Meinung

Orbáns Friedensmission in Kiew gescheitert – Was kommt jetzt?

Viktor Orbán hat die Ukraine zum ersten Mal seit Beginn des Krieges besucht. Bei seinem Treffen mit Wladimir Selenskij unterbreitete er Vorschläge zur Konfliktlösung, die für das heutige Europa revolutionär und für Russland inakzeptabel wären. Sie wurden von der Ukraine abgelehnt.
Orbáns Friedensmission in Kiew gescheitert – Was kommt jetzt?Quelle: Gettyimages.ru © Aleksandr Gusev/SOPA Images/LightRocket

Von Aljona Sadoroschnaja

Am Dienstag, dem 2. Juli, hat der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán erklärt, er sei nach Kiew gekommen, um zur Beilegung des Ukraine-Konflikts beizutragen. Er erinnerte daran, dass Ungarn seit dem 1. Juli den EU-Vorsitz innehabe und das Hauptziel Budapests und der EU in den nächsten sechs Monaten darin bestehe, Frieden auf dem ukrainischen Territorium zu schaffen.

In diesem Zusammenhang schlug Orbán vor, dass Wladimir Selenskij das Feuer für Verhandlungen mit Russland einstellen sollte. Selenskij reagierte nicht öffentlich darauf, aber ein Vertreter seines Büros, Igor Schowkwa, sagte später, dass die Ukraine solche Vorschläge ablehne. Im Anschluss an die Ereignisse einigten sich beide Seiten auf die Ausarbeitung eines Abkommens zur Lösung der bilateralen Probleme und vereinbarten die Eröffnung der ersten ukrainischen Schule in Ungarn auf Kosten Budapests.

Gleichzeitig stellten ungarische Quellen fest, dass Orbáns Besuch in Kiew nach langen Verhandlungen über die Rechte der in der Westukraine lebenden Ungarn vereinbart worden war. Nach Budapester Schätzungen geht es dabei um 150.000 Bürger, deren Rechte in den Bereichen Sprache, Kultur und Bildung durch ukrainische Gesetze eingeschränkt werden. Aus diesem Grund blockiert Ungarn die europäische Integration der Ukraine.

Andererseits ist Orbán für seine Haltung zum Konflikt in der Ukraine bekannt, die sich deutlich von der in der EU allgemein akzeptierten unterscheidet. Insbesondere lehnt er die Lieferung von Waffen an die ukrainischen Streitkräfte ab und unterstützt den Abschluss eines Friedensabkommens mit Russland. Andernfalls, so Orbán, werde der Konflikt in der Ukraine auf Europa übergreifen und zu einem Dritten Weltkrieg führen.

Auch der Kreml reagierte auf Orbáns Treffen mit Selenskij. Der russische Präsidentensprecher Dmitri Peskow sagte, "wir erwarten nichts, es steht uns nicht zu, das zu kommentieren." Die Nachrichtenagentur RBC zitierte Peskow mit den Worten:

"Es ist klar, dass Ungarn, das in dieser Periode die EU-Präsidentschaft übernommen hat, natürlich seine Aufgaben erfüllen muss."

Seiner Meinung nach werde die Veranstaltung "genau von der Aufgabe im Rahmen der Brüsseler Interessen" und nicht von nationalen Interessen dominiert werden. Gleichzeitig wies Peskow darauf hin, dass Orbán als ein Politiker bekannt sei, der die Interessen seines Landes auf sehr harte Weise verteidigen könne.

Der Politikwissenschaftler Wadim Truchatschow wiederum erklärte:

"Erstens will Orbán den Ungarn in Transkarpatien die Rechte zurückgeben, die ihnen nach dem Gesetz von 2012 zustanden, ihnen aber später entzogen wurden. Das oberste Ziel ist die Schaffung von Autonomie in der Region. Diese Frage ist für Budapest eine Grundsatzfrage. Deshalb erlaubt sich das Land immer wieder, gegen die allgemeine Linie der EU gegenüber Kiew zu verstoßen."

Ein weiteres Diskussionsthema ist der wirtschaftliche Aspekt der Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Der Analytiker glaubt:

"Vor allem die Frage des russischen Gastransits durch die Ukraine wird zur Sprache kommen. Wenn Europa jedoch entscheidet, dass es unsere Rohstoffe kategorisch nicht braucht, wird Orbán nichts dagegen tun können. Und was die Einspeisung in das ukrainische Energiesystem angeht, so wird Budapest Kiew wohl kaum eine Absage erteilen."

Truchatschow verwies auch auf die Forderung Orbáns nach einem Stopp der Militäraktionen, um die Verhandlungen zu intensivieren. Er erinnerte daran:

"Das ist das erste Mal, dass eine solche Idee in Kiew geäußert wird. Außerdem wurden ähnliche Vorschläge aus Ungarn schon früher vorgebracht, unter anderem während des Besuchs von Xi Jinping in Budapest im Mai. Auch hat der ungarische Ministerpräsident wenige Tage vor der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft diese Position noch einmal bekräftigt."

Der Gesprächspartner glaubt:

"Es ist wichtig für ihn, sich als der wichtigste Friedenspolitiker zu bezeichnen. Damit kann Orbán punkten und auch den Status seines Landes aufwerten, so dass die Europäische Union in Zukunft keinen so großen Druck auf Budapest ausüben kann."

Gleichzeitig rechne Orbánnicht damit, dass eine der Konfliktparteien seine Ideen akzeptieren werde, so der Politologe. Immerhin habe der russische Präsident wiederholt deutlich gemacht, dass Moskau einem Einfrieren des Konflikts nicht zustimmen werde, um zu Verhandlungen überzugehen, betonte Truchatschow.

Die Politikwissenschaftlerin Larissa Schesler sieht die Ziele Orbáns etwas anders. Ihrer Meinung nach vertritt Orbándie Position des Teils der Euroskeptiker, der kürzlich durch Wahlen an die Macht gekommen ist. Sie erklärt:

"Europa wird zunehmend rechtsorientierter. Viele Politiker sind geneigt, den Konflikt zu beenden. Schließlich ist seine Fortsetzung gegen die nationalen Interessen ihrer Länder gerichtet."

Die Expertin räumt ein:

"Daher schließe ich nicht aus, dass Orbán angewiesen wurde, diese Idee in Kiew zu äußern, da er dagegen ist. Und die Tatsache, dass seine Initiative in Kiew nicht unterstützt wurde, ist kein Problem: Brüsseler Beamte können in ihrer üblichen Art und Weise das Scheitern dem 'pro-russischen' Ungarn zuschreiben, der 'immer etwas überstürzt'."

Generell sieht die Schesler Orbáns Vorschlag jedoch als eine kollektive Antwort des "rechtsorientierten Europas" auf den jüngsten Friedensvorschlag von Wladimir Putin. Die politische Analystin führte weiter aus:

"Es ist, als ob sie sagen würden: Lasst uns die Kämpfe dort beenden, wo die Kontaktlinie jetzt ist."

Darüber hinaus könnte der Waffenstillstandsvorschlag ein Signal an Selenskij sein – wenn er seine Vorstellungen von den "Grenzen von 1991" nicht ernsthaft überdenkt, wird Europa die ukrainischen Streitkräfte nicht in gleichem Maße unterstützen. Allerdings kommen die Europäer mit solchen Vorschlägen zu spät. Schesler schloss:

"Ja, das ist die maximal akzeptable Option für Europa. Aber für Russland ist sie absolut inakzeptabel."

Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei Wsgljad.

Aljona Sadoroschnaja ist eine russische Journalistin.

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