Meinung

Soll sich der Westen an die Vorstellung eines Weltkrieges gewöhnen?

Zunehmend wird in Ländern des Westens eine Hysterie über die angebliche Unvermeidbarkeit eines dritten Weltkriegs geschürt. Aber der Westen sollte besser nicht versuchen, Russlands Entschlossenheit bei der Verteidigung seiner Souveränität auf die Probe zu stellen.
Soll sich der Westen an die Vorstellung eines Weltkrieges gewöhnen?Quelle: Legion-media.ru © Ruma Aktar

Von Wladimir Kornilow

"Der Dritte Weltkrieg wird am 18. Juni 2024 beginnen" – Vorhersagen solcher Art wurden kürzlich von vielen westlichen Medien verbreitet, die sich wieder einmal auf eine weitere Prophezeiung eines "neuen Nostradamus" beriefen. Das ist im Westen im Prinzip nichts Ungewöhnliches – zu allen Epochen gab es solche Vorhersagen von verschiedensten falschen Propheten. Und wir haben in letzter Zeit tatsächlich viel über die ernstzunehmenden Gefahren eines Weltkriegs gehört.

Aber es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen den heutigen Tagen und früheren Zeiten: Wenn früher in Diskussionen über den Dritten Weltkrieg ein solcher als Bedrohung dargestellt wurde, wird dieses Thema heute immer häufiger eher beiläufig diskutiert – als etwas Triviales, Unvermeidliches, Unangenehmes, aber im Allgemeinen ein erträgliches Risiko. Das heißt, den westlichen Bürgern wird gezielt und aktiv in die Köpfe gehämmert, dass es unvermeidbar und notwendig sei, sich auf einen globalen Konflikt vorzubereiten, um den man nicht herumkommt. Und es ist wohl kein Zufall, dass die nächste Vorhersage über den Zeitpunkt des Krieges mit einem ganz gewöhnlichen Aufruf auf der Webseite der britischen Regierung an ihre Bürger ergänzt wurde, sich nun bitte im Voraus mit Konserven, Kerzen und Batterien "für den Notfall" einzudecken. Das ist also die neue Normalität im Westen.

Donald Trump sagte neulich auf einer Wahlkampfveranstaltung, dass "wir in den nächsten fünf Monaten sehr wohl in den Dritten Weltkrieg stürzen könnten". Was er allerdings damit sagen wollte, war, dass man das verhindern und eben keine weitere Eskalation zulassen sollte. Viele andere Äußerungen und Artikel in den Medien für die westliche Öffentlichkeit beschränken sich jedoch darauf, den Lesern die Meinung aufzudrängen, dass man dem globalen Konflikt ohnehin nicht entkommen könne.

So haben beispielsweise die britischen Konservativen nach der Ankündigung der Parlamentswahlen sofort eine Angstkampagne gestartet, um zu beweisen, dass sie natürlich besser mit dieser Situation zurechtkommen werden als die Labour Party, wenn ein Weltkrieg ausbricht. Was ist zum Beispiel solch eine Schlagzeile im Daily Telegraph wert?

"Dies könnte die letzte Wahl vor dem nächsten Weltkrieg sein."

Den Briten wird ganz banal beim Frühstück mal gesagt, dass der Krieg schon eine beschlossene Sache ist. Die Frage ist nur noch der Zeitpunkt.

In den diversen nationalen Fernsehsendern diskutieren "Experten" angeblich sehr verschiedener Couleur über die Wahrscheinlichkeit eines direkten militärischen Zusammenstoßes mit Russland. Und einige dieser "Experten" rufen ganz ungeniert offen dazu auf.

Ist die jüngste Aufforderung des ehemaligen NATO-Generalsekretärs und früheren dänischen Premierministers Anders Rasmussen, nun endlich "Putins Bluff zu durchschauen" und russische Raketen über der Ukraine direkt vom Hoheitsgebiet der NATO-Länder aus abzuschießen, nicht verrückt? Es überrascht nicht, dass diese offensichtlich verrückte Idee sofort von Wladimir Selenskij aufgegriffen wurde, der sich immer noch als Chef des ukrainischen Regimes fühlt und schon lange davon träumt, die westlichen Länder in einen direkten Kampf mit Russland verwickeln zu können. Als erstes reagierte das polnische Außenministerium, das mit gespielt ernster Miene behauptete, dass man "diese Frage prüfe". So viel zum Weg in den Dritten Weltkrieg!

