Meinung

Russland zeigt die Instrumente – Eine Vorausschau auf die globale Niederlage des Westens

Bei Putins Vorschlag vor der Schweizer Konferenz geht es nicht um die Ukraine, es geht um die Welt. Langsam und vergleichsweise verborgen wird sichtbar, wie die verschiedenen Varianten einer westlichen Niederlage aussehen könnten.
Russland zeigt die Instrumente – Eine Vorausschau auf die globale Niederlage des WestensQuelle: Sputnik © Ekaterina Schtukina

Von Dagmar Henn

Alles blickt auf die Frage, wie Russland auf den Terroranschlag mit ATACMS reagieren wird, und ob und wie weit dieser Krieg eskaliert. Aber im Hintergrund geschehen noch andere Dinge, die sich einem nur erschließen, wenn man die militärische, die politische und die ökonomische Ebene miteinander verknüpft.

Im Verlauf der letzten Jahre ist es immer wieder sichtbar geworden, dass die Vorstellung, wie die künftige multipolare Welt gestaltet sein sollte, die Handlungsfähigkeit in der Gegenwart durchaus begrenzen kann. Das ist unvermeidlich – wer eine Ordnung des Rechts etablieren will, darf nicht selbst dagegen verstoßen, auch wenn der Preis dafür manchmal hoch ist. Manche Momente, in denen Russland den Eindruck erweckte, zu zögern oder zu vorsichtig zu sein, erklären sich daraus.

Die ökonomischen Machtverhältnisse sind global bereits gekippt. Das zeigt sich daran, dass selbst die Weltbank Russland inzwischen als viertgrößte Volkswirtschaft der Welt anerkennen muss, ebenso, wie am gewaltigen wirtschaftlichen Potenzial, das die BRICS inzwischen versammeln, und das die G7 hinter sich gelassen hat. Das Ende des US-Dollars als weltweit dominante Währung ist eine unabwendbare Tatsache, auch wenn das Wie und Wann noch nicht abschließend geklärt sind – es könnte ebenso durch geplante alternative Zahlungssysteme geschehen wie durch einen wirtschaftlichen Zusammenbruch.

Eine der politischen Umsetzungen dieser ökonomischen Entwicklungen war der Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Nordkorea, der eben nicht nur ein ganzes Bündel an Verträgen auf den Weg brachte, sondern zugleich eine wichtige globale Botschaft verkündete: Das Sanktionsregime des Westens ist tot. Das ist gewissermaßen die zweite Stufe der ökonomischen Entwaffnung. In diesem Zusammenhang darf man nicht vergessen, dass die gesamte koloniale Herrschaft stets auf diesen beiden Säulen beruhte, nicht nur auf militärischer, sondern immer auch auf wirtschaftlicher Kriegsführung.

Die erste Stufe, den Westen wirtschaftlich zu entwaffnen, war, selbst die Sanktionen zu überstehen, und Russland war das erste Opfer dieser Maßnahmen, dem das ohne größere Blessuren gelang. Kuba, Iran, Nordkorea haben über Jahrzehnte für die Bewahrung ihrer Souveränität gelitten. Aber jetzt ist die zweite Stufe eingeleitet, die besagt: die wirtschaftliche Macht, die sich in BRICS gesammelt hat, ist groß genug, dass diese Sanktionen nicht nur überstanden, sondern dass sie aufgehoben werden können. Sie haben für das Land, gegen das sie der Westen verhängt, keine Konsequenzen mehr, weil es andere Handelspartner, Kreditgeber, Partner bei der Entwicklung von Infrastruktur gibt; sie haben nur noch Konsequenzen für den Westen selbst, der damit seine eigenen Möglichkeiten beschränkt.

Die entsprechenden Handlungen auf der militärischen Ebene sind sichtbarer und einfacher zu entschlüsseln, wie der Besuch russischer Schiffe in Kuba. Und gleich, wie die öffentlichen Bekundungen der westlichen Politik die Ukraine betreffend sind, es wird dennoch größeren Teilen der politischen Eliten klar sein, dass dieser Krieg bereits verloren ist.

Das Verhandlungsangebot, das Präsident Putin vor dieser bizarren Schweizer Versammlung machte, muss aber notwendigerweise um eine Ebene ergänzt werden. Das sind die Aussagen, die der stellvertretende Vorsitzende des Sicherheitsrats, Dmitri Medwedew, inzwischen mehrmals machte, dass Entschädigungsforderungen für Sanktionen denkbar sind.

