Meinung

In "bester" Tradition: Die Rückkehr der deutschen Kommissköpfe

Seine Behauptungen, wie bedrohlich Russland sei, machen gerade die Runde durch die deutsche Presse. Generalleutnant Jürgen-Joachim von Sandrart ist allerdings jemand, den man genauer ansehen sollte, ehe man seine Aussagen für wahr nimmt.
In "bester" Tradition: Die Rückkehr der deutschen KommissköpfeQuelle: www.globallookpress.com © IMAGO/Frank Hoermann / SVEN SIMO

Von Dagmar Henn

Manchmal lohnt es sich, ein wenig in der Familiengeschichte der Gestalten zu bohren, die einen auf der Bühne des von der NATO angestrebten Kriegs begegnen. Jürgen-Joachim von Sandrart ist so ein Fall, der Bundeswehrgeneral, der gerade getönt hat, die NATO müsse sich auf einen Landkrieg vorbereiten.

Auch wenn diese Familiengeschichte wenig Abwechslung bietet – eine Jahrhunderte alte Zuchtlinie von Kommissköpfen, deren einziger sichtbarer Ausreißer, ein Kupferstecher, schon bald vierhundert Jahre zurückliegt. Auffällig ist dabei, dass die Ehefrauen immer Töchter anderer Militärs sind. Vielleicht versteckt sich irgendwo ein Ausreißer, der als Klempner oder Buchdrucker einem ehrlichen Beruf nachging, aber auf die Schnelle ist außer besagtem Kupferstecher nichts zu finden. Eine Sorte Mensch, die sich seit Ludwig Renns eindringlicher Beschreibung aus dem Jahr 1944, "Adel im Untergang", nicht geändert zu haben scheint.

Der Großvater des Generals, der heute die vorbereitete Nordostflanke der NATO in Szczecin kommandiert, das im Bericht der Welt konsequent Stettin genannt wird, ist nach dem Ersten Weltkrieg nach Argentinien ausgewandert und – Überraschung – 1937 nach Deutschland zurückgekehrt. Was schon einmal Sympathien für die Nazis nahelegt. Dann wurde er 1944, als Oberst, zum Verbindungsoffizier der Luftwaffe in Tokio ernannt, was auf einen sehr linientreuen Nazi hindeutet. 1945 war er mit dem U-Boot 234 auf dem Weg nach Tokio, als dieses von der US-Marine aufgebracht und nach Portsmouth gebracht wurde. Dieses U-Boot hatte einen ganz besonderen Auftrag, an dem zuvor bereits zwei japanische U-Boote gescheitert waren – es sollte Uran nach Japan liefern, für das japanische Kernwaffenprogramm. Wer immer auf dieser Fahrt dabei war, dürfte mehr als linientreu gewesen sein. So viel zu Karl Georg Fritz von Sandrart.

Der Sohn, Hans-Henning von Sandrart, wurde dann 1956 einer der ersten Offiziersschüler der Bundeswehr. Jürgen-Joachim erwähnt ihn als "seinen alten Herrn, der auch Soldat war und am Ende des Kalten Krieges in den Ruhestand gegangen ist". Bis dahin hatte dieser es bis zum Heeresinspekteur und danach noch einer Position im NATO-Kommando gebracht. Und hat schon die ersten Vorarbeiten für das europäische Elend der Gegenwart geleistet – nach seiner Pensionierung soll er sieben Jahre lang im Auftrag des Verteidigungsministeriums eine Arbeitsgruppe ukrainischer Generäle geleitet haben. Die mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits das Ziel verfolgte, die gerade erst entstandene Ukraine in die NATO zu locken. Auch wenn das, was momentan geschieht, das Spiel der US-Amerikaner ist ‒ angefangen und auf die Förderung des ukrainischen Nationalismus hin orientiert wurde es von den Deutschen. Natürlich hat auch Hans-Henning, treu der Familientradition, die Tochter eines Generals geehelicht.

Das wirkt wie ein Überrest des 19. Jahrhunderts mitten in der Gegenwart. Nun gab es auch unter derartigen Familien Abtrünnige, die sich beispielsweise irgendwann gegen die Nazis wandten. Die Sandrarts blieben immer gehorsam. Mehr noch – bei einem der größten Skandale der Bundeswehr, als 1983 der General Günter Kießling wegen des Gerüchts, er sei schwul, in den Ruhestand versetzt wurde, war Hans-Henning von Sandrart einer jener, die besonders eifrig gegen Kießling agierten. Dabei mag eine Rolle gespielt haben, dass Kießling nur der Sohn eines Werkmeisters war, also ein Fremdkörper zwischen all den Abkömmlingen alter Militärfamilien, die übergangslos von der Wehrmacht in die Bundeswehr gezogen waren.

Aber nun zu Jürgen-Joachim von Sandrart. Es steht zu fürchten, der Mann ist ein Gläubiger. Oder schlicht jemand, aus dem die Fähigkeit zu jeglicher Kritik herausgezüchtet worden ist. Es gibt in seinem Interview mit der Welt einen klitzekleinen Punkt, an dem er abweicht – es scheint für ihn festzustehen, dass der Krieg in der Ukraine verloren ist. Diese Aussage ist recht gut verborgen und verklausuliert, als die "Zeit, wenn sich Russland von dem unrechtmäßigen Krieg gegen die Ukraine rekonstituiert hat".

Rekonstituiert, das soll heißen, erholt, von jenem Krieg, der mit dem Ziel angezettelt wurde, Russland zu schwächen. Dass das nicht so ganz funktioniert, gesteht er ebenfalls ein:

"Russland hat gezeigt, dass es bereits parallel zum Krieg gegen die Ukraine in eine Rekonstituierungsphase getreten ist. Und es sind längst nicht alle Kräfte Russlands in der Ukraine gebunden."

