Russland sollte sich zu seiner Feindschaft zum Westen bekennen
Von Dmitri Orechow
In Russland ist es üblich, sich darüber zu ärgern, dass der Westen unser Land immer wieder zum Feind erklärte: während der Zarenzeit, während der Sowjetzeit und in der postsowjetischen Zeit. Was für eine Ungerechtigkeit, was für eine Ungerechtigkeit, der Westen unterdrückt uns die ganze Zeit, und doch sind wir "keine Feinde, überhaupt keine Feinde". Aber warum sind wir eigentlich keine Feinde?
Im 17. Jahrhundert vereitelte Russland die Pläne Polens und des Heiligen Stuhls, es zum Katholizismus zu konvertieren. Im frühen 18. Jahrhundert schlug es den schwedischen König Karl XII., in dem Europa die Hoffnung sah, die "russischen Barbaren" zu zivilisieren. Im darauffolgenden Jahrhundert stellte es sich Napoléon in den Weg, der liebend gern die Errungenschaften der Französischen Revolution über die Weiten Russlands verbreiten wollte. Selbst die Kanonen mit den Aufschriften "Liberté, Égalité, Fraternité", die auf dem Feld von Borodino zum Einsatz kamen und beim Rückzug aus Moskau zurückgelassen wurden, gaben unsere Vorfahren nicht an Frankreich zurück.
Nachdem wir den französischen Traum mit den Füßen zertreten hatten, droschen wir sehr lange gegen den englischen ein. Denn England hatte auch einen Traum: alle Länder nach Möglichkeit zu kolonisieren, Afrika, den Nahen Osten, Südamerika, die Pazifikinseln, den Indonesischen Archipel und die Küsten Chinas und Japans mit seinen Kolonisten zu besiedeln. Gerade davon schwärmten solche Idole der englischen Nation wie Rudyard Kipling und Cecil Rhodes. Zu ihren Plänen gehörte, die ganze Welt in Länder zu verwandeln, die London untergeben wären, wobei sämtliche Konflikte und Kriege unmöglich werden würden.
Diese Herren glaubten aufrichtig, dass ein Weltparlament, in dem weiße Abgeordnete aus englischen Kolonien sitzen würden, eines Tages sämtliche Probleme der zivilisierten Völker lösen würde. Ein schöner Traum? Sicher. Doch das zaristische Russland hinderte England daran, dieses Reich zu erschaffen. Dazu baute es sein eigenes Imperium, wo statt einer Hierarchie aus höheren und niederen Rassen eine eigene merkwürdige Ordnung herrschte, bei dem Vertreter unterschiedlichster Völker, von Polen bis zu den Aleuten, zu gleichberechtigten Bürgern des Riesenreiches wurden.
Zum Höhepunkt der Unanständigkeit wurde Russlands Verhalten während des Krimkriegs: Russland stoppte eine englisch-französische Invasion, verhinderte die eigene Aufspaltung und streckte auf dem Schlachtfeld die Blüte der englischen Aristokratie nieder. Wir gewöhnten uns an den Gedanken, dass wir diesen Krieg hoffnungslos verloren hatten, doch nicht alle auf der Welt dachten so, und Englands Rückzug von der Krim ließ manch ein Herz höherschlagen. Bald darauf begann in Indien der Sepoyaufstand, und Burma, das von Großbritannien bereits ins Visier genommen wurde, beantragte offiziell einen Beitritt zum Russischen Reich. Denken Sie etwa, dass das für die Engländer angenehm war?
Nach 1917 begannen wir wieder, etwas Eigenes, Merkwürdiges zu bauen und dabei andere zu verwirren. Und dabei beschränkten wir uns nicht etwa allein auf die Mongolei – Russlands Beispiel steckte selbst Europa an, wo die kommunistische Bewegung erstarkte. Bald darauf zwang die "Rote Gefahr" die führenden Mächte des Westens dazu, den Faschismus zu fördern. Es war ein hervorragendes Vorhaben: das nazistische Monster großzuziehen und es auf Russland zu hetzen. Alles verlief nach Plan, die Welt war schon in Einflusssphären unterteilt, und den teutonischen Rassen würde eine Zeit der Blüte bevorstehen, nachdem sie ihre Aufgaben vor der Menschheit weise aufgeteilt hatten: Die USA würden über die ihnen untergebenen Wilden am Mississippi herrschen, die Engländer am Ganges, Indus und Niger, die Deutschen an der Wolga.
