Meinung

Parasitär und asozial: Die innere Verkommenheit des westlichen Imperialismus

Verrottende Infrastruktur, wachsendes Elend, kassierende Milliardäre: Immer deutlicher zeigt der westliche Imperialismus sein dystopisches Antlitz. Mit Sozialabbau und autoritärer Gängelei hält auch die Bundesregierung an diesem Kurs fest. Zur Rechtfertigung präsentiert sie Sündenböcke.
Parasitär und asozial: Die innere Verkommenheit des westlichen ImperialismusQuelle: Gettyimages.ru

Von Susan Bonath

Zu Monopolen verschmolzene Riesenkonzerne beherrschen den Markt und kommandieren die Politik. Arbeitende Massen sind zu bloßem Humankapital in einer Profitmaschine degradiert. Statt ins Gemeinwohl fließt der von vielen erarbeitete Reichtum vor allem nach oben, während am Rande der Großstädte Obdachlosencamps zu Slums anwachsen, die gesellschaftliche Infrastruktur verrottet und der Staat die Sozialkassen plündert, um Krieg vorzubereiten. Kommt das jemandem bekannt vor?

Man muss nicht bis in die USA schauen, die Dystopie findet man überall in Europa. Sie ist das abgründige Antlitz des real existierenden wertewestlichen Imperialismus, ob in New York oder London, Budapest oder Paris, Madrid oder Rom, Berlin oder Frankfurt am Main. Vor über 100 Jahren sah Lenin eine solche Entwicklung des Imperialismus bereits voraus und fand einen trefflichen Begriff: "parasitärer Kapitalismus".

Slums und Drogenelend

Der Mensch als Dienstpersonal für den "freien Markt": Diese Doktrin, gepaart mit der neoliberalen Geschichte vom "Trickle-Down-Effekt", wonach mehr nach unten durchsickere, wenn die Reichen reicher würden, ist seit langem alternativloser Grundsatz der US-Propaganda. Unter dem Label "Freiheit" rattert sie durch alle Kanäle des Wertewestens, mal frontal, mal suggestiv, mal fluffig, mal paternalistisch-autoritär.

Doch die versprochene Freiheit offenbart zusehends ihre Abgründe: Zeltcamps von Obdachlosen wachsen in der "freien Welt" zu "Vorstädten" der Verelendeten an. Als die ZEIT 2015 über das Ausmaß in den USA berichtete, war das Problem längst immens. Wer erst obdach- und arbeitslos ist, wird schnell perspektivlos. Der Weg in Sucht und Kriminalität ist oft kurz.

Die Zahl der in den USA erfassten Todesopfer harter Drogen (ohne Alkohol) hat sich seit dem Bericht von 2015 von 52.000 auf über 108.000 mehr als verdoppelt, seit dem Jahr 2000 sogar verfünffacht. Die Inzidenz kletterte demnach binnen 20 Jahren von gut sechs auf über 32 Drogentote pro 100.000 Einwohner – das sind weit mehr, als während Corona jemals irgendwo herbeigetestet werden konnten. Und das ist wohl nur die Spitze des Eisbergs.

Deutsches "Zombieland"

In Deutschland bahnt sich eine ähnlich düstere Entwicklung an. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG-W) mahnte kürzlich einen rasanten Anstieg wohnungsloser Menschen an. Allein die Zahl der in Notunterkünften Untergebrachten kletterte demnach zwischen Anfang 2023 und Anfang 2024, also innerhalb nur eines Jahres, um ganze 18 Prozent auf rund 440.000.

Nicht mitgezählt wurden dabei die vielen Zehntausenden, die unter freiem Himmel kampieren oder mal bei dem einen, mal bei dem anderen Bekannten unterschlüpfen. Ihre genaue Zahl kennt keiner, viele sind weder krankenversichert noch gemeldet. Auch hunderttausende Flüchtlinge in Asylheimen blieben unerwähnt.

Erwartbar steigt die Zahl der Drogentoten auch in der Bundesrepublik. Mehr Menschen lassen sich zudem wegen schwerer Alkoholsucht behandeln. Die Dunkelziffer bei allen Opfern dürfte hoch sein. Das wachsende Elend am Frankfurter Hauptbahnhof irritierte jüngst sogar Fußballfans. Ausländische Medien nannten es "Zombieland".