Nun, klar spricht er für seinen Herrn. Und gibt so treulich die Geschichte von der Bedrohung für Polen und das Baltikum wieder, dass man den Eindruck gewinnt, er glaubt das. "Wir hier an der Ostflanke müssen schon heute verteidigungsbereit sein mit dem, was wir haben."

Was er dann zu seinem Gebiet sagt, folgt auch ganz simplen Interessen.

"In Zentral- und Osteuropa müssen wir uns im Schwerpunkt auf einen Landkrieg vorbereiten. […] Im hohen Norden ist das völlig anders, da geht es primär um Maritimes und Luft. Deutschland als zentraleuropäische Landmacht aber muss seinen Schwerpunkt klar auf Landstreitkräfte legen."

Die Sätze, die am liebsten zitiert werden, übrigens. Das ist eigentlich seine Kritik an den Ausgaben, die Verteidigungsminister Boris Pistorius tätigt. Wenn man es ausbuchstabiert, lautet das, mehr Geld für Panzer. Das ist im Kern gar keine politische Aussage oder eine militärische Prognose; sobald man weiß, dass dieser Herr wie sein Vater zu den Panzertruppen gehört, schrumpft das zu ganz gewöhnlicher Budgetkonkurrenz zwischen den Truppengattungen.

Dazwischen ist dann plumpeste Propaganda:

"1.000 russische Soldaten werden in kürzester Zeit ausgerüstet und nach zwei Wochen an die Front geschickt. Moskau akzeptiert, dass zwei Drittel davon fallen und ein Drittel gefechtsgehärtet überlebt."

Er müsste wissen, dass er hier Unfug redet. Ebenso, wie in den darauffolgenden Sätzen: "Das ist nicht unser Modell, so etwas erlauben wir uns glücklicherweise nicht, Menschenleben haben einen unantastbaren Wert."

Nichts an der ukrainischen Kriegsführung deutet auch nur im Ansatz darauf hin, und zwar, sowohl das Leben von Zivilisten als auch das der eigenen Truppen betreffend. Und all die Planungen, wie die "Offensive" des vergangenen Sommers, werden von NATO-Generälen, nach NATO-Maßgaben erstellt.

Eine Tatsache, der er aus dem Weg geht. Wie auch im folgenden Satz: "Also müssen wir die Zeit ohne offenen Konflikt jetzt nutzen, um kriegstauglich zu werden – was am Ende den Krieg verhindern kann." Vermutlich hat er zuletzt keine Zeitung gelesen, und daher weder Macrons Sätze über Bodentruppen mitbekommen, noch diesen Angriff auf die Krim mit ATACMS, und das Eingeständnis, dass zur Bedienung dieser Waffen bereits NATO-Personal anwesend und damit beteiligt ist.

So jemand, das ist die fleischgewordene NATO. Dass er seinen Auftrag erfüllt, kann man ihm nicht zum Vorwurf machen; aber an keiner, wirklich keiner einzigen Stelle eines doch recht langen Interviews kommt auch nur ein Verweis darauf, dass es so etwas wie Diplomatie überhaupt gibt. Eine Haltung, die es früher durchaus gab, auch unter bundesdeutschen Militärs – die eigene Aufgabe erfüllen, aber dennoch immer klar sagen, dass sie hoffentlich vergebens ist, weil die Politik eine andere Lösung findet. Man hat den Eindruck, bei ihm ist nicht der Krieg, im Sinne von Clausewitz, die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, sondern etwas, das die Stelle der Politik einnimmt.

Es scheint ihm auch nicht im Mindesten bewusst, dass er eigentlich gegen das Interesse seines Landes handelt. Auch das würde sich finden lassen; nicht auf den ersten Blick erkennbar, vielleicht, wenn einem seine Karriere lieb ist, aber er schafft es ja auch, das absehbare Ergebnis in der Ukraine unauffällig zu verpacken. Wäre ihm auch nur ansatzweise klar, wie weit das deutsche und das US-Interesse auseinander liegen, fände sich irgendwo in diesem Interview oder in dem Artikel, den er im April für die Rotarier schrieb, ein Hauch von Widerspruch. Im Gegenteil, er wünscht sich eine militarisierte Gesellschaft: "Wir brauchen einen gesamtgesellschaftlichen, einen gesamtpolitischen Ansatz". In seinem Artikel ging er noch einen Schritt weiter: "Wir alle sind Teil der NATO."

Für ihn ist das, ganz im Gegensatz zur gewöhnlichen Bevölkerung, ein glücklicher Zustand. Frieden ist ihm tatsächlich zuwider, wenn man hört, wie er die vergangenen Jahrzehnte seit dem Ende des Kalten Krieges zusammenfasst:

"Die sogenannte Friedensdividende entpuppt sich heute als Fata Morgana, die fast schlimmere Auswirkungen auf den Zustand der Streitkräfte und unsere Sicherheit hatte als ein bewaffneter Konflikt."

Da spricht ein überzeugter Friedensfeind. Dem nur an einer einzigen Stelle Sorgen oder Bedenken anzumerken sind, als er im Rückblick, mit einem Zitat seines Vaters, zu erkennen gibt, sich doch irgendwann Gedanken über den Sinn seiner Berufswahl gemacht zu haben. "Joachim, sei ganz beruhigt, Streitkräfte waren noch nie fertig." Was sollten die Sprösslinge dieser Familie auch sonst tun.

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