Meinung

Rainer Rupp: Wie die NATO-Russland-Krise zunehmend geopolitische Spannungen verursacht

Professor Gilbert Doctorow gibt eine umfassende Analyse des Stands der Dinge im Ukraine Konflikt, der verschiedenen Aspekte der NATO-Strategien, der russischen Reaktionen und der weitergehenden geopolitischen Implikationen, sowie der sich entwickelnden Dynamik zwischen der NATO und Russland und deren globalen Verbündeten. Eine Zusammenfassung von Rainer Rupp.
Rainer Rupp: Wie die NATO-Russland-Krise zunehmend geopolitische Spannungen verursachtQuelle: Gettyimages.ru

Von Rainer Rupp

Die anhaltenden geopolitischen Spannungen zwischen der NATO und Russland haben neue Höhen erreicht, insbesondere mit dem Konflikt in der Ukraine als kritischer Brennpunkt mit globalen Auswirkungen. In einem Interview am 11. Juli mit US-Richter Andrew Napolitano in der Sendung "Judging Freedom" lieferte der international bekannte US-Professor, Geo-Stratege und Russland-Kenner nachfolgende Einsichten.

Zur Präsenz von US-Truppen in Europa

Präsident Biden hob kürzlich die Präsenz von über 100.000 US-Soldaten in Europa hervor und betonte deren Bereitschaft, auf jede Eskalation in der Ukraine zu reagieren. Diese bedeutende militärische Präsenz wird als strategischer Schachzug zur Einschüchterung Russlands und zur Bestätigung des NATO-Engagements zur Verteidigung ihrer östlichen Flanke wahrgenommen. Professor Doctorow stellte fest, dass diese Truppenaufstellung von Russland genau beobachtet wird und dass Moskau die Fähigkeiten und Bewegungen der NATO akribisch verfolgt.

Hierbei sollte jedoch angemerkt werden, dass es sich bei den Hundert Tausend US-Soldaten im weiterhin noch US-besetzten Europa in der Mehrzahl nicht um Kampftruppen handelt, sondern hauptsächlich um Truppen deren Aufgabe in Verwaltung und Unterhalt der US-Basen und des logistischen Netzwerkes der US-Streitkräfte in Europa besteht. Allerdings ermöglicht diese militärische Infrastruktur den USA eine möglichst effiziente Verstärkung in Europa mit Kampftruppen.

Die strategischen Implikationen dieser massiven militärischen Aufstellung der USA in Europa sind tiefgreifend. Im Narrativ der US/NATO/EU-Eliten dient diese US-Präsenz der Abschreckung angeblicher russischer Angriffsabsichten gegen NATO-Länder im Osten. Für diese vorgeschobenen russischen Absichten gibt es jedoch keine Hinweise oder Indizien. Tatsächlich erhöht diese US-Truppenaufstellung in einer Krise den Druck auf Russland und steigert damit das Risiko einer direkten Konfrontation mit der NATO. Die psychologischen und politischen Botschaften, die durch eine so bedeutende US-militärische Präsenz gesendet werden, sollten nicht unterschätzt werden, da sie zur allgemeinen Spannung und Unsicherheit in ganz Europa und darüber hinaus beitragen, so Prof. Doctorow.

Russische Wahrnehmung und Bereitschaft

Im Interview hebt er die interne Debatte in Russland über die Reaktion auf die zunehmenden militaristischen Provokationen der NATO hervor. Zugleich verweist er darauf, dass es in Russland eine bedeutende Fraktion gibt, die die diplomatische und zurückhaltende Herangehensweise von Präsident Putin gegenüber dem Westen als potenziell schädlich ansieht und befürchtet, dass sie im Westen als russische Schwäche ausgelegt wird. Diese Fraktion plädiert für eine aggressivere Reaktion, um dem zunehmenden Druck von NATO und den Vereinigten Staaten entgegenzuwirken.

Diese interne Diskussion spiegelt das breitere strategische Dilemma wider, dem sich Russland gegenübersieht. Der Kreml steht somit vor der komplexen und heiklen Aufgabe, ein Gleichgewicht zu finden zwischen Zurückhaltung und unnötiger Demonstrationen von Stärke, mit denen die NATO vor weiteren unakzeptablen Eskalationen abgeschreckt werden soll. Die strategischen Berechnungen des Kremls werden laut Doctorow stark von diesen internen und externen Drucksituationen beeinflusst, die die militärischen und diplomatischen Manöver Russlands gestalten.

Die Rolle von F-16 und Tomahawk-Raketen

Zwei der kritischen Streitpunkte, die im Interview diskutiert wurden, waren der potenzielle Einsatz von F-16-Kampfflugzeugen, die ja Berichten zufolge in Kürze in der Ukraine eintreffen sollen, und die Stationierung von nuklear bestückbaren Tomahawk-Marschflugkörpern mit 2.000 km Reichweite in Deutschland durch die USA. Die Einführung dieser Waffensysteme in den Ukraine-Konflikt könnte die Spannungen erheblich verschärfen. Professor Doctorow wies darauf hin, dass die Ausbildung ukrainischer Piloten zum Betrieb von F-16 impliziert, dass NATO-Piloten, möglicherweise sogar Amerikaner als Söldner diese Jets unter ukrainischen Farben fliegen könnten.

