Meinung

Russland und die NATO treiben auf einen großen Krieg zu

Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Ukraine-Konflikt zu einem nuklearen Konflikt führen könnte, bei dem es keine Gewinner geben wird. Sollten etwas NATO-Truppen in die Ukraine entsandt werden, um nach einem Durchbruch an der Front die russische Armee aufzuhalten, könnte die Lage unaufhaltsam eskalieren.
Russland und die NATO treiben auf einen großen Krieg zuQuelle: Sputnik © RIA Nowosti/Russisches Verteidigungsministerium

Von Iwan Timofejew

Ist es möglich, dass NATO-Streitkräfte direkt in den militärischen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine verwickelt werden könnten? Bis vor Kurzem schien eine solche Frage angesichts der hohen Risiken einer Eskalation der militärischen Konfrontation zwischen dem von den USA geführten Block und Russland zu einem groß angelegten bewaffneten Konflikt sehr hypothetisch. Doch dieses Szenario sollte jetzt ernst genommen werden.

Durch die direkte Beteiligung einzelner NATO-Staaten oder des gesamten Blocks an den Feindseligkeiten könnte die Lage allmählich außer Kontrolle geraten. Die Überschreitung roter Linien könnte zu der Überzeugung führen, dass ein Krieg keine Konsequenzen hätte. Das Ergebnis solcher Bewegungen kann sich zu einem unerwarteten Zeitpunkt manifestieren und zu einer viel gefährlicheren Situation als der jetzigen führen.

Streng genommen sind die NATO-Staaten seit Langem in den Konflikt verwickelt. Dies geschieht in verschiedenen Formen.

Erstens leisten westliche Länder Kiew erhebliche finanzielle und militärische Unterstützung, einschließlich immer fortschrittlicherer und zerstörerischer Waffensysteme. Da die Bestände an sowjetischer Ausrüstung in den Arsenalen der ehemaligen Verbündeten der UdSSR im Rahmen der Warschauer Vertragsorganisation aufgebraucht sind, erhält die ukrainische Armee mehr westliche Systeme und Munition. Bisher waren die Massenlieferungen durch die Produktionskapazitäten der westlichen Rüstungsindustrie und den Umfang der vorhandenen Bestände begrenzt. Sollten die Feindseligkeiten jedoch länger andauern, könnten die Kapazitäten der Industrie ausgebaut werden.

Auch im Falle einer friedlichen Pause, die es der Ukraine ermöglichen würde, sich auf eine neue Phase der Feindseligkeiten vorzubereiten, sind steigende Waffenlieferungen unvermeidlich. Russland kann kaum darauf hoffen, dass dem Westen der politische Wille und die Mittel fehlen, um die Unterstützung für Kiew zu erhöhen. Moskau scheint sich auf das Worst-Case-Szenario vorzubereiten, d. h. auf eine stetige Erhöhung der umfangreichen und langfristigen Militärhilfe für die Ukraine. Diese Hilfe umfasst nicht nur die Lieferung von Waffen und Munition, sondern auch die Ausbildung von Personal, die Unterstützung bei der Entwicklung der Militärindustrie und der Infrastruktur sowie die Erstattung von Ausgaben in anderen Bereichen, die es der Ukraine ermöglichen, ihre Ressourcen auf den Verteidigungssektor zu konzentrieren.

Zweitens erhält die Ukraine umfangreiche westliche Unterstützung in Form von nachrichtendienstlichen Informationen, einschließlich technischer Daten von Satelliten, Radargeräten, Aufklärungsflugzeugen usw. Die erhaltenen Informationen ermöglichen ein breites Spektrum von Operationen, von der Erkundung des Einsatzgebietes bis hin zur Identifizierung bestimmter Ziele. Die Datenlieferanten können der ukrainischen Seite selektiv Zugang gewähren. Dass die Daten für militärische Operationen gegen Russland verwendet werden, steht jedoch außer Frage.

Drittens sind Militärspezialisten, die Bürger von NATO-Staaten sind, an Kampfhandlungen beteiligt. Ihre Rolle scheint nicht immer offiziell zu sein. Es kann sich um "Freiwillige" oder einfach um Söldner handeln, bei deren Teilnahme die Behörden ihrer Länder ein Auge zudrücken. Russischen Schätzungen zufolge lag ihre Zahl im Oktober 2023 bei etwa 2.000. Unabhängig davon, ob dies zutrifft oder nicht, steht fest, dass Ausländer auf ukrainischer Seite kämpfen, dass ihre Beteiligung eher systematisch als zufällig ist und dass zumindest einige von ihnen Bürger westlicher Länder sind.

Ihr Engagement hat bisher nicht zu einem übermäßigen Risiko einer direkten militärischen Konfrontation zwischen Russland und der NATO geführt. Für Kiews westliche Partner bedeutet das geringe Tempo des Konflikts, dass sie die Qualität ihrer Unterstützung für die Ukraine schrittweise verbessern können. Die Lieferung von Marschflugkörpern ist seit Langem gang und gäbe. Die Ankunft von US-Kampfjets ist nur noch eine Frage der Zeit. Die russische Armee "zermalmt" die ankommende westliche Ausrüstung. Ausländische Lieferungen an die Ukraine erfordern aber auch eine Konzentration der Ressourcen auf russischer Seite.

Ein bedeutender Eskalationsfaktor, der das Risiko eines direkten Zusammenstoßes zwischen Russland und der NATO erhöhen würde, könnte das Auftauchen von Militärkontingenten der NATO-Mitglieder auf dem Gebiet der Ukraine sein. Die Aussicht auf ein solches Szenario wurde bereits von einigen westlichen Politikern geäußert, obwohl ihre Ansicht von den USA nicht unterstützt wird und keine offizielle NATO-Position darstellt. Eine Reihe führender Politiker der NATO hat sich von der Idee einer Truppenentsendung in die Ukraine distanziert.