Infrastruktur verrottet

Mit den Ausgestoßenen verrottet die Daseinsfürsorge. Die Krankenhausgesellschaften klagen seit Jahren über massive Unterfinanzierung. Kliniken schließen reihenweise ihre Kreißsäle, machen Kinderstationen dicht oder bauen Betten ab.

Das deutsche Bahnnetz ist so marode, dass man als Fahrgast inzwischen froh sein muss, überhaupt am Zielort anzukommen. Während Züge und Gleise auseinanderfallen, kassieren die Bahn-Vorstände Millionenboni. Es fehlen Wohnungen und Kinderbetreuungsplätze, Ärzte und Therapieplätze, die Liste ist fast endlos.

Sündenböcke

Die Ursache dieser Verwerfungen in der Struktur des westlichen Systems zu suchen, kommt den Erzählern neoliberaler Märchen nicht in den Sinn, oder besser: nicht in die Propagandatüte. Es ist wie mit dem Krieg in der Ukraine oder dem seit über neun Monaten andauernden israelischen Massaker im Gazastreifen: Kontext gibt es nur bei Bedarf.

Beim Erfinden von Sündenböcken war der Westen stets kreativ. Für das Umverschieben sozialer Mittel in die Kriegsmaschine, also zu den Rüstungskonzernen, muss "Diktator Putin" als Alleinschuldiger herhalten. Für die Auslöschung zehntausender, wenn nicht hunderttausender Menschenleben im Gazastreifen ist nach westlicher Doktrin allein "die Hamas" verantwortlich. Und Ursache für zunehmende Armut, Obdach- und Arbeitslosigkeit im Wertewesten sind danach, praktischerweise, die Betroffenen selbst.

Umverteilung nach oben

Mit ihren Sündenbock-Thesen begründet die Politik ihren zunehmenden Griff in die Sozialkassen und zur Peitsche gegenüber Betroffenen. Allein 5,5 Milliarden Euro will die Regierung 2024 aus dem Bürgergeld- in den Rüstungstopf umschichten. Das sind fast 13 Prozent des Gesamtbudgets inklusive Verwaltung. Die geplanten Kürzungen betreffen auch Ausbildung und Umschulung. Dass man so fehlende Fachkräfte nicht bekommen kann, liegt auf der Hand.

Darum geht es also nicht. Ziel ist es, den Sozialabbau voranzutreiben, die Rechte von Lohnabhängigen einzustampfen und die so produzierten Missstände zu rechtfertigen. Das ist praktisch für die Profiteure, die derweil ungeniert Milliarden kassieren, Steuern umgehen, Vermögen verschieben und zuweilen sogar an Gesetzen mitschreiben. Die Umverteilung nach oben läuft: Die Milliardäre müssen wenig dafür tun, um täglich reicher zu werden. Irgendwer muss dafür enteignet werden.

Ein restriktives Gängelband für Arbeitslose dient vor allem als Maulkorb für Jobbesitzer. Ackern bis zum Umfallen ohne zu murren sollen sie, wenn möglich, bis weit übers Rentenalter hinaus. Auch das ist längst für viele Menschen in Deutschland die Realität.

Parasitärer Kapitalismus

Anders gesagt: Die Bundesregierung gibt vor, die wachsenden sozialen Probleme zu "bekämpfen" – dies jedoch mit ihrer eigentlichen Ursache, und immer mehr davon: Sozialkürzungen, Privatisierungen und so weiter. In Wahrheit leitet sie einfach den erarbeiteten Reichtum immer rabiater in die Taschen der Profiteure um – man könnte sie westliche Oligarchen nennen –, während sie das Volk zum Nach-unten-Treten animiert.

So gehen Kliniken weiter pleite, Bahnanlagen verrotten, das Elend explodiert, der Sozialstaat verkümmert, die Kriminalität steigt und das Internet ist in vielen deutschen Regionen noch immer schlechter als in der russischen Pampa. Hauptsache, der Profit fließt nach oben. Lenin sah es wohl richtig voraus: Parasitärer Kapitalismus als Folge des imperialistischen Wahnsinns eben, live und in Farbe mitten in der "freien Welt".

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