Darüber hinaus stellt der mögliche Einsatz von Tomahawk-Raketen mit ihrer großen Reichweite und zerstörerischen Fähigkeiten eine ernsthafte Bedrohung für russische militärische und politische Kommando-, Kontroll- und Kommunikationszentren dar. Die Vorstellung, dass diese Raketen auch in der Ukraine stationiert werden und tief in russisches Gebiet, einschließlich Moskau, eindringen könnten, erhöht das Risiko eines umfassenderen Konflikts. Die Integration solcher fortschrittlichen Waffensysteme unterstreicht das eskalierende militärische Engagement der NATO im Ukraine-Konflikt und verwischt die Grenzen zwischen Unterstützung und direkter Teilnahme.

Die weitergehenden Implikationen der NATO-Aktionen

Das Interview ging auch auf die weitergehenden strategischen Ziele der NATO-Aktionen ein. Laut Doctorow liegt das übergeordnete Ziel des Westens nicht in der angeblichen Verteidigung der Ukraine, sondern in der Schwächung Russlands, um dessen globalen Einfluss und strategische Fähigkeiten auch in Bezug auf die Unterstützung Chinas zu verringern. In dieser US/NATO/EU-Strategie ist die Bedeutung der Ukraine auf die Rolle eines Bauernopfers im Schachspiel reduziert, das darauf abzielt, Kräfteverhältnisse in Europa nachhaltig zuungunsten Russlands zu verändern.
Die Implikationen dieser Strategie erstrecken sich auf andere globale Akteure, insbesondere China. Durch die Untergrabung Russlands strebt der Westen an, China zu isolieren und damit anfälliger für zukünftige geopolitische Manöver zu machen. Diese miteinander verknüpfte Strategie hebt die Komplexität der aktuellen globalen Machtverhältnisse hervor, bei denen Aktionen in einer Region weitreichende Konsequenzen auf der ganzen Welt haben.

Die Zukunft der NATO und der europäischen Sicherheit

Im Laufe des Interviews verlagerte sich die Diskussion auf die Zukunft der NATO und ihre Rolle in der europäischen Sicherheit. Präsident Selenskijs Bedenken hinsichtlich einer möglichen Verschiebung der US-Politik unter einer zukünftigen Trump-Administration, die das Engagement Amerikas in der NATO überdenken könnte, wurden dabei als berechtigt hervorgehoben. Dieses Szenario wirft natürlich Fragen über den langfristigen Zusammenhalt und die Stabilität des Bündnisses auf, im Gegensatz zu der beim Washingtoner Gipfel beschworenen, allerdings gespielten Einigkeit.
Laut Doctorow würde eine politische Demontage der NATO, oder eine potenzielle Reduktion der US-Unterstützung unter einem Präsidenten Trump, die operativen Fähigkeiten und die strategische Ausrichtung der NATO erheblich beeinträchtigen. Die Nachhaltigkeit des aktuellen Ansatzes der NATO, der stark von militärischer und finanzieller Unterstützung der USA abhängt, könnte in Frage gestellt werden, was zu einer Neubewertung der europäischen Sicherheitsstrategien und Allianzen führen würde.

Russisch-chinesische strategische Zusammenarbeit

Das Interview untersuchte auch die sich entwickelnde strategische Zusammenarbeit zwischen Russland und China, insbesondere im Kontext von Weißrussland. Die gemeldete Präsenz chinesischer Truppen in Weißrussland für gemeinsame Kriegsübungen signalisiert eine vertiefte militärische Partnerschaft zwischen den beiden Ländern. Diese Zusammenarbeit ist Teil einer breiteren Neuausrichtung, die durch die jüngste Aufnahme von Weißrussland in die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) belegt wird.
Diese Entwicklung signalisiert eine Verschiebung in der geopolitischen Landschaft, wobei Russland und China ihre Positionen konsolidieren und ihren Einfluss in Zentralasien und sogar in Osteuropa ausweiten. Die zunehmende militärische Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Mächten stellt ein Gegengewicht zur globalen Präsenz der USA und den Aktionen der NATO dar und fügt eine weitere Ebene der Komplexität zu den regionalen Sicherheitsdynamiken hinzu.

Fazit

In seinem Interview hat Professor Doctorow ein nuanciertes Verständnis der aktuellen geopolitischen Spannungen zwischen der NATO, Russland und ihren jeweiligen Verbündeten geboten. Die Präsenz von US-Truppen in Europa, der Einsatz fortschrittlicher Waffensysteme und die sich entwickelnden strategischen Allianzen unterstreichen den hochbrisanten Charakter des Konflikts in der Ukraine. Während sich die Situation weiter entfaltet, wird das empfindliche Gleichgewicht zwischen Abschreckung und Provokation, Diplomatie und Aggression die Zukunft der europäischen und globalen Sicherheit prägen. Das Zusammenspiel dieser Faktoren wird bereits in nächster Zukunft bestimmen, ob sich die Situation in Europa in Richtung einer Lösung und Stabilität bewegt oder weiter in Richtung eines großen Kriegs eskaliert.

Wer sich das 30 Minuten lange Interview in englischer Sprache ansehen will, kann das über diesen Link tun.

Mehr zum Thema – Rainer Rupp: Kein Ausweg – Die NATO auf der Schnellstraße in den großen Krieg (Teil 2)

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