Doch Russland vereitelte den Plan erneut: Durch die Schließung des Nichtangriffspakts mit Deutschland im Jahr 1939 schlug es einen Keil zwischen die Freunde und zerstörte die englisch-deutsche Partnerschaft. Es entstand eine paradoxe Lage: England wurde in den Krieg gegen den eigenen Zögling und Gesinnungsgenossen hineingezogen. Dabei hatte der englische König Eduard VIII. seiner Nichte, der künftigen Königin Elisabeth, doch schon den Hitlergruß und den Ruf "Heil Hitler" beigebracht! In der Sowjetunion sprach man gern mit Verbitterung darüber, dass russische und deutsche Arbeiter auf unterschiedlichen Seiten der Front kämpften und aufeinander schossen. Dabei vergaß man allerdings, dass sich englische und deutsche Nazis ebenfalls auf unterschiedlichen Seiten der Front wiederfanden. Sie schossen auch aufeinander, und für viele von ihnen war es ebenfalls eine Tragödie.
Nachdem Russland die teutonischen Völker gegeneinander aufgehetzt, den deutschen Traum von einem Lebensraum im Osten zerstört und Englands Pläne einer Aufteilung der Welt vereitelt hatte, machte es nicht Halt. Es folgte noch ein unblutiger Sieg über Großbritannien, als es dem sowjetischen Kommando dank der schnellen Einnahme von Berlin und den glänzenden taktischen Manövern gelang, die von Winston Churchill geplante Operation "Unthinkable" zu vereiteln. Churchill, der die besten Eigenschaften der englischen Politiker verkörperte, kämpfte wie ein Löwe bei seinen Versuchen, eine neue westliche Front gegen Russland zusammenzuflicken.
Alles war gut durchdacht – England, die USA, die deutschen Nazis, Polen und Ungarn würden im Jahr 1945 Russland angreifen und das bewerkstelligen, woran Hitler scheiterte. Dem Plan zufolge sollten die "Moskowiter" in die Tiefen der Wälder und Steppen gejagt und der Krieg nach seinem ursprünglichen Szenario beendet werden. Und auch dieser Plan scheiterte! Nicht umsonst verfiel "der größte Engländer aller Zeiten" danach in Hysterie und flehte den US-Präsidenten Harry Truman an, Atombomben auf sowjetische Städte abzuwerfen. Er wusste, dass Russland nicht unter den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs verbleiben durfte.
Und bald darauf brach tatsächlich das Unheil herein: Vom Beispiel des "nichteuropäischen" und "rassisch minderwertigen" Russlands beseelt, griffen die einstigen Wilden zu den Waffen und verjagten die Engländer aus ihren Kolonien. Und unser Land leistete ihnen dabei aktive Hilfe. Faktisch taten wir das, was die Briten seit Jahrhunderten für das eigene ausschließliche Recht hielten: sich in Konflikte einzumischen und den Gegner mit fremden Händen zu schlagen.
Und unsere Konfrontation mit den USA? Gemeinsam mit China stoppte die Sowjetunion die US-Invasion Koreas, unterstützte Washingtons Feinde in Asien, Afrika und Lateinamerika, half demonstrativ Vietnam und Kuba. Vor den Augen der ganzen Welt liefen die geographischen Leckerbissen des Planeten zum sozialistischen Lager über und erzeugten damit eine direkte Bedrohung für die Interessen der USA. Denken Sie etwa, dass die Angelsachsen das vergessen haben sollten und so tun würden, als wäre all das nie geschehen?
Zu unserer Zeit wird die Größe der USA wie ehemals die Größe Englands bedroht. Wie viele Kräfte wandten die Vereinigten Staaten auf, um die eigene globale Dominanz zu sichern! Jahr für Jahr schufen sie den Großen Bogen der Instabilität von Nordafrika bis China. Wie viele Kräfte, wie viele Mittel, wie viel Energie wurde in dieses Vorhaben investiert, wie viele Agenten vorbereitet, wie viele Konflikte entfacht! Doch Russland machte ihnen abermals einen Strich durch die Rechnung. Durch die Unterstützung der russischen Luftstreitkräfte für die rechtmäßige syrische Regierung unter Assad wurde mit Syrien das wichtigste Glied dieser Kette im Nahen Osten gehalten. Faktisch war es wieder ein Schlag ins Gesicht der USA und des Kollektiven Westens, der vor den Augen der ganzen Welt verübt wurde.
Man kann noch andere Beispiele anführen, doch das bereits Gesagte reicht schon. Wir stehen den sogenannten zivilisierten Völkern schon lange im Wege, wir wurden schon vor langer Zeit zu den ärgsten Feinden des Westens. Und es wäre höchst naiv zu glauben, dass uns etwa die Angelsachsen nur deswegen verzeihen würden, weil Wassili Liwanow in der Rolle des Sherlock Holmes überzeugend auftrat und Boris Sachoder eine elegante Übersetzung von "Pu der Bär" anfertigte.
Seien wir nicht naiv. Wir sind die Feinde des Westens, und werden es weiter bleiben. Hören wir also endlich auf, uns dafür zu schämen.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen am 18. Juli bei Wsgljad.
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