Neoliberaler Angriff auf Arbeitsrechte: FDP, Union und Wirtschaft fordern Ende des Achtstundentags
Von Susan Bonath
Fast ein Jahrhundert blutige Streiks und Proteste lagen hinter der deutschen Arbeiterklasse, als die Weimarer Regierung im Jahr 1918 den Achtstundentag als regulären Arbeitstag zum ersten Mal in Deutschland gesetzlich verankerte. Nun aber greift die FDP dieses beim neoliberalen Establishment verhasste und längst zulasten der Lohnabhängigen mit allerlei Schlupflöchern ausgehöhlte Arbeitsrecht erneut an. Ein "fossiles Dogma" sei diese Regelung, ätzte ihr Fraktionsvize. Und die Unionsparteien wie auch Wirtschaftsverbände sehen das ähnlich.
Ackern bis zum Umfallen mit der FDP
Die Bundesregierung solle "die Tageshöchstarbeitszeiten abschaffen" und stattdessen "eine wöchentliche Höchstarbeitszeit festschreiben", forderte Lukas Köhler als einer der Stellvertretenden FDP-Fraktionsvorsitzenden im Deutschen Bundestag in einem am Sonnabend veröffentlichen Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Abgesehen von einigen Ausnahmeregeln dürfen Lohnabhängige derzeit maximal 48 Stunden pro Woche zur Arbeit herangezogen werden. Man könne "darüber nachdenken", auch diese Vorschrift "zu lockern". Schließlich will er auch noch die vorgeschriebenen Ruhe- und Pausenzeiten angreifen: "Wir wollen da keine starren Vorschriften mehr machen", sagte der FDP-Mann und argumentierte:
"Der Acht-Stunden-Tag ist ein fossiles Dogma aus einer Zeit, in der die Sorge vor Ausbeutung massiv war."
Laut Köhler hätten sich die Zeiten geändert und das Gesetz sei ein Relikt "aus einer Welt, in der es kein Homeoffice gab". Die Gefahr, dass Unternehmen solche Lockerungen ausnutzen und die Ausbeutung verschärfen könnten, sieht er nicht. Dafür bedient er sich des in Westdeutschland seit über 70 Jahren gepredigten Mythos der angeblichen "Sozialpartnerschaft" zwischen Kapital und Lohnabhängigen: Es gebe heute "so wenig Arbeitskräfte, dass sie in vielen Branchen mitbestimmen" könnten, behauptet er.
Die Beschäftigten zehn Stunden lang durcharbeiten zu lassen, wäre danach kein Problem mehr. Bekanntlich endet die vielbeschworene Demokratie hinter den Werktoren und Bürotüren. Hier gibt der Chef den Ton an, gebunden ist er lediglich an das Gesetz. Was dieses zulässt, kann er durchsetzen. Spielen Beschäftigte nicht mit, droht ihnen der Jobverlust. Also rechtlos ackern bis zum Umfallen für die Unternehmen?
"Flexibler schuften" mit der Union
Der FDP-Mann leugnet – einmal wieder – nicht nur konsequent die ungleichen Machtverhältnisse zwischen Kapital und Lohnabhängigen. Er verklärt seine Forderungen gar überdies als einen angeblichen Vorteil für die Beschäftigten: Es sei doch besser, betonte Köhler, flexibler arbeiten zu dürfen. Dann bekomme man viel leichter Beruf und Familie unter einen Hut. Köhler tut gerade so, als hätte dieses Problem die meisten Unternehmen jemals interessiert.
Mit seinen Wünschen steht Köhler aber nicht mehr alleine da. Erst kürzlich hatte die Unionsfraktion aus CDU und CSU ganz Ähnliches mit fast gleichlautender Begründung im Deutschen Bundestag beantragt: Mittels einer Gesetzesnovelle will auch sie die Arbeitszeiten "flexibler" gestalten.
"Flexibel" ist ein gern benutzter Euphemismus, um Arbeitsrechte zu schleifen. Wer sich als Lohnabhängiger verdingen muss, um leben zu können, muss heutzutage sehr "flexibel" sein. Wer wegen Kindern, Haushalt, familiärer Probleme oder der eigenen Gesundheit nicht rund um die Uhr für den "Job" bereit steht, gilt in Arbeitsagenturen und Jobcentern als "schwer vermittelbar" und in der Propaganda schnell als "faul". Unflexibel sind nach neoliberaler Doktrin nur die Versager.
Entrechtung mit Schröders Agenda 2010
Derlei Angriffe auf Arbeitsrechte sind nicht neu. Den größten Coup in diese Richtung konnte wohl Altbundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) für sich verbuchen. Seine im Jahr 2003 mit den Stimmen der mitregierenden "Grünen" sowie mit der "Opposition" der Unionsparteien und der FDP beschlossene und dann auch schrittweise eingeführte Agenda 2010 ermöglichte die Leiharbeit im großen Stil. Sie machte überdies Erwerbslose nach kurzer Zeit zu Sozialhilfebeziehern, denen Jobcenter beim geringsten Ungehorsam das Existenzminimum kürzen oder sogar gänzlich streichen konnten.
Damit entmachtete die herrschende Politik ganz bewusst die ohnehin schon sehr regierungskonformen Gewerkschaften unter dem Dach des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) weiter. Und diese Politik verschärfte den unmittelbaren Druck auf die lohnabhängig Beschäftigten enorm, auch miserable Arbeitsbedingungen klaglos hinzunehmen. Wer wollte schon in der Hartz-IV-Mühle landen und seinen hart erarbeiteten, wenn auch bescheidenen Wohlstand aufgeben?
Schon damals – vor gut 20 Jahren – jubelten die Wirtschaftsverbände wie auch das neoliberale Establishment über Schröders gigantischen Sozialabbau. Der deutsche Niedriglohnsektor boomte, die Erwerbslosigkeit pendelte sich – anhaltend bis heute – auf eine Größe von rund vier Millionen "erwerbsfähige Hilfesuchende" plus knapp eine Million Arbeitslosengeld-I-Bezieher ein. Viele Gemeinden und Städte ließen fortan diverse Aufgaben wie Grünanlagenpflege oder Winterdienst von Ein-Euro-Jobbern erledigen.
"Leider alternativlos": Kampagnen der Wirtschaftslobby
Doch all das reichte der Wirtschaftslobby und ihren politischen Fürsprechern offensichtlich nie. Unter dem Label "flexiblere Arbeitszeiten" starteten sie in steter Regelmäßigkeit immer neue Kampagnen. So trommelten zum Beispiel die bayerischen Wirtschaftsverbände im Mai 2017 für "eine neue Regelung, die eine weniger starre Einteilung der Wochenarbeitszeit erlaubt".
Nur wenig später schloss sich dem der sogenannte "Rat der Wirtschaftsweisen" – ein Euphemismus der ganz besonderen Art – an: Der Achtstundentag gehöre entsorgt, und allgemein sollten die Arbeitszeiten stark gelockert werden, propagierte das Gremium mit dem De-facto-Status von "Markt-Heiligen".
Dies erfordere schließlich "die digitalisierte Welt", begründeten die "Wirtschaftsweisen" ihren Wunsch. Firmen könnten leider nur bestehen, wenn sie "agil" seien und jederzeit "schnell ihre Teams zusammenrufen" könnten. Wohl unfreiwillig machte der Bericht von n-tv vom November 2017 sehr deutlich, worum es wirklich geht:
"Der Arbeitnehmerschutz in Deutschland habe sich zwar bewährt, er sei aber in Teilen nicht mehr für die digitalisierte Welt geeignet."
So lautet die Ansage der Wirtschaftslobby an die Lohnabhängigen: Tut uns leid, aber der technologische Fortschritt erfordert es nun mal, eure grundlegenden Schutzrechte wieder einzustampfen. Wenn ihr nicht stets auf Abruf bereitsteht, gehen wir alle pleite und ihr verliert eure Jobs, so lautet die ungeschminkte Drohung.
Das erinnert stark an die Kämpfe im 19. Jahrhundert für eine Abschaffung der Kinderarbeit. Schon damals argumentierten die Kapitalisten ähnlich: Ohne Kinderarbeit gehen wir alle pleite und ihr verhungert. Auch Merkels Floskel "alternativlos" lässt grüßen.
Langer Kampf um den Achtstundentag
Der Kampf um den Achtstundentag geht bis in die 1830er Jahre zurück. Zuerst trat die Gewerkschaftsbewegung in Großbritannien dafür ein und forderte zudem das Verbot der Kinderarbeit. Der Widerstand schwappte bald auf andere Länder über. Große Streiks Mitte des 19. Jahrhunderts führten in Neuseeland und Australien zu begrenzten Erfolgen.
In Deutschland schrieb die SPD die Forderung 1869 in ihr "Eisenacher Programm". Sie berief sich dabei sogar noch auf Karl Marx und Friedrich Engels. Im Reichstag jedoch plädierte sie bereits – opportunistisch wie man die SPD auch heute kennt – dann doch nur für einen Zehn-Stunden-Arbeitstag. Eine weitgehende Arbeitszeitbegrenzung auf acht Stunden täglich wurde in Deutschland erst nach dem Sturz des Kaiserreichs im Jahr 1918 Realität.
Heute propagiert die SPD bekanntlich den "Burgfrieden" zwischen Kapital und Arbeit. Sozialpartnerschaft heißt ihre Floskel, angelehnt an das in den 1950er Jahren konzipierte Versprechen von "sozialer Marktwirtschaft". Dieses entpuppt sich gerade als Trugschluss: Wo Rechte nicht erkämpft werden, gehen sie verloren.
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