Die Tagesschau und das einfache Denken
Von Tom J. Wellbrock
Für die Tagesschau in einfacher Sprache gab es viel Häme, aber auch Lob. Die Häme wäre vor zehn Jahren sicher noch größer gewesen, heute möchte man ungern als Minderheiten diskriminierend auffallen, daher ist es sicherer, Verständnis und Begeisterung für das neue Format zu zeigen. Beginnen wir mit dem Lob und nähern uns dann dem, was wohl hinter der neuen Form der Tagesschau stecken könnte.
Aus "komplex" mach "einfach"
Neu an der Tagesschau in einfacher Sprache ist auch die Art des Vortrages. Bisher war es nicht üblich, beim Vorlesen der Nachrichten ein leicht dümmliches Grinsen zur Schau zu tragen, das den Zuschauern signalisiert, dass man sich freut, ihnen komplexe Themen in einfachen Worten zu erklären. Schaut man Susanne Holst bei ihrer Sendung zu, könnte man glauben, sie habe irgendwelche fröhlich machenden Substanzen eingeworfen, obwohl sie vermutlich nur einfach nicht weiß, mit welchem Gesicht man am besten mit intellektuell Minderbemittelten spricht.
Im Focus erfährt der Leser von Christoph Maria Michalski, der sich als "Konfliktnavigator" versteht und Vortragsredner und Coach für Entscheidungsträger im Beruf ist:
"Darüber hinaus stellen Nachrichten in einfacher Sprache ein wertvolles Bildungswerkzeug dar. Sie unterstützen das allgemeine Verständnis von aktuellen Ereignissen und fördern die Medienkompetenz. Insbesondere in einer Zeit, in der Informationen oft komplex und schnelllebig sind, ist es entscheidend, dass alle Menschen Zugang zu verständlichen Nachrichten haben."
Hier navigiert der Experte für Konflikte sehr eigenwillig, denn er verspricht, komplexe Sachverhalte durch die einfache Sprache verständlich machen zu können. Selbst wenn wir unterstellen, dass dieses Vorhaben möglich ist, gelingt das der Tagesschau nicht. So erklärt uns die Vorleserin Holst:
"Auf der ganzen Welt sind Menschen auf der Flucht. Die Menschen flüchten zum Beispiel wegen einem Krieg. Viele Menschen flüchten nach Europa, das heißt, die Menschen suchen in Europa Asyl. Die Menschen kommen zum Beispiel in dem Land Bulgarien an. Das Land Bulgarien ist in der Europäischen Union. Die Länder in der Europäischen Union haben schon lange Streit bei dem Thema 'Asyl'. Die Länder streiten darüber: Wie viele Menschen müssen die Länder nehmen? Vor Kurzem hat die Europäische Union dazu Regeln gemacht. Aber nicht alle Länder finden die Regeln gut. In den Ländern kümmern sich die Innenminister um das Thema 'Asyl'. Die Innenminister sprechen jetzt darüber: Wie können wir die neuen Regeln anwenden?"
Warum es wichtig ist, dass Menschen wegen "einem Krieg" flüchten, nicht wegen "eines Krieges", erschließt sich nicht unbedingt, aber vermutlich liegt zwischen "einfacher Sprache" und "falscher Sprache" nur ein schmaler Grat. Im Anschluss an diese Moderation jedenfalls folgt ein kleiner Film, in dem nochmals betont wird, dass die "neuen Regeln" in ganz Europa anerkannt werden. Nun, fast jedenfalls, denn Länder wie die Niederlande und Ungarn halten sich nicht an die neuen Regeln. Ungarn fiel sogar in der Vergangenheit immer wieder auf, weil es sich nicht an Regeln halten wollte. Der Film schließt mit dem Hinweis, dass Ungarn eine hohe Strafe bezahlen muss, weil – wir haben es verstanden – es sich nicht an die Regeln hält.
Das war die Nachricht Nummer 1.
Mit sehr, sehr einfachen Worten wurde die hier zitierte Nachricht verwendet, um insbesondere Ungarn zum Bösewicht zu machen. Hier wird nicht Komplexes verständlich gemacht, sondern Schlichtes manipulierend ins Köpfchen gehämmert.
