Meinung

Die BBC heute: Mordaufrufe als Wertejournalismus?

Die große alte Tante BBC galt einmal als Vorbild für Journalismus, ebenso wie ihr gedrucktes Gegenstück, The Times. Das ist lange vorbei. Mittlerweile gibt es bei der staatlichen Sendeanstalt Journalisten, die mal eben zum Mord aufrufen.
Die BBC heute: Mordaufrufe als Wertejournalismus?Quelle: www.globallookpress.com © Stefan Kiefer

Von Dagmar Henn

Das ist noch ein wenig übler als das, was man aus Deutschland mittlerweile gewohnt ist – mit Bossettis Blinddärmen und anderen Nettigkeiten. Ein prominenter britischer Journalist, David Aaronovitch, der unter anderem als Moderator für die BBC arbeitet, verfasste einen Tweet, als das Urteil des Obersten Gerichts der USA bekannt wurde, das dem republikanischen Kandidaten Donald Trump strafrechtliche Immunität für Handlungen während seiner Amtszeit gewährte. Ein Beschluss, der übrigens kurz nach einem anderen erging, der die Verfolgung der Demonstranten, die am 6. Januar 2020 in den Kongress eingedrungen waren, als "Aufständische" für unrechtmäßig erklärt hatte.

Aaronovitch, einer jener ehemaligen Linken, die während des Irakkriegs zum Glauben an imperialistische Politik bekehrt wurden, twitterte jedenfalls mit dem Stichwort #SCOTUS, also Oberstes Gericht der Vereinigten Staaten, womit der Anlass eindeutig erkennbar ist, und schrieb:

"Wenn ich Biden wäre, würde ich mich beeilen und Trump auf der Grundlage ermorden, dass er eine Bedrohung der amerikanischen Sicherheit ist".

Das ist, wie man sehen kann, nicht mehr die Original-Nachricht; nachdem Aaronovitch gemerkt hatte, dass das Publikum von seiner Aussage nicht wirklich begeistert war, löschte er sie und erklärte sie zur Satire.

"Es gibt jetzt einen Haufen der extremen Rechten, der nahelegt, dass mein Tweet zur Entscheidung des Obersten Gerichts bezüglich der Immunität des Präsidenten ein Aufruf zur Gewalt ist, wenn er offenkundig Satire ist. Also lösche ich ihn. Wenn sonst nichts, verschaffte mir das einen Überblick über einige der beklopptesten Leute auf dieser Seite."

Nun, Arroganz will gelernt sein. Erhalten geblieben ist etwa eine Antwort auf seine "Korrektur", die lautet: "Oh, deine Mitteilung war kein Scherz. Du sagst das jetzt nur, weil die verdiente Antwort erfolgte." Worauf Aaronovitch erwiderte: "Sicher, du hast recht, ich weiß, dass Joe Biden meine Tweets liest und wahrscheinlich nach ihnen handelt. Du Idiot".

Das ist eine eigenartige Konstruktion, denn in der Regel bemisst sich die Frage, ob etwas ein Aufruf zur Gewalt ist, nur begrenzt danach, ob eine spezifische Person dieser Folge leisten würde, und die Ernsthaftigkeit einer Aussage ist ebenfalls nicht davon abhängig, ob ein einzelner Empfänger sie erhält oder nicht.

Die Daten auf Twitter jedenfalls zeigen, dass zwischen dem ursprünglichen Tweet und seiner Löschung zwei Stunden vergangen sind. Und unübersehbar hat Aaronovitch, statt sich schlicht zu entschuldigen, weil seine Nachricht missverständlich gewesen sei (das wäre die normale Verhaltensweise in solch einem Moment) gleich erklärt, wer seine Mitteilung so lese, wie sie da stehe, sei "extrem rechts".

Was natürlich auch den Twitter-Teilnehmern nicht entgangen ist. So steht in einer Antwort: "In welcher Welt ist es "extrem rechts", deinen irren Post zu kritisieren, der im Kern zum Mord aufruft? Gib einfach zu, dass du Mist gebaut hast, und hör auf, dich herauszuwinden, indem du das, was du geschrieben hast, eine Satire nennst."

