Meinung

Antwort auf Duda: Ukraine wird gerettet, wenn sie von Russland "kolonisiert" wird

Der polnische Präsident Andrzej Duda hat zu einer Aufteilung Russlands entlang der ethnischen Grenzen aufgerufen. Für seine Argumentation griff er auf Jahrhunderte alte polnische Propaganda-Muster zurück. Das verdient eine Replik.
Antwort auf Duda: Ukraine wird gerettet, wenn sie von Russland "kolonisiert" wirdQuelle: RT © Wladislaw Sankin

Von Wladislaw Sankin 

Es ist bekannt, dass der polnische Präsident Andrzej Duda sich durch überbordende Russophobie auszeichnet. Bei der Konferenz "Frieden für die Ukraine" in der Schweiz hat er diesen Ruf bestätigt und eine weitere aufsehenerregende Erklärung in Richtung Russland abgegeben. Als erstes Staatsoberhaupt eines NATO-Landes hat er öffentlich die Aufteilung Russlands entlang der ethnischen Grenzen gefordert.  

Die ethnischen Minderheiten sollten sich von der Herrschaft Moskaus befreien und eigene Staaten gründen, sagte er. Das Land beherberge "fast 200 ethnische Gruppen", die "durch die Methoden, die heute in der Ukraine angewandt werden, zu Einwohnern Russlands gemacht wurden." Duda weiter im Wortlaut:

"Dieser Krieg ist nicht nur brutal und voller Verbrechen, er ist auch imperialistisch und kolonial. Der Kreml versucht, die Ukrainer und ihre Kinder zu Sklaven zu machen, die ukrainischen Ressourcen auszubeuten, ihre Kultur zu zerstören und der Ukraine das Recht zu nehmen, ihren Entwicklungsweg und ihre Sicherheitsgarantien frei zu wählen."

Auch nannte das polnische Staatsoberhaupt Russland ein "Gefängnis der Nationen". Es sei immer noch das größte Kolonialreich der Welt, das nie den Prozess der Entkolonialisierung, wie etwa der Westen, durchlaufen habe und nie in der Lage gewesen sei, die Dämonen seiner Vergangenheit zu überwinden.

Muss man sich auf so bösartige Propaganda eines Russlandhassers überhaupt einlassen und eine Replik schreiben, auch wenn sie von einem Präsidenten bei einem hochrangigen Treffen betrieben wurde? Durchaus. Denn Duda hat für die Ukraine ungewollt einen Rettungsplan vorgeschlagen.

Denn wenn in Russland fast 200 ethnische Gruppen immer noch lebendig sind und ihre Bräuche, Kultur und Sprache frei ausleben können, dann hätten sich die Methoden der russischen "Kolonisierung" doch von dem unterschieden, was Duda beschrieb, und zwar grundlegend. 

In keine andere Republik der ehemaligen Sowjetunion wurde so viel investiert, und in keiner anderen Republik wurde so viel Industrie und Infrastruktur gebaut wie in der Ukraine, sodass dieses "Polster" der Ukraine auch nach gut dreißig Jahren Ausplünderung durch Oligarchen und zweieinhalb Jahren Krieg hilft, die Militärschläge Russlands zu überstehen. Wie der Historiker und Imperienforscher Alexei Miller zu sagen pflegt: Die Sowjetunion war zwar ein Imperium, aber ein falsches, ein Imperium "verkehrt herum", dessen "Kolonien" besser gelebt haben als die "Metropolie". 

Teilweise gilt dies sogar auch für das russische Zarenreich, dem von den bolschewistischen Historikern ungerechterweise der Propaganda-Terminus "Gefängnis der Völker" verpasst wurde. Es reicht zumindest die Lage der Bauern im russischen Kernland "Großrussland" zu erwähnen, deren äußerer Zustand und Lebensstandard nach Einschätzung zahlreicher Beobachter einem Vergleich mit ihren kleinrussischen Brüdern in der Ukraine nicht standhalten konnten.

Auch die von Moskau in den 1920er und Anfang der 1930er Jahre betriebene  "Wurzelungspolitik" trug dazu bei, dass in allen Unions- und Nationalrepubliken, auch in denen der Russischen Föderation, die nationale Hochkultur, Literatur, Musik, Volkstanz und Theater mit bolschewistischem Eifer gefördert und im Eiltempo entwickelt wurden – auf Kosten der russischen Sprache und Kultur, die in diesen Jahren als vermeintliche Brut des "großrussischen Chauvinismus" ins Hintertreffen geraten war.