Die Meisten dürften sich darüber im Klaren sein, dass Politik vielfach ein Spiel mit verteilten Rollen ist. Was das Entschlüsseln oft erschwert, ist, dass die gleichen Personen diese Funktionen nach außen wie nach innen erfüllen. Wenn Medwedew irgendwelche Aussagen macht, die besonders scharf klingen, dann zielt das häufig darauf ab, bestimmte Stimmungen in der Bevölkerung aufzugreifen und einzufangen. In diesem Fall, bei den Entschädigungen für Sanktionen, übernimmt Medwedew aber die gleiche Rolle nach außen, und zwar nicht nur bezogen auf Russland, sondern auch bezogen auf den Globalen Süden.

Interessanterweise ergibt sich nämlich ein Gesamtpaket, wenn man die unterschiedlichen Teile miteinander verknüpft, und die Aussage Medwedews als eine Andeutung einer möglichen Zukunft betrachtet. Als einen Einblick in das, was geschehen könnte, sollte der Westen die öffentliche Anerkennung seiner Niederlage weiter hinauszögern.

Jedes Kind weiß, dass die Vereinigten Staaten längst bankrott sind und ihre Insolvenz nur durch den Besitz der Leitwährung hinausgezögert wird. Aber was würde es bedeuten, wenn diese Vereinigten Staaten (ihre europäischen Kumpane übrigens ebenso) plötzlich für die wirtschaftliche Kriegsführung entschädigungspflichtig würden? Selbst ohne diesen Schritt sind da noch einige Dinge offen, die unvermeidlich auf dem Tisch landen werden, wenn die USA ihre Niederlage einmal eingestehen müssen. Man denke nur an die ungeheuren Schäden, die Vietnam bis heute durch den damaligen Einsatz von Agent Orange erleidet. Die Sanktionen der USA gegen den Irak kosteten – eingestandenermaßen – eine halbe Million irakischer Kinder das Leben. Wie hoch liegt die Entschädigung für eine halbe Million toter Kinder? Wie hoch wäre die Rechnung, die Nordkorea ausstellt, oder Kuba?

Sobald ein einziges Land eine derartige Forderung durchsetzt – und die Voraussetzungen dazu, die ökonomisch und militärisch sind, werden gegeben sein – häufen sich Dutzende weiterer. Diese Aussage von Medwedew ist keine Spielerei, oder eine überdrehte Fantasie. Sie ist die zweite Hälfte von Putins Verhandlungsvorschlag, weil sie ihn um die Aussage ergänzt, was passieren würde, wenn nicht…

Eben weil die Konsequenzen so enorm wären, kann eine derartige Aussage nicht durch einen Staatschef, schon gar nicht aus den Reihen von BRICS erfolgen, sondern muss über Nebenfiguren veröffentlicht werden, die eine gewisse Narrenfreiheit besitzen, sodass im Unklaren bleibt, wie ernst das Gesagte gemeint ist. Zumindest kann man so tun, als wäre es im Unklaren.

Denn wenn man diese beiden Punkte zusammenfasst, lautet der russische Verhandlungsvorschlag eben nicht, ihr akzeptiert eure Niederlage und gebt uns die Neutralität der Ukraine und all die anderen Dinge, wie eine neue eurasische Sicherheitsordnung, oder ihr dürft der bedingungslosen Kapitulation der Ukraine zusehen. Das "Oder" hat ein ganz anderes Format. Es lautet: oder ihr werdet gezwungen sein, den Versailler Vertrag des 21. Jahrhunderts zu unterzeichnen.

Das ist die Qualität, die entstünde, wenn Medwedews Aussagen umgesetzt würden. Es ist eine Analogie, die auf einer sehr tiefen Ebene passt – einer der Gründe, warum der Versailler Vertrag so unmäßig war, war der deutsche Raubzug in Frankreich nach dessen Niederlage 1871. Ganze Stadtviertel in deutschen Großstädten wurden damit finanziert, Frankreich wurde nach Strich und Faden geplündert.

Das, was die Vereinigten Staaten, der gesamte kollektive Westen, mit dem Rest der Welt getan haben, entspricht dem nicht nur, es übertrifft es um ein Vielfaches. Gerechtigkeit im Sinne eines Ausgleichs für vergangenen Raub entspräche einer Forderung in einer Größenordnung, die in Jahrhunderten nicht zu bewältigen wäre. Die letzte Zahlung Deutschlands aus dem Versailler Vertrag erfolgte 2010, also nach 91 Jahren.

Die Frage, ob und wie Russland auf den Terrorangriff in Sewastopol reagiert, ist verglichen damit eine Banalität. Das Verhandlungsangebot Putins ist auch nur an der Oberfläche ein Angebot Russlands. Das, was da langsam Konturen gewinnt, sind die Bedingungen einer westlichen Kapitulation, die von Russland nur vorgetragen, aber nicht gestellt werden, weil hier – auch das verrät Medwedews Aussage – eigentlich der ganze Globale Süden mitspricht. Ein Angebot, das durch die nun benannte Alternative deutlich an Attraktivität gewinnen müsste.

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