfrontationspartner Schritte unternehmen, um die Notlage von Personen zu lindern, die aus dem einen oder anderen Grund – operativ oder politisch – für sie wichtig sind. … Es hat nichts mit dem Konfliktinhalt zu tun und zieht keine über den Einzelfall hinausgehenden organisatorischen Konsequenzen nach sich. Dass es einen Kanal gibt, über den dies verhandelt werden kann, ist ermutigend. Aber es sagt nichts über die zukünftige Entwicklung aus."

Der Austausch könne nicht als eine qualitative Verbesserung der Beziehungen zwischen Moskau und Washington angesehen werden, erklärt Stanislaw Tkatschenko, Professor am Lehrstuhl für Europastudien der Fakultät für Internationale Beziehungen der Staatlichen Universität Sankt Petersburg. Er sei aber auf jeden Fall eine gute Nachricht:

"Es war zum Beispiel sehr mühsam und wichtig, Krassikow aus Deutschland herauszuholen. Jetzt ist es gelungen. Der erfolgte Austausch ist somit eine Bestätigung dafür, dass es verschiedene, auch unangekündigte Kommunikationskanäle zwischen den Ländern gibt, die sehr komplexe Probleme lösen können."

Er denke, dass Moskau und Washington "innerhalb dieses Ökosystems" in der Lage seien, auch größere internationale und geopolitische Fragen zu lösen, fügt Tkatschenko hinzu.

Dieser Deal habe auch Auswirkungen auf die Innenpolitik der USA, meint der Politologe Jewgeni Mintschenko. Gershkovichs Fall wurde in den Medien aktiv aufgegriffen und als ein bedeutender Sieg für die USA dargestellt. Für die Regierung Biden/Harris sei dies natürlich eine Trumpfkarte, die sie im Wahlkampf einsetzen werden.

Dieser Aspekt der US-Innenpolitik sei für Wladimir Putin allerdings unbedeutend, so Mintschenko weiter. Für Moskau gehe es in erster Linie darum, die eigenen Leute herauszuholen. Der Politologe schlussfolgert daraus:

"Aber ich erkenne hier nicht einmal einen Hinweis auf eine potenzielle Entspannung. Ein halbes Jahr vor der Kubakrise gab es zum Beispiel einen Austausch zwischen der UdSSR und den USA auf der Glienicker Brücke. Ich glaube sogar, dass der aktuelle Austausch ein Beleg dafür ist, dass der Kalte Krieg ernsthaft und lang anhaltend sein wird."

Die Logik der Vereinigten Staaten bei der Auswahl der Gefangenen, so der amerikanische Politologe Boris Meschujew, ist folgende: "Gershkovich, Whelan und Kurmasheva haben die amerikanische Staatsbürgerschaft. Für Washington ist es wichtig, die eigenen – unter dem Schutz der Vereinigten Staaten stehenden – Leute herauszuholen." Meschujew merkt an, dass Kara-Mursa, der eine Greencard besitzt, ebenfalls als "Bürger der angelsächsischen Welt" betrachtet wird.

Dem Politologen zufolge handelt es sich bei diesem Austausch um eine präzedenzlose Aktion. Russland wisse sehr wohl, dass die US-Regierung "alle möglichen PR-Vorteile" aus dieser Situation ziehen werde, hat sich aber aus eigenen politischen Gründen darauf eingelassen. Meschujews Vermutung:

"Selbstverständlich empfängt Russland seine Bürger, die bestimmte Aufgaben außerhalb des Landes erfüllt haben. Im Großen und Ganzen signalisiert dieser Schritt jedoch wahrscheinlich den Beginn eines großen Gesprächs über einen möglichen Lösungsversuch des Konflikts in der Ukraine auf diplomatischem Wege."

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 1. August 2024 zuerst auf der Zeitung Wsgljad erschienen.

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