In der Ukraine nahm diese Wurzelungspolitik als Zwangsukrainisierung besonders bizarre Formen an, wobei Millionen von Menschen die Nutzung ihrer russischen Muttersprache praktisch verboten war. Ausgerechnet in der Sowjet-Periode erlebte das ukrainischsprachige Verlagswesen eine regelrechte Blüte, die Zahl und Auflage der gedruckten Bücher und Zeitschriften war überwältigend – ein Zustand, der in den Jahren der sogenannten "Unabhängigkeit" seit 1992 nie wieder erreicht worden ist. 

Auch die Bevölkerungszahl spricht eine eindeutige Sprache. In den Perioden des Friedens, als die Ukraine sich innerhalb eines Staates mit einer russischen Hauptstadt entwickelte, wuchs die Bevölkerungszahl in diesen Gebieten beträchtlich. In den Perioden der "Freiheit" von Moskau, sei es während der Bürgerkriege – die sogenannte "Zeit der Trümmer" im 17. Jahrhundert – oder während des ständigen Machtwechsels der Jahre 1917–1920, und schließlich in der Zeit der Unabhängigkeit nach 1992, sank die Zahl der Ukrainer dagegen dramatisch. In ein Land, das augenscheinlich nicht lebenswert ist, möchten nur die Wenigsten ihre Kinder hineingebären. 

Die ukrainische volkstümliche Kultur wird in der russischen Wahrnehmung nicht nur mit dunklen, infernalen Kräften assoziiert (Gogols "Abende auf dem Weiler bei Dikanka"), sondern auch mit der sonnigen, lustigen Seite der Fruchtbarkeit, Völlerei und Hochzeitsbräuche (man vergleiche den spätsowjetischen Zeichentrickklassiker mit Kultstatus "Es war einmal ein Hund" – hier auf Deutsch). 

Apropos Hochzeiten. Diesem Ereignis, das am Anfang jeder Familie und der Fortführung der Erbfolge steht, wird in Russland in den letzten Monaten besondere Aufmerksamkeit geschenkt. So fand im Rahmen der Ausstellung "Russland", die nach Art einer EXPO alle 89 russische Regionen (Subjekte der Föderation) vorstellt, das Allrussische Hochzeitsfestival statt. Das Festival war ein Dauerprogramm, im Zuge dessen hunderte Paare während einer Massenveranstaltung die Ehe schlossen und nach den Bräuchen ihrer Regionen oder Volksstämme die Hochzeiten in theatralisierter Form feierten. Natürlich waren viele Kleinstvölker aus dem asiatischen Teil Russlands dabei vertreten. 

So werden in Russland auch die Vermehrung dieser Völker und ihre Andersartigkeit gefeiert und propagiert. Gilt das für Opfer Jahrhunderte langer Versklavung und Vernichtung, wie sie Duda behauptet? Wohl nicht. Hätte nur ein kleiner Teil dessen, was der polnische Präsident als Russands "imperiale Nationalitätenpolitik" bezeichnet, der Wahrheit entsprochen, könnte heute natürlich nicht die Rede sein von den von Duda selbst erwähnten 200 erhalten gebliebenen Völkerschaften. Diesen Widerspruch bemerkt der Propagandist Duda offenbar nicht. 

Und während der Westen alles daran setzt, dass immer mehr ukrainische Männer im Kampf gegen eine überlegene Armee verheizt werden und immer mehr Frauen und Kinder aus dem Land fliehen, dessen Güter zudem noch ausverkauft und verpfändet werden, setzt Russland in den befreiten Gebieten sofort Wiederaufbauprogramme auf. Und der Wiederaufbau betrifft nicht nur die Wirtschaft, sondern auch Sprache und Kultur. Diese sollten allerdings nicht mit dem nationalistischen Surrogat verwechselt werden, das als angeblicher Gegensatz zum Russischen künstlich hochgezüchtet wurde.

Die Ukraine mit ihrem Reichtum an Regionen und Völkerschaften kann nur im Rahmen eines größeren Vielvölkerstaates erhalten bleiben. Als Ethnokratie oder monoethnischer Staat mit einer revisionistischen Nationalideologie und stramm prowestlicher Ausrichtung – als notorisches "Anti-Russland" – ist sie bereits gescheitert. Sich mit Menschen wie Duda zu streiten, ist freilich sinnlos. Aber wir können sein Argument ab absurdum führen und im Umkehrschluss sagen: Ja, lasst Moskau "die Methoden, die Russland auf die Einwohner Russlands angewendet hat, in der Ukraine anwenden" und alles wird für die Ukraine wieder gut sein. 

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