Meinung

Fake News um Kiesewetter und kein Wort von echten Gefahren

Dass es doch keine Anzeige gab, wird schon wieder leiser vermeldet. Aber gestern war man sehr beschäftigt mit der bösen Wagenknecht, die den armen Kiesewetter in Gefahr brachte. Was so ist, als würde man den Sitz der Krawatte rügen, während das Haus über einem zusammenbricht.
Fake News um Kiesewetter und kein Wort von echten GefahrenQuelle: www.globallookpress.com © Michael Lucan

Von Dagmar Henn

Jetzt heißt es auf einmal, es war alles eine Ente, und der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter habe doch keine Anzeige wegen Volksverhetzung gegen Sahra Wagenknecht gestellt.

Wagenknecht hatte in einer Rede unter anderem erklärt, "solche Leute muss man stoppen". Dabei bezog sie sich auf Kiesewetters Aussage, man müsse "den Krieg nach Russland tragen".

Am Dienstag hatte Bloomberg berichtet, Kiesewetter habe Strafanzeige gestellt, unter anderem, weil er selbst angegriffen worden sei. Das Thema wurde in der Folge von mehreren Medien aufgegriffen, für die sofort klar war: Das, was Wagenknecht gesagt hatte, sei ein Aufruf zur Gewalt.

Nun befindet sich Kiesewetter in einer scharfen Konkurrenz um den Posten als Kriegstreiber Nummer eins und hatte auch schon vorgeschlagen, mit deutschen Taurus-Raketen auf das russische Verteidigungsministerium in Moskau zu feuern. Aber wenn sich ebendieser Kiesewetter dann hinstellt und erklärt, dass er als Kriegstreiber beschimpft und physisch attackiert worden sei, habe es mit dem zu tun, was Sahra Wagenknecht am 27. Mai auf einer Wahlkampfkundgebung gesagt habe, und die deutschen Medien verhalten sich, als wäre es das Normalste von der Welt, diesen Zusammenhang herzustellen, dann ist das sehr eigenartig.

Oder eben auch nicht, in diesem Deutschland fern der Wirklichkeit. Immerhin ist "Kriegstreiber" bei ihm gewissermaßen die Berufsbezeichnung, so wie diejenige der Frau Marie-Agnes Strack-Zimmermann "Rüstungslobbyistin" ist. Anders gesagt, wenn Kiesewetter vor einem Gericht den Gegenbeweis antreten müsste, hätte er sehr schlechte Karten.

Aber das ist ja alles nicht mehr relevant, weil die wüstesten Ostlandsrittfantasten mit dem vollen Schutz der staatlichen Gewalt rechnen können, während derjenige, der womöglich einem Herrn Kiesewetter eine Watsche verpasst, ein abgrundtief böser Gewalttäter ist, der nur von russischen Agenten wie einer Sahra Wagenknecht zu einer solch unbegreiflichen Handlung getrieben werden konnte. Brave deutsche Bürger freuen sich nämlich darüber, dass ein nuklearer Winter dem Klimawandel den Garaus macht.

Nein, diese ganze Situation ist nur noch völlig wahnsinnig. Statt sich einen Kopf darüber zu machen, dass der immer weiter fortschreitende Kriegseinstieg der NATO langsam, aber sicher zu einer fassbaren Existenzbedrohung wird, kümmert sich das deutsche Medienpersonal darum, ob Herr Kiesewetter nun Anzeige erstattet hat oder nicht oder ob die Äußerung, einen Kriegstreiber zu stoppen, schon unter die Neusprech-Bezeichnung "Hass und Hetze" fällt. Die es natürlich immer nur dann gibt, wenn die Ostlandritter unter der Regenbogenfahne gemeint sind, aber mitnichten, wenn beispielsweise unter der Losung "AfDler töten" demonstriert wird.

Verstehen kann man das allerdings sehr wohl, wenn jemand ganz persönlich einen Zorn auf Kiesewetter hegt. So wie auf andere seinesgleichen. Denn es genügt ihnen ja nicht, ihr eigenes Leben für das Wohl der transatlantischen Räuberbande aufs Spiel zu setzen, sie müssen das ganze Land, schlimmer, vielleicht sogar die ganze Welt mit hineinziehen, nur weil in ihrem Oberstüblein nicht alles dicht ist und ihre Hand ständig im Geldbeutel der Rüstungsindustrie steckt. Sie könnten sich schlicht ein gefährliches Hobby zulegen, wie Fallschirmspringen; aber sie meinen, sie haben das Recht, ihren Wahn Wirklichkeit werden zu lassen. Da kann man Zorn verstehen. Vor allem, wenn jeder Fernsehsender, den man einschaltet, jedes Radio, jede Zeitung nur diesen einen Ton wiederholt, ohne Unterbrechung, mehr Krieg, mehr Krieg, mehr Krieg.

In der wirklichen Welt ist eine Ohrfeige für einen Kiesewetter natürlich nicht angebracht. Allerdings nicht nur, weil persönliche Gewalt kein Mittel der politischen Debatte ist, sondern auch, weil eigentlich, und das ist sogar in den dafür existierenden deutschen Gesetzbüchern vorgegeben, einer wie Kiesewetter an einen ganz anderen Ort gehört als in den Bundestag. Hinter Gitter nämlich (man könnte jedoch angesichts der satten Mehrheit, die solche wie Kiesewetter im Bundestag haben, auch einfach das Gitter um den Bundestag ziehen und die paar Abgeordneten, die für Frieden sind, noch herauslassen, ehe man die Kette vor das Tor legt).

Leider findet sich kaum jemand, der das in Deutschland noch ausspricht. Auch Wagenknecht reagierte auf bekannt defensive Art. "Ich verurteile, dass Roderich Kiesewetter angegriffen wurde. Ich finde so was auch sehr schlimm. Aber ich finde auch seine Äußerungen extrem problematisch."

Das Problem bei dem Verbrechen, an dem Kiesewetter mit ganzer Energie arbeitet, ist, dass im schlimmsten Fall nach erfolgreichem Abschluss seiner Kriegstreiberei weder jemand übrig ist, der ihn vor ein Gericht stellen könnte, noch, aller Wahrscheinlichkeit nach, ein Angeklagter, der vor Gericht gestellt werden könnte. Denn das, womit er spielt, ist eine atomare Konfrontation.

Aber warum sollte man sich auch mit so was befassen, wenn man die ganz normale und vernünftige Aufforderung, einen Kriegstreiber zu stoppen, skandalisieren und ansonsten selbst weitere Eskalation fordern kann. Dann müsste ja bei den Vertretern der Mehrheitsmedien so etwas wie moralische Maßstäbe vorhanden sein. Die gibt es nicht, heute so wenig wie 1914. Wer es nicht glaubt, kann bei Karl Kraus nachlesen.

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