Meinung

Annalena Baerbock will Kolonialtruppen für Gaza

Das ist schon fast eine Art Zwangshandlung deutscher Regierungen, rund um die Welt immer die Bundeswehr schicken zu wollen. Niemand hat darum gebeten, aber Baerbock drängelt schon einmal: deutsche "Schutztruppen" für Gaza. Damit werden wir keine Freunde gewinnen.
Annalena Baerbock will Kolonialtruppen für GazaQuelle: www.globallookpress.com © Monika Skolimowska

Von Dagmar Henn

Nachdem sie monatelang die Deutschen mit auf die Tränendrüsen zielenden Geschichten über den "Hamas-Terror" beglückte, im Arm des israelischen Kriegsministers weinte, während dieser palästinensische Kinder töten ließ, und auch das unmenschliche US-Spiel, dem UN-Hilfswerk für Palästina UNRWA die Mittel zu entziehen, mitspielte, hat sie nun ganz neue alte Gedanken.

In den letzten Wochen war ihr nicht viel Anderes übrig geblieben, als endlich einzugestehen, dass das Vorgehen Israels in Gaza nicht gerade appetitlich ist (die Redewendung "nicht die feine englische Art" ist in diesem Zusammenhang angesichts der britischen Kolonialverbrechen untauglich); aber im Gegensatz zu einer ganzen Reihe anderer EU-Mitgliedsstaaten konnte sich die Bundesregierung immer noch nicht dazu durchringen, Palästina als Staat anzuerkennen oder auch nur offen Kritik an der Unterstützung Israels durch die USA zu üben. Das Wort "Genozid", das längst die Mehrheit der Weltbevölkerung für die einzig angemessene Bezeichnung dessen hält, was Israel in Gaza veranstaltet, kommt ihr nicht über die Lippen. Und die Maßnahmen, mit denen Menschen in Deutschland zu rechnen haben, die sich auf die Seite der Palästinenser stellen, gehen selbstverständlich weiter.

Aber sie liefert ihre Heuchelei meist in einem Ton, der sie für ihre grüne Klientel höchst konsumierbar macht. Nicht dass man tatsächlich eine Waffenruhe einfordern würde. Oder einen Rückzug der israelischen Armee. Oder eine sofortige Öffnung der Grenzübergänge für die humanitäre Versorgung. Doch sie weiß, wie man für Unaufmerksame die Gute geben kann, ohne es auch nur ansatzweise zu sein; schließlich ist die grüne Anhängerschaft darauf dressiert, wohlklingende Phrasen für die Wirklichkeit zu halten.

So lautete ihre "Perspektive" für Gaza am 16. Mai: "

"Klar ist: Die Hamas kann das Leid der Menschen in Gaza sofort beenden. Aber klar ist auch: Allein militärisch ist der Krieg gegen die Hamas nicht zu gewinnen. Ohne sichere Orte, Medikamente, Lebensmittel, Treibstoff – das Elementarste, was man zum Leben braucht – entsteht nur neues Leid und neuer Hass. Und mehr Bomben und mehr Panzer in Rafah gefährden auch die Geiseln."

Was erstens heißt, sie ignoriert immer noch die Besetzung. Zweitens, dass sie es für legitim hält, einen Krieg gegen die Hamas gewinnen zu wollen, also nach wie vor in der Hamas keine politische Vertretung der Palästinenser in Gaza sehen will. Es brauche nicht weniger oder kein Militär, sondern eben noch ein wenig Dekoration drumherum, und es ist nicht falsch, palästinensische Kinder zu töten, weil das Kinder sind, kleine, schutzbedürftige Menschen, sondern weil das "neuen Hass" erzeugt. Das ist ein wenig Sozialpädagogenrhetorik angesichts eines Völkermords.

Aber wer erwartet schon Kompetenz von Annalena Baerbock. Das ist eben eine leicht camouflierte Herrenmenschin, deren eigentliche Sicht dann doch immer wieder durchbricht. Wie jetzt gerade, angesichts der aktuellen Versuche der USA, irgendwie so zu tun, als wolle man Frieden, ohne den israelischen Vertreibungsplänen in die Suppe zu spucken.