Was könnte der Auslöser für eine solche Entscheidung sein, und wie könnte sie umgesetzt werden? Der wahrscheinlichste Faktor für ein direktes Eingreifen einzelner Staaten oder der NATO als Ganzes wäre ein möglicher großer militärischer Erfolg der russischen Armee. Bislang ist die Front relativ stabil geblieben. Aber das russische Militär hat bereits bedeutende lokale Siege errungen, den Druck erhöht, die Initiative ergriffen, die Offensivfront erweitert und möglicherweise Reserven für ein entschiedeneres Vorgehen aufgebaut.

Es gibt keine Anzeichen für eine Wiederholung der ukrainischen Gegenoffensive des letzten Jahres. Berichten zufolge fehlt es Kiew an Munition, obwohl dieses Defizit in Zukunft durch externe Lieferungen ausgeglichen werden könnte. Regelmäßige Angriffe auf russisches Territorium mit Marschflugkörpern, Drohnen und Artillerie verursachen zwar Schäden und Opfer, stören aber nicht die Stabilität der Front.

Außerdem bestärken solche Angriffe Russland in seiner Entschlossenheit, Pufferzonen zu schaffen, d. h. Gebiete, von denen aus Kiew keine Ziele in russischen Regionen angreifen kann.

Ein möglicher Zusammenbruch bestimmter Abschnitte der ukrainischen Front und erhebliche territoriale Vorstöße der russischen Streitkräfte nach Westen werden immer mehr zu einem realistischen Szenario.

Die Tatsache, dass es seit einiger Zeit keine tiefgreifenden Fortschritte und Durchbrüche mehr gegeben hat, bedeutet nicht, dass es in Zukunft keine Möglichkeit mehr gibt. Im Gegenteil, diese Wahrscheinlichkeit steigt aufgrund der Kampferfahrung der Armee, der Versorgung der Front durch den militärisch-industriellen Komplex, der Verluste auf ukrainischer Seite, der Verzögerungen bei der Lieferung westlicher Ausrüstung usw.

Auch die Fähigkeit der russischen Armee, solche Vorstöße und Durchbrüche zu erzielen, nimmt zu. Ein Katastrophenszenario für einzelne ukrainische Gruppen ist nicht vorherbestimmt, aber wahrscheinlich. Ein größerer Durchbruch der russischen Armee auf Charkow, Odessa oder eine andere Großstadt könnte für die NATO-Länder ein ernsthafter Auslöser sein, die Frage eines Eingreifens in den Konflikt zu konkretisieren. Mehrere solcher Durchbrüche, gleichzeitig oder nacheinander, würden unweigerlich diese Frage aufwerfen.

Hier stehen die einzelnen Länder und der Block als Ganzes vor einer strategischen Weggabelung. Die erste Option besteht darin, nicht zu intervenieren und die Ukraine nur mit militärischer Ausrüstung, Geld und "Freiwilligen" zu unterstützen. Vielleicht die Niederlage einzugestehen und zu versuchen, den Schaden durch Verhandlungen zu minimieren und so eine noch größere Katastrophe zu verhindern. Die zweite Option besteht darin, den Ansatz für die Beteiligung an dem Konflikt radikal zu ändern und eine direkte Intervention zuzulassen.

Diese Intervention könnte verschiedene Formen annehmen. Sie könnte die Nutzung der Infrastruktur beinhalten, einschließlich der Flugplätze der NATO-Staaten. Sie könnte die massenhafte Stationierung bestimmter Kommunikations- und technischer Einheiten sowie von Luftabwehrsystemen bedeuten, ohne dass diese an der Front eingesetzt werden. Ein noch radikaleres Szenario wäre die Stationierung eines Kontingents bestimmter NATO-Staaten an der Grenze zwischen der Ukraine und Weißrussland. Eine noch radikalere Option wäre schließlich die Stationierung von Militärkontingenten aus NATO-Ländern an der Front, was für den Block wahrscheinlich kategorisch inakzeptabel wäre.

Jedes dieser Szenarien beinhaltet einen direkten Zusammenstoß zwischen russischen und NATO-Streitkräften. Eine solche Situation würde unweigerlich die Frage nach einer tieferen Einbindung des Blocks und längerfristig die Verlagerung des militärischen Konflikts auf andere Kontaktgebiete mit Russland, einschließlich des Baltikums, aufwerfen. In diesem Stadium wäre es noch schwieriger, die Eskalation zu stoppen. Je mehr Verluste beide Seiten erleiden, desto mehr wird sich der Strudel der Feindseligkeiten ausweiten, und desto näher werden sie der Schwelle zum Einsatz von Atomwaffen kommen. Und es wird keine Gewinner geben.

Dies sind alles hypothetische Optionen. Aber sie müssen jetzt in Betracht gezogen werden. Denn noch vor nicht allzu langer Zeit erschien das Szenario einer derart umfangreichen militärischen Versorgung der Ukraine niemandem wahrscheinlich. Und auch der Konflikt selbst wurde vor drei Jahren als unwahrscheinlich angesehen. Jetzt ist er eine alltägliche Realität. Die Gefahr, dass es zu einem größeren Krieg zwischen Russland und der NATO kommt, sollte ernst genommen werden.

Iwan Timofejew ist Programmdirektor des Internationalen Diskussionsklub Waldai, wo der Artikel zuerst veröffentlicht wurde.

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