Wenn man betrachtet, was britische Mainstreammedien sonst so verbreiten, wird klar, wie extrem Aaronovitchs Aussage ist. Schließlich ist derzeit tatsächlich die Rede davon, wie Blogger die britischen Wahlen zu manipulieren suchten, als wäre jede Äußerung, die außerhalb des Mainstreams erfolgt, sofort ungeheuer gefährlich. Diese Position verbreitete nicht nur das zweite ehemalige Flagschiff der britischen Medienwelt, die altehrwürdige Times; die berief sich dabei auf Richard Holden, den Vorsitzenden der Konservativen, der in ganzen fünf (!) Facebook-Konten eine russische "Einflussoperation" für die Partei von Nigel Farage sah.

Das ist natürlich bezogen auf tatsächliche Wirksamkeit auf die öffentliche Meinung absolut irreal, als würde man Handzetteln die Reichweite der Tagesschau zuschreiben. Aber das ist einer der propagandistischen Kernpunkte, die immer wiederholt werden, die Manipulation von Wahlen, natürlich durch Russland, China oder deren Anhänger, während die großen Konzernmedien selbstverständlich nur die blütenreine Wahrheit verbreiten und nie und nimmer für bestimmte Interessen stehen, für die man die Wähler in eine bestimmte Richtung drängen will (auch wenn natürlich der direkte Kauf bereits gewählter Politiker noch weit wirkungsvoller ist).

Nun also die Frage: Wenn Blogs oder ganz banale Facebook-Konten, die die Regierungspolitik kritisieren, "Manipulation von Wahlen" sind, was ist dann ein derartiger Tweet eines BBC-Journalisten, der ja nicht einfach eine Empfehlung für eine künftige Wahl nahelegt, sondern tatsächlich zur physischen Liquidierung eines Kandidaten aufruft?

Mit genug bösem Willen ließe sich auch daraus einiges machen, ein britischer Anschlag auf die US-amerikanische Unabhängigkeit beispielsweise, die einst gegen den ehemaligen britischen Kolonialherren erkämpft werden musste. Oder aber, wenn man es umdrehen wollte, eine Verunglimpfung von US-Präsident Joe Biden, dem immerhin unterstellt wird, er wäre bereit, Konkurrenten ermorden zu lassen.

Aber im Endeffekt ist es nur ein ganz gewöhnlicher Beleg für die grenzenlose Arroganz dieser Konvertiten, die jetzt aus vollem Herzen im Lager des amerikanischen Imperiums stehen, das womöglich von einem Präsidenten Trump in der Führung all der Kriege, die es nun einmal braucht, um seine glorreiche Vormacht zu sichern, beeinträchtigt werden könnte. Denn solche wie Aaronovitch meinen, sich eine Scheibe des Glanzes abschneiden zu können, der aus Washington verbreitet wird, und sich ebenso über die gewöhnliche Menschheit erheben zu können wie die US-Führung selbst.

Das, was Aaronovitch nicht begreift, ist die Tatsache, dass das US-Imperium wie auch eine ganze Reihe seiner Protagonisten (man denke einmal an Hillary Clinton) von allen anderen, die nicht Anhänger dieses Imperiums sind, als mehr als fähig angesehen werden, das, was er als Satire verkaufen will, auch zu tun. Nach all den irrwitzigen Verfahren, die in den USA gegen Donald Trump angestrengt wurden, nachdem sogar das kleine Detail bekannt wurde, dass das FBI bei jener Durchsuchung in Mar-a-Lago, Donald Trumps Wohnsitz, um Unterlagen zu beschlagnahmen, die in Kopie ohnehin bereits vorlagen, die Genehmigung zum Waffengebrauch hatte, würden es auch in den USA viele nicht mehr ausschließen, dass im Umfeld von US-Präsident Joe Biden solche Überlegungen tatsächlich stattfinden.

Und Aaronovitch ist kein Praktikant, sondern gilt mit seinen 69 Jahren als einer der angesehensten britischen Journalisten. Man sollte annehmen, dass er imstande ist, Dinge auch mal von einem anderen Standpunkt als nur seinem eigenen aus zu betrachten. Früher wäre das überhaupt Voraussetzung dafür gewesen, um bei der BBC zu arbeiten. So fiktiv die Vorstellung neutraler Berichterstattung letztlich oft ist, die BBC galt einmal als das Aushängeschild dafür, es zumindest zu versuchen. Eine öffentliche Aussage, die zu einem Mord aufruft, noch dazu an einem ehemaligen und womöglich künftigen Staatschef eines befreundeten Landes, hätte ihn zumindest seinen Job bei der BBC gekostet. Nun ja. Aaronovitch und die BBC bewegen sich inzwischen in den gleichen Niederungen.

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