Eine humanitäre Feuerpause im Gaza-Krieg sei im Bereich des Möglichen, meinte sie auf einem kleinen Parteitag der Grünen in Potsdam. Und dann kommt ihre Sternstunde. US-Präsident Joe Biden hatte am Freitag Vorschläge, die unter anderem in der Arabischen Liga schon länger kursierten und auch von der Hamas bereits weitgehend akzeptiert waren, nicht aber von Israel, als neue eigene verkauft. Dabei beinhaltete der Plan der Arabischen Liga auch UN-Friedenstruppen in Gaza – nach einem israelischen Rückzug und einer vollen Anerkennung eines palästinensischen Staates. Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und Marokko sollen sogar schon ihre Beteiligung an einem solchen Einsatz prüfen.

Und dann kommt eben Baerbock in Potsdam und macht wieder einmal ein Angebot, das keiner haben will:

"Wenn es jetzt nicht nur einen Wiederaufbau braucht, sondern eine internationale Schutztruppe, die dafür garantiert, dass wir endlich, endlich zu Frieden im Nahen Osten kommen, dann ist das auch unser gemeinsamer Auftrag."

Mit der üblichen Schlagseite, versteht sich, denn selbst bei ihrer Aufzählung der Vorbedingungen kommt ein israelischer Rückzug aus Gaza zuletzt, und von der Anerkennung eines palästinensischen Staates – nicht zu vergessen: in den Grenzen von 1967 – ist überhaupt nicht die Rede.

Da wundert es dann auch nicht, dass sie gar nicht von Friedenstruppen spricht, sondern von einer "internationalen Schutztruppe". Das allerdings ist ein Begriff, der im Deutschen eine ganz eindeutige Vergangenheit besitzt. Schutztruppen wurden nämlich die deutschen Kolonialtruppen genannt, auch jene, die im Jahr 1905 den Völkermord an den Herero und Nama begingen.

Aber Verwirrung ist bei Baerbock Programm. Schließlich erklärt sie danach auch noch, eigentlich sei es eine Geste der Dankbarkeit, dass die deutsche Nase überall hineingedrängt werden muss, wo sie keiner haben will. Man habe ja den einstigen Gegnern des Zweiten Weltkriegs so viel zu verdanken.

"Dass wir im Herzen Europas frei und in Frieden leben können, liegt daran, dass andere für uns da waren."

Wäre da nicht die fundamentale Rechenschwäche der Grünen, man könnte darauf hinweisen, dass sie ihren Dank in die grundsätzlich falsche Richtung schickt. Schließlich könnte auch sie das internationale Publikum nicht quälen, hätte die Rote Armee einst die Maßstäbe angelegt, die sie Israel als "Selbstverteidigung" durchgehen lässt. Aber dazu müsste sie die Zahl der ermordeten Palästinenser durch die Zahl der tatsächlich von palästinensischer Seite am 7. Oktober getöteten Israelis teilen, und mit dem errechneten Quotienten dann 27 Millionen tote Sowjetbürger multiplizieren. Viel zu kompliziert, viel zu große Zahlen. Nur so als kleiner Hinweis: Hätte die Sowjetunion die moralischen Maßstäbe der heutigen israelischen Regierung gehabt, alleine die "Vergeltung" für die Belagerung von Leningrad hätte ein Drittel der deutschen Bevölkerung ausgelöscht.

Immerhin, das "Angebot" von Baerbock könnte dazu beitragen, den letzten Rest guter Beziehungen in den arabischen Raum auch noch zu ruinieren. Denn nur US-"Friedenstruppen" könnten noch mehr Freude aufkommen lassen als eine Beteiligung der Bundeswehr als "Schutztruppe" im Auftrag einer Regierung, die auf der Liste der Genozid-Verteidiger unübersehbar an prominenter zweiter Stelle steht.

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