Wie bitte: Warum sollte man denn das Wort "Spielermaterial" verbieten?
Von Dagmar Henn
Es ist einfach reizend, und irgendwie wartet man schon darauf, dass die halbe Zeit beim Kommentieren eines Spiels demnächst darauf verwendet werden wird, die richtigen Pronomen für die Spieler zu ermitteln. Der Einwurf des ZDF-Moderators Jochen Breyer bezüglich des Begriffs "Spielermaterial" zeigt deutlich, dass der Fußballsport noch deutlich woker werden wird.
"'Spielermaterial' – weil ihr beide den Begriff öfter verwendet – ich weiß, das wird bei einigen Fans zu Hause kritisch gesehen, weil Menschen kein Material sind."
Das zeigt genau auf den Punkt, was das Problem mit der ganzen woken Sprachzensur ist. Wie funktioniert denn der Fußball in den meisten europäischen Ländern? Die Vereine der obersten Ligen sind auf Gewinn orientierte Unternehmen, die schlicht die bestmöglichen Einnahmen beim Verkauf der Übertragungsrechte erzielen wollen. Dafür wird dann weltweit eingekauft, um die entsprechenden Spieler auflaufen zu lassen. Das Geschäft bereiten Makler vor, die durchaus als Menschenhändler tituliert werden können. Dabei finden die meisten dieser Einkäufe bereits statt, wenn die Spieler noch Jugendliche sind, und der Verein setzt darauf, dass genügend viele von ihnen die Strecke bis ins Profidasein schaffen (denn die "Verluste" durch Verletzungen sind im Fußball hoch), um dann schließlich die erwünschten Gewinne einzuspielen.
Die meisten Profifußballer erzielen ein recht bescheidenes Einkommen; es sind nur jene, die es bis in die obersten Ligen schaffen, die tatsächlich Millionen kassieren. Im Dorfverein mag es noch um den gemeinsamen Spaß am Sport gehen. In jeder Profiliga geht es schlicht um Geschäftsziele. Das aber bedeutet, wenn von "Spielermaterial" geredet wird, erklärt das die Spieler natürlich zu einem Objekt, gibt aber gleichzeitig die Wirklichkeit exakt so wieder, wie sie ist. Das trifft natürlich auch für die Nationalmannschaften zu, die in der Regel Spieler aus eben diesen obersten Ligen rekrutieren.
Wenn man nun den Begriff untersagt, wie Breyer das gerade versucht hat, dann verdeckt man die Wirklichkeit – um einer "tugendhaften" Formulierung willen. Das ändert selbstverständlich nichts an der Wirklichkeit, weder am Handel mit potentiellem Spielernachwuchs noch an der Berechnung bei der Zusammenstellung einer Mannschaft.
Wäre Breyer wirklich ein ernsthafter Journalist (als der er sich bezeichnet), so müsste er sich fragen, was wichtiger ist – selbst als möglichst tugendhafter Mensch zu erscheinen oder den Zuschauern Informationen über die Wirklichkeit zu vermitteln. Er merkt aber offenbar nicht einmal, dass seine sprachliche Alternative seine vermeintlichen Tugendkriterien ebenfalls nicht erfüllen: der "Kader" stammt ursprünglich aus dem Militär und bezeichnete das Offizierskorps (erst im sowjetischen Sprachgebrauch gab es dann Kader als einzelne Person), und das "Spielerpotenzial" ist auch nicht weniger entwürdigend als das "Spielermaterial", im Gegenteil – das Potenzial ist etwas, das nur möglich ist, aber nicht notwendigerweise realisiert wird.
Gut, solche "Sportreporter" sind selten wirklich mit sprachlichen Feinheiten befasst. Nun noch ein Punkt, der Breyers Einwand besonders absurd macht, allerdings kam dieser Einwand zu einem Zeitpunkt, an dem er ganz besonders bizarr auftaucht.