Natürlich beeinflussen all diese regelmäßigen Spekulationen die öffentliche Meinung – wie gewünscht. Vor fünf Jahren hielten es 27 Prozent der Briten für unwahrscheinlich, dass in den nächsten 20 Jahren ein neuer Weltkrieg ausbricht, jetzt sind es nur noch 16 Prozent. Mehr als die Hälfte (53 Prozent) der Briten glaubt, dass in den nächsten fünf bis zehn Jahren ein globaler Konflikt ausbrechen wird. Außerdem sind 80 Prozent sicher, dass sie in diesem Fall gegen Russland und 64 Prozent gegen China in den Krieg ziehen müssten.

Die US-Amerikaner sind sogar noch "zuversichtlicher", was den bevorstehenden Ausbruch eines Weltkriegs angeht: 61 Prozent. Allerdings schätzen sie die Chancen eines Krieges gegen Russland und China etwa gleich hoch ein (72 Prozent gegen 69 Prozent). Allerdings glaubt dabei weniger als die Hälfte der US-amerikanischen Bürger (45 Prozent) an einen Sieg der westlichen Koalition gegen das vereinte Russland und China.

Um den globalen Krieg noch etwas alltäglicher erscheinen zu lassen, haben einige westliche Medien bereits begonnen, die Idee zu verbreiten, er sei doch bereits im Gange! The Hill zum Beispiel zeigt geradezu Schaum vor dem Mund bei den Versuchen zu beweisen, dass Joe Biden derzeit "bereits den dritten Weltkrieg verliert". Der Durchschnittsbürger beginnt, sich eine feste Meinung zu bilden:

"Da der Weltkrieg bereits im Gange ist und ich die Folgen kaum zu spüren bekommen habe, ist er nicht so schrecklich, wie wir es befürchtet haben. Wir brauchen nur ein paar Blechdosen und Batterien für den Fall der Fälle zu kaufen – und es wird keine Probleme geben."

Es ist bei all dem nicht verwunderlich, dass eine andere und sogar bedeutende Gruppe europäischer Wissenschaftler, Politologen und Experten kürzlich in der italienischen Presse dazu aufrief, angesichts der immer deutlicher werdenden Konturen der kommenden Katastrophe endlich und dringend Friedensgespräche mit Russland über die Ukraine aufzunehmen. Die Professoren schreiben über das unglaublich hohe Risiko von Feindseligkeiten zwischen Russland und der NATO mit dem Einsatz von Atomwaffen.

Das heißt, nicht jeder in Europa ist wie Rasmussen bereit, es mit Russland aufnehmen zu wollen und unsere Fähigkeit und Bereitschaft zur Abwehr von Aggressionen auf die Probe zu stellen. Das wäre ermutigend, allerdings nur dann, wenn die seltenen Stimmen der Vernunft nicht im Strom der täglichen Anstachelung zu bewaffneten und ideologischen Konfrontationen untergehen würden. Je mehr den Menschen im Westen die Angst vor einem Weltkrieg eingebläut wird, desto mehr gewöhnen sie sich an den Gedanken seiner Unvermeidlichkeit, und desto größer ist das Risiko, dass im Westen ein Übermütiger den abenteuerlichen Schritt macht (nach dem Motto "Wir werden den Bluff aus dem Kreml durchschauen!"), gefolgt von der dann wirklich unvermeidlichen Katastrophe.

Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei RIA Nowosti am 27. Mai 2024.

Wladimir Kornilow ist ein bekannter ukrainischer und russischer Politikwissenschaftler, Historiker und Journalist.

Mehr zum Thema - The Hill: Biden muss siegen wollen - im "Dritten Weltkrieg"

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