Meinung

Tod einer ukrainischen Nationalistin: Deutsche Medien warten, bis eine "russische Spur" gelegt wird

Die deutschen Medien haben sich mit der Berichterstattung zum Mord an Irina Farion viel Zeit gelassen. Vor allem denen, die behaupten, in der Ukraine gebe es keinen Nazismus oder er sei marginal, war Farion ein Dorn im Auge. Man hätte über ihr Wirken lieber geschwiegen.
Tod einer ukrainischen Nationalistin: Deutsche Medien warten, bis eine "russische Spur" gelegt wirdQuelle: AFP © Iwan Stanislawskij

Von Wladislaw Sankin

Normalerweise sind die deutschen Medien viel, viel schneller. Wenn ein prominenter Politiker im Ausland durch einen Kopfschuss auf offener Straße lebensgefährlich verletzt wird, ist es auf jeden Fall eine obligatorische Eilmeldung. Noch mehr gilt es für die Ukraine, einem für die Bundesregierung extrem wichtigen Land, einem Land, das, wie es heißt, unsere Freiheit gegen die Russen verteidigt. Noch sensationeller ist die Nachricht, wenn es sich bei dem Politiker um eine Frau handelt und erst recht, wenn sie nach nur wenigen Stunden stirbt. Das alles geschah am Freitag mit der ukrainischen Ex-Abgeordneten und Ultranationalistin Irina Farion im Lwow, dem ukrainischen Fenster nach Westen – RT DE berichtete

Doch, die deutschen Medien schwiegen beharrlich zu dem Vorfall. Über den Grund dieses Schweigens konnte man zunächst nur mutmaßen. Das ist verständlich, denn es war in der Tat einfach nur schwer, Farion politisch einzuordnen, ohne das nicht zu erwähnen, wofür Farion vor allem bekannt war – ihre Skandalträchtigkeit und ihre Hasspredigten gegen Russen und Russischsprachige. Sie rief bei jeder Gelegenheit dazu auf, die Russen aus der Ukraine zu vertreiben – andernfalls müssten sie "vernichtet werden" (Ukr. треба знищувати). Farion war ein lebender und aussagekräftigster Beweis für die Existenz des ukrainischen Nazismus.

Auch am nächsten Tag schwiegen die deutschen Medien, das Schweigen wurde immer peinlicher. Dann warfen die ukrainischen Behörden einen "Rettungsring" – die russische Spur bei dem Attentat wurde gelegt. Für sie gab und gibt es bislang keine Beweise, aber sie wird in der Ukraine neben anderen Mordtheorien offiziell in Erwägung gezogen. Auch Selenskij schließe einen russischen Auftragsmord nicht aus, mit dem vermeintlichen Motiv, wie es aus dem Innenministerium hieß: So verfolge der Kreml den Zweck, die ukrainische Gesellschaft zu spalten. 

Damit war die selbst auferlegte Nachrichtensperre aufgehoben. Doch auch dann ließen die deutschen Medien sich Zeit. Erst nach und nach erschienen die ersten Meldungen, mal einen Tag später am Samstag (die meisten), mal zwei (ZDF), mal drei (Die Welt). "Russlandkritische Politikerin in der Ukraine ermordet ... Ermittler prüfen Spuren nach Russland", legt die Tagesschau den gewünschten Spin direkt in der ersten Zeile. "Ihre Partei vermutet, dass Russland hinter der Tat steckt", teasert Der Spiegel auch an oberster Stelle. Die Frankfurter Rundschau hat weniger Schnörkel und fragt direkt in der Schlagzeile: "Russischer Auftragsmord?". Die Welt besiegelt den Verdacht mit dem Verweis auf zweifellos die "glaubwürdigste" aller Quellen – auf Selenskij: "Mord an Politikerin – Selenskyj hält russische Beteiligung für möglich". 

So kann man berichten, so hat die Nachricht endlich Struktur! Und lieber vom toxischen Thema schnell wieder lassen, denn es könnten sich dann auch wieder Ungereimtheiten einschleichen, wie etwa die Tatsache, dass Polizei und Rettungswagen erst nach 20 Minuten am Tatort ankamen. "Sie haben zu viele Präzisierungsfragen gestellt. Sie waren nicht operativ", beschweren sich die Augenzeugen der ukrainischen Internet-Zeitung Strana. Auch war im Mehrfamilienhaus, in dem Farion gelebt hat, der Strom ausgeschaltet, während es in allen Nachbarhäusern Strom gab. Das führte dazu, dass Überwachungskameras die Tat vor dem Eingang zum Haus nicht filmen konnten.

Dies alles könnte natürlich ein Zufall sein. Aber die Tatsache, dass Farion mit ihrer Radikalität mittlerweile auch unter ukrainischen Militärs viele Feinde hatte, würde die Medien von der "interessantesten" aller Spuren bei der Suche nach dem Täter – nämlich der russischen – ablenken. Dann müsste man eventuell sogar Farion auch mal zitieren, um zu recherchieren, warum die Ex-Politikerin sogar in der Ukraine "umstritten" war. 

