Meinung

Ein NATO-Gänseblümchen in Wiesbaden

Sie ist ganz unschuldig, die Entscheidung der NATO, ein neues Hauptquartier in Wiesbaden zu errichten, das sich um die Ukraine kümmert, so die öffentlichen Beteuerungen. Aber wie immer steckt der Teufel im Detail. Ganz so unschuldig ist er nicht, dieser Beschluss.
Ein NATO-Gänseblümchen in Wiesbaden© U.S. Secretary of Defense, Public domain, via Wikimedia Commons

Von Dagmar Henn

Ein unheimliches Gefühl überkommt einen schon angesichts dieser Meldung. Ein neues NATO-Hauptquartier in Wiesbaden, um "die Koordinierung von Waffenlieferungen und Ausbildungsaktivitäten für die ukrainischen Streitkräfte" zu übernehmen? Und das alles angeblich als Vorsorge, damit der dräuende künftige US-Präsident Donald Trump das hübsche Spiel in der Ukraine nicht kaputt machen kann?

Die Tagesschau berichtet dann auch noch, die meisten NATO-Staaten hätten sich bei diesem von den Verteidigungsministern heute abgenickten Beschluss für eine Bezeichnung als "NATO-Mission Ukraine" ausgesprochen; nur die Deutschen hätten wieder einmal befürchtet, da könne man annehmen, es sollten Soldaten in die Ukraine geschickt werden, weshalb das Kind dann "NATO Security Assistance and Training for Ukraine" (NATO Sicherheitsunterstützung und Ausbildung für die Ukraine) genannt wurde. Der Name, so angeblich die Bundesregierung, könne "von Russland für Propaganda gegen die Allianz genutzt werden".

Was interessanterweise die Erwartung belegt, Russland ginge noch davon aus, dass im Westen überall das drin ist, was draufsteht, und deshalb allein die Benennung dafür sorgen könne, dass man nichts Böseres dahinter vermutet. Was gleich zwei grundsätzliche Tatsachen übergeht. Erstens, Russland hat schon vielfach die Erfahrung gemacht, dass der Westen betrügt – bei den Minsker Abkommen beispielsweise. Und zweitens glaubt man in Russland weit weniger an Beschwörungen (wie "die Ukraine muss siegen"), sondern eher an materielle Tatsachen, Handfestes sozusagen. Es würde auch nichts nützen, wenn die Leopard-Panzer morgen Gänseblümchen hießen, sie würden genauso abgefackelt.

Aber mit welcher Art Gänseblümchen hat man es hier zu tun? Immerhin gab es schon seit 2022 etwas Ähnliches in Wiesbaden. In der Presseerklärung des US-Verteidigungsministeriums zur Einrichtung der "Sicherheitsunterstützungsgruppe Ukraine" vom 16. November 2022 erklärte die Pressesprecherin Sabrina Singh:

"Ich freue mich anzukündigen, dass das Ministerium eine Sicherheitsunterstützungsgruppe Ukraine einrichten wird, die wir SAG-U nennen werden, und die ein dafür bestimmtes Element des Hauptquartiers in Wiesbaden, Deutschland, ist und unter dem U.S. Europakommando [EUCOM] unsere Bemühungen abstimmen wird."

Ganze 300 Personen wurden aus den USA dafür nach Wiesbaden verbracht.

"Die neuen 300 werden letztlich aus den Vereinigten Staaten kommen und Individuen aus der US-Armee, der US-Marine, der US-Luftwaffe und dem US-Marine Corps umfassen".

In der damaligen Erklärung wurde zugesichert, dass die US-Militäreinrichtungen in Hessen weder Ukrainer ausbilden noch Lieferungen über den Flughafen der Lucius D. Clay-Kaserne erfolgen würden. Wie bekannt ist, fanden die Ausbildungen durch die US-Streitkräfte (die weniger als ein Fünftel der insgesamt ausgebildeten Ukrainer umfassten) zum großen Teil in Grafenwöhr in Bayern statt.

Wenn es allerdings wirklich um das vermeintlich unschuldige Anliegen ginge, Donald Trump im Voraus daran zu hindern, den Krieg in der Ukraine zu beenden, und deshalb die ganze Koordinierung über NATO-Strukturen statt über die erwähnten 300 US-Soldaten geschehen soll, dann wäre eine Unterbringung bei der US-Armee in Wiesbaden ausgesprochen unlogisch. Schließlich könnte Trump ja dann die ganze Truppe jederzeit an die Luft setzen. Und es sieht nicht danach aus, als solle das vorhandene Personal komplett ersetzt werden; vielmehr entsteht der Eindruck, als wolle man das Etikett wechseln und dann noch etwas mit Personal aus anderen NATO-Staaten aufstocken – das aber ohnehin schon im alten Konzept bereits mit beteiligt war, weil bereits in der alten Presseerklärung von "zusammen mit Verbündeten und Partnern" die Rede ist.