17 Millionen?
Laut Tagesschau gibt es in Deutschland circa 17 Millionen Menschen, die Probleme mit dem Verstehen komplexer Texte haben. Diese Zahl stammt aus der "LEO-Studie", in der munter geschrieben und gerechnet wird. Woher bei den in der Studie genannten Befragungen und Stichproben am Ende die 17 Millionen kommen, die das Zielpublikum der Tagesschau darstellen, wird nicht eindeutig geklärt. Aber alles in allem wurden circa 50 Prozent Muttersprachler befragt. Die andere Hälfte hat ursprünglich eine andere Sprache gelernt.
So oder so: Diese ganze Idee der Tagesschau in einfacher Sprache geht zu Teilen an der Realität vorbei. Wer des Deutschen aufgrund seiner Herkunft nicht mächtig ist, kann sich im Netz auf vielfältige Weise über die Themen informieren, die ihn interessieren. Und er wird das auch tun.
Die Zielgruppe setzt sich vielmehr aus denen zusammen, die noch gar nicht politisiert wurden. Davon gibt es in Deutschland jede Menge Leute, und womöglich ist es ein Zufall (oder eben nicht), dass die 17 Millionen, die die Tagesschau aus der LEO-Studie hervorgeholt hat, ungefähr der Anzahl von Menschen entsprechen, die der Meinung sind, in der Ukraine werde ein Krieg für Frieden, Demokratie und Menschenrechte geführt, in dem sich Freiheitskämpfer mutig gegen einen Aggressor namens Putin stellen. Die Zielgruppe sind vermutlich die, die nicht im Publikum in den deutschen Talkshows sitzen, weil sie die dort vorgetragene Propaganda nicht verstehen. Obgleich die Sprache in diesen Talkshows schon als sehr einfach zu bezeichnen ist, muss die Schwelle der Überzeugung niedriger angesetzt werden.
Die Tagesschau möchte bis in die Werkstätten für behinderte Menschen hinein ihre Zielgruppe abholen, sie sammelt auf ihrem Weg der einfachen Sprache auf, was sie kriegen kann. Integrationswillige Migranten gehören selbstverständlich auch dazu, die, die vor lauter Dankbarkeit, in Deutschland leben zu dürfen, kaum laufen können, saugen die Nachrichten in einfacher Sprache nur so auf, um sie dann bei Straßenumfragen oder beim Bäcker unter Gleichgesinnten wiederzukäuen.
Gerade kürzlich, nach der Europawahl, beklagte sich Kevin Kühnert (SPD) darüber, dass man wohl Stimmen bei den Bildungsfernen verloren habe. Das kann und darf so nicht bleiben! Und so akzeptiert der moderne Sozialdemokrat tapfer die eigens versaute Bildungspolitik der letzten 30 Jahre und passt die Sprache dem Intellekt an. Ist auch billiger als eine vernünftige Bildungspolitik in die Wege zu leiten.
Problematisch sind die jungen Leute, die bei der Europawahl haufenweise AfD gewählt haben. Sie gilt es, einzunorden, neu auf Linie zu bringen. Und so wird dann doch noch an der Bildungsschraube gedreht werden. Schon heute sind die Ergüsse einer Luisa Neubauer offizielle und oft zwingend Unterrichtsmaterialien, da wäre es doch gelacht, wenn man die Wähler von morgen nicht mit entsprechendem "Demokratieunterricht" und vergleichbaren intellektuellen Foltermethoden das korrekte Denken beibringen könnte.
Einfache Sprache für alle?
Deutschland befindet sich im Anti-Diskriminierungs-Wahn. Wo auch immer jemand den Fehler macht, irgendwas zu tun oder zu sagen, was andere irgendwie diskriminieren könnte, ist Stress vorprogrammiert. Dieser Anti-Diskriminierungs-Wahn hat teils bizarre Züge angenommen. Diskriminiert wird schneller, als ein Lämmlein mit dem Schwanz wedeln kann. Sei es wegen Hasssprache, Frauenfeindlichkeit, Antisemitismus, sexuelle Orientierung oder Rassismus – mittlerweile gibt es Meldestellen, an die man sich wenden kann, um unter staatlicher oder halbstaatlicher Aufsicht den Denunzianten in sich zu erwecken.
Ist die Tagesschau in einfacher Sprache womöglich die nächste Gelegenheit, in die Denunziationsschlacht zu ziehen? Wird die Tagesschau der Zukunft womöglich ausschließlich in einfacher Sprache gesendet, um mit einer sprachlich zu anspruchsvollen Sendung die Zielgruppe der einfachen Sprache nicht vor den Kopf zu stoßen?
Klingt das absurd? Oder ist selbst dieser Wahnsinn denkbar? Man weiß es nicht. Noch nicht.
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.
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