Der Focus, der sich in seinem Bericht bemüht, sich irgendwie zwischen den woken Maulkörben und der vermutlichen Sicht seiner Leser hindurchzumanövrieren, fügt zu dem Begriff noch folgende Erläuterung an:
"Historisch betrachtet ist es mehr noch als 'Spielermaterial' der artverwandte Begriff 'Menschenmaterial', der als verpönt gilt.
Aufgekommen im 19. Jahrhundert und von Theodor Fontane und Karl Marx zunächst kritisch-sarkastisch verwendet, fand er sich später unter anderem bei Hitler in offen zynischer Verwendung. 'Menschenmaterial' wurde zum 'Unwort des 20. Jahrhunderts' gewählt."
Man könnte fast sagen, damit schließt sich ein kompletter Zyklus. Erst entstand eine Form der Produktion, die Fabrik, in der ein festes Verhältnis zwischen Maschinen, einzuspeisenden Rohstoffen und erforderlichen Arbeitskräften entstand, was der Ausgangspunkt für die Verwendung des Begriffes durch Marx war. Das war die Beschreibung einer objektiven Tatsache, verbunden mit der Andeutung, dass dabei die Menschen ihre Qualität als menschliches Subjekt verlieren und lediglich zu Anhängseln der Maschine als deren Bediener werden. Dann eine Phase, in der diese Beschreibung offen von den herrschenden Kräften auf die Gesellschaft als Ganzes übernommen wird: Ja, wir sehen die Menschen unter uns nur als Material, das wir lenken und bei Bedarf verheizen. Die Realität der einzelnen Fabrik wird ausgeweitet auf die gesamte Gesellschaft.
Und jetzt kommt die dritte und letzte Phase – diese Realität ist noch viel tiefer eingedrungen, denn der einfache Mensch ist längst nicht nur während seiner Arbeitszeit Teil einer großen Maschinerie, er ist es nun auch in seinem privaten Dasein. Man braucht sich nur genauer mit den Daten zu befassen, die dem Einzelnen etwa aus dem Smartphone, oder – fast noch schlimmer – aus seinen Smartcards gezogen werden, um das zu erkennen.
Allerdings geschieht die praktische Umsetzung dieser Sicht auf Menschen als Material gerade in noch weitaus brutalerer Form. Ein, zwei Videos mit den Häschern ukrainischer Mobilmachungskommandos vermitteln einen Eindruck davon, ebenso die Äußerungen diverser westlicher Politiker, die offen davon reden, dass der Krieg in der Ukraine vor allem einer Schwächung Russlands dient. In Wirklichkeit reden sie dabei aber vom Tod Hunderttausender. Die Praxis, Menschen als Material zu gebrauchen, ist heute nicht verschwunden, ganz im Gegenteil, ganz gleich, wie pathetisch die Sprüche von der Hilfe für die Ukraine sind, die das Gerede begleiten.
Und es verhält sich hier genauso wie in der Fernsehberichterstattung über Fußball-Events. Man kann das Hässliche schönreden und so tun, als wäre alles gut und freundlich. Oder man kann es sichtbar werden lassen, indem man das Schönreden unterlässt. Die ganze woke Sprachzensur schützt eine hässliche Wirklichkeit, indem sie verbietet, das Hässliche hässlich zu nennen und das Unmenschliche unmenschlich. Aber selbst wenn man sich über die Wege, Besserung zu erzielen, herzlich uneinig sein kann – solange die Wirklichkeit nicht ausgesprochen wird, ist jede Besserung unmöglich.
Das ist für die abgründigen Seiten des gewerbsmäßigen Sports nicht weniger gültig als für den vom Westen angezettelten Massenmord in der Ukraine. Selbst Sportreporter sollten vor allem darüber berichten, was im Spiel geschieht, und Platz lassen für die Emotionen und die Freude. Aber sie sollten sich nicht gemein machen mit der Art und Weise, wie in diesem Teil der Unterhaltungsbranche mit dem jeweiligen Menschenmaterial umgegangen wird. Schönreden ist aber genau das – in der Sportberichterstattung nicht weniger als in der politischen.
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