Strukturell dürfte sich also kaum etwas ändern. Sogar die letztlich verantwortliche Person bleibt gleich, wenn auch der US-General Christopher Cavoli, der bisher in seiner Eigenschaft als Kommandeur von EUCOM, dem US-Kommando in Europa, diese Truppe befehligte, dies nun in seiner Eigenschaft als SACEUR, als Alliierter Oberkommandierender in Europa, tut.

Aber da kommen wir an einen ganz anderen Punkt. Auch das macht bezogen auf den vermeintlichen Anlass namens Donald Trump wenig Sinn, denn US-Soldat bleibt US-Soldat und damit immer dem jeweiligen Präsidenten unterstellt, weshalb ein Rückzug der Vereinigten Staaten genau die gleiche Auswirkung hätte – gleich, ob Herr Cavoli seinen Hut als EUCOM oder als SACEUR aufgesetzt hat.

Vielleicht sollte man, ehe man zu den Konsequenzen dieser Verlagerung übergeht, noch drei Dinge in Erinnerung rufen – die von Macron losgetretene Debatte über Truppenentsendungen in die Ukraine, die Veröffentlichungen über NATO-Pläne, wie man US-Truppen nach Europa bringen könnte, und das kleine, völlig unwichtige Detail, dass die Menge der an die Ukraine gelieferten Waffen ebenso im Rückgang begriffen ist, weil manche Staaten schlicht nichts mehr liefern können (in der Slowakei wird es jetzt wohl einen Prozess gegen die ehemalige Regierung geben, weil sie die Luftabwehr des Landes komplett nach Kiew verschenkt hat), wie auch die Zahl der auszubildenden Ukrainer deutlich abnehmen dürfte. Schließlich kann man Einheiten nur dann zur Ausbildung andernorts schicken, wenn man sie nicht braucht, um neue Löcher in der Front zu stopfen.

Es ist also kaum anzunehmen, dass die laut Pentagon vorhandenen 300 Mitarbeiter sich künftig überarbeiten würden, jedenfalls nicht, wenn die erklärte Aufgabe der tatsächlichen entspricht. Aber da ist nicht nur der Drang, das Ganze NATO-Mission Ukraine zu nennen, der stutzig macht. Denn angesichts der Tatsache, dass die jetzige Struktur ziemlich so heißt, wie die neue vermeintlich auf deutschen Wunsch heißen soll, ist eine Umbenennung in NATO-Mission Ukraine eher Ausdruck von Vorstellungen, die vom bisher Vorhandenen abweichen.

Nebenbei, Cavoli ist nicht nur derjenige, der die regelmäßigen Treffen in Ramstein leitet, bei denen die nächsten Lieferungen nach Kiew ausbaldowert werden, sondern er war auch derjenige, der die Planungen für die große ukrainische Offensive im vergangenen Sommer beaufsichtigt hat. Der in Wiesbaden geborene Heeresgeneral spricht Russisch und war von 2001 bis 2005 im Generalstab in Washington für Russland zuständig. Im Jahr 2020 wurde er zum Kommandeur der US-Armee in Europa und Afrika in Wiesbaden, und 2022 zum Kommandeur von EUCOM und damit auch zum SACEUR. Man könnte annehmen, dass diese Personalentscheidung bereits strategische Ziele verfolgte.

Der wirklich entscheidende Punkt diese NATO-Entscheidung betreffend findet sich aber in den zwei Hüten des Generals Cavoli. Solange er als Chef von EUCOM auftritt, erstreckt sich seine Befehlsgewalt auf die US-Truppen in Europa, und nur auf diese. Als SACEUR hat er aber, sofern das NATO-Hauptquartier in Brüssel die entsprechende Entscheidung fällt, Befehlsgewalt über die gesamten NATO-Truppen.

Der entscheidende Unterschied zwischen der jetzigen SAG-U und der neuen, gerade mal nicht "NATO-Mission Ukraine" genannten Struktur liegt also darin, dass SAG-U zwar mit ihrer Zusammensetzung (die, betrachtet man die benannten Aufgaben, mit ihrer Einbindung aller Abteilungen der US-Streitkräfte wirklich übertrieben ist), aber nicht mit ihrer Einbindung in die Befehlsstrukturen von einer harmlosen "Unterstützungsgruppe" in ein aktives militärisches Hauptquartier verwandelt werden kann, was bei einer Struktur unter Befehl von SACEUR ganz anders aussieht.

Sollte man in Russland den Beteuerungen, es ginge nur um ein bisschen Hilfe und Ausbildung und darum, den Krieg in der Ukraine weiter am Leben zu erhalten, nicht allzu viel Glauben schenken und andere Absichten hinter diesem Gänseblümchen vermuten, gäbe es dafür nur allzu gute Gründe. Aber immerhin, solange das alles treulich bei den bereits vorhandenen US-Einrichtungen angesiedelt bleibt, hat das, SACEUR hin oder her, zumindest einen Vorteil: Die Zielkoordinaten für den Ernstfall sind bereits bekannt.

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