Denn nichts entlarvt Farion als fanatische Hasspredigerin und ihr Land als rechtsfreien Raum besser als ihr ins Deutsche übersetzter O-Ton. In jedem anderen Land, das sich als Rechtsstaat begreift und um gesellschaftlichen Frieden sorgt, wäre Farion längst als Extremistin verurteilt worden. Doch sowohl die ukrainische Justiz als auch die vermeintlich so wache ukrainische "Zivilgesellschaft" schwiegen, als Farion im Jahre 2010 in einem Lwower Kindergarten erschien und gegen Kinder mit russischen Vornamen aufs Übelste hetzte.

Damals war Farion Abgeordnete des Lwower Stadtrates von der rechtsradikalen Swoboda-Partei. Kinder mit den Vornamen Petja und Mascha sollten "die Koffer packen" und nach "Moskowija" gehen, wenn sie nicht die "ukrainischen Namen" Petryk und Maritschka hätten, schüchterte sie die Kleinsten ein. Ein weiteres Mädchen, Lisa, hat die Politikerin beleidigt, indem sie sagte, ihr Vorname stamme vom Verb "lecken". Mit einer russischen Form machten die Kinder ihre Vornamen den Wölfen und Bären gleich (не "оволчівайте" і не "омедвежівайте"). 

Dieser Auftritt vor Kindern vor 14 Jahren war der Auftakt einer massiven Hetzkampagne zur Entmenschlichung der Russen und zahlreicher Aufrufe zu deren Vernichtung als Okkupanten. Um als Okkupant gebrandmarkt zu werden, genügte es, die russische Sprache im Alltag zu benutzten. Das Odessa-Pogrom von 2. Mai 2014 nannte die Nazi-Fanatikerin "Triumph des ukrainischen Geistes". Und Farion gab sich natürlich Mühe, ihren Hass in der Familie zu vererben. In Januar 2023 erzählte die Hochschuldozentin von ihrem Enkel, der seinen Kameraden im Kindergarten Ukrainisch mit der Faust beibringen müsse. Denn das Kind komme genervt nach Hause und sage: "Oma, im Kindergarten gibt es ein Moskal" – zuvor habe ein "Grischa" zu ihm als Begrüßung "Priwjet" (statt Priwit) gesagt. Das passe nicht zusammen, meint Farion, wenn die Omi sagt, Moskali müssten vernichtet werden. Dmytrik mache es aber wieder passend – er "vernichte" nun den Moskal mit eigener Hand.  

Nein, diese Details über das Wirken der ermordeten Politikerin, die sich sogar mit den russischsprachigen Soldaten der ukrainischen Armee wegen ihrer Muttersprache anlegte, würden das Bild der Ukraine in den Augen der deutschen Medienkonsumenten trüben und bleiben so gut wie gespart. Genauso wie die Tatsache, dass zur Beerdigung von Farion in Lwow mehrere Tausend Menschen erschienen und beim Trauerzug durch die Straßen von Lwow zusammen mit ihrer Tochter "Tod den Feinden", "Moskali (Russen), weg aus Lwow" und manche sogar "Tod den Moskali" gerufen haben.

Farion war keine marginale Erscheinung, wie manche in der Ukraine zu behaupten pflegen, sie hat alle Tabus beim Sagbaren medienwirksam gebrochen und damit das Meinungsklima im Land entscheidend geprägt – mit Wohlwollen der Regierung. Am Tag ihres Todes moderierte sie eine weitere Folge ihrer Fernsehsendung "Ukrainisches Gen", wo sie wie gewohnt Nazi-Kollaborateure wie den UPA-Kommandanten und Hauptmann einer Wehrmacht-Spezialeinheit Roman Schuchewitsch verherrlichte. Eine schwarz-rote UPA-Fahne durfte bei der Trauer-Kundgebung  entsprechend nicht fehlen. Eine weibliche Form eines ukrainischen Mini-Goebbels war Farion zweifelslos. 

Aber irgendwie fehlt in der Geschichte über Irina Farion ein Schlusswort, der letzte Akkord sozusagen. Hier, bitte schön, auch das ist gemeistert – mit Schuldumkehr durch ein angeblich höhnisches Zitat der russischen "Propaganda-Vertreterin". Als Fazit meldet die dpa und mit ihr die ganze deutsche Presselandschaft: "Die russische staatliche Propaganda nahm die Nachricht vom Tod der Politikerin mit Genugtuung auf. "Iryna Farion, die von der 'vollständigen Beseitigung' der russischsprachigen Bevölkerung träumte, ist beseitigt worden. Gott regelt die Sache dort auch ohne uns", schrieb die Chefredakteurin des russischen Staatsfernsehsenders RT, Margarita Simonjan", so die dpa.  

Nicht die ermordete Politikerin hatte ein Schandmaul, sondern die Russen, die sie nach ihrem Tod mit ihren Kommentaren entwürdigen, lautet die durchschaubare Botschaft. Ja, Farion war vielleicht doch ein Schurke, aber schließlich unser Schurke, sie hatte mit uns einen gemeinsamen Feind. Also solltet ihr Russen auch jetzt lieber schweigen, sonst seid ihr schuld – wie eigentlich immer. 

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