Meinung

Meinungsfreiheit in Russland und im Westen – ein Vergleich, der sich lohnt

Nach westlicher Darstellung gibt es in Russland keine Meinungs- und Redefreiheit. Während etwa in Deutschland jeder sagen kann, was er will, muss man in Russland mit Gefängnis oder Schlimmerem rechnen, wenn man etwas Falsches sagt. Zeit, mit diesem Märchen aufzuräumen.
Meinungsfreiheit in Russland und im Westen – ein Vergleich, der sich lohntQuelle: www.globallookpress.com © IMAGO/Eibner-Pressefoto/Jadranko

Von Tom J. Wellbrock

Schauen wir zunächst nach Deutschland seit Corona und widmen uns dann einem grundsätzlichen Vergleich mit der Situation in Russland. Im angeblichen Land von Demokratie und Meinungsfreiheit liegt einiges im Argen.

Meinungsfreiheit und Corona

Spätestens seit Corona (aber auch schon davor) hat man von der Meinungsfreiheit in Deutschland ein grausiges Bild erhalten, wenn man einmal etwas gesagt hat, das der vorherrschenden Meinung widerspricht. Man denke an die Maßnahmen, die während der Corona-Episode verhängt wurden. Wer diese kritisch betrachtete oder hinterfragte, war schnell in einer unangenehmen Ecke, und die Konsequenzen reichten von Ausgrenzung bis zum Entzug von Bankkonten oder der beruflichen Existenz.

Wer im Schwarm mitschwamm, konnte sich entspannt zurücklehnen – oder auch nicht, denn die Befolgung sämtlicher politisch motivierter Maßnahmen war mit erheblichen Einschränkungen der Lebensqualität verbunden. Dennoch wurde selbst das als Freiheit empfunden, sogar wenn die eigenen Kinder daran Schaden nahmen, und das taten sie in unzähligen Fällen. Das Interessante und Bedrückende daran ist die Tatsache, dass für all das Leid, das damals durch die politisch Verantwortlichen erzeugt wurde, von Anfang an diejenigen verantwortlich gemacht wurden, die sich eben nicht einfach den Vorgaben beugten. Sie wurden als egoistisch und verantwortungslos bezeichnet; erst ihr Verhalten habe zu diesen Maßnahmen geführt, wären sie vernünftiger gewesen, wäre alles halb so wild gewesen.

Noch bedrückender wird es, wenn man sich vor Augen hält, dass die Zuschreibung der Schuld für die Tragödien bis heute an die erfolgt, die diesem Wahnsinn kritisch gegenüberstanden. Psychologisch ist das zwar nachvollziehbar, denn eine andere Herangehensweise würde bedeuten, das eigene Verhalten von damals kritisch auf den Prüfstand stellen zu müssen. Dazu ist kaum jemand bereit, weder in der Politik noch in der Wissenschaft noch in den Medien oder an den Stammtischen (letztere gab es damals ja gar nicht mehr).

Was auf der einen Seite psychologisch nachvollziehbar erscheint, spricht andererseits für eine psychische Auffälligkeit, die zwischen pathologischem und narzisstischem Verhalten eingeordnet werden kann. Im Schwarm mitzuschwimmen, erweist sich also im Zusammenhang mit der Corona-Episode als alles andere als gesund oder der Meinungsfreiheit förderlich.

Deutschland: Frei von Meinung

Beginnend mit der Corona-Episode zeichnete sich in Deutschland eine Entwicklung hin zu der einen, wahren Meinung ab. Es war Lothar Wieler vom Robert Koch-Institut (RKI), der damals ganz unverhohlen sagte, die Vorgaben dürften nicht hinterfragt werden. Spätestens nach dieser verheerenden Vorstellung von Demokratie hätte ein Aufschrei durch Bevölkerung und Medien gehen müssen. Doch die zutiefst undemokratische Entwicklung war bereits zu weit fortgeschritten, die meisten nahmen Wielers Aussage einfach hin oder teilten sie ausdrücklich.

Unterm Strich litten auch jene, die im Strom mitschwammen, unter der faktisch abgeschafften Meinungsfreiheit, doch in den meisten der Fälle bemerkten sie die Falle gar nicht, in der sie saßen. Im Gegensatz zu den Kritikern, die beschimpft, beleidigt ausgegrenzt und mit zum Teil die Existenz bedrohenden und/oder zerstörenden Maßnahmen drangsaliert wurden. Spätestens seit dem Ausbruch der Corona-Episode ist die Meinungsfreiheit in Deutschland Geschichte, ein theoretisches Modell, das gelobt und als gelebt bezeichnet wurde, die Wirklichkeit aber verlassen hat. Deutschland klammert sich an ein "totes Pferd" in dem Irrglauben, darauf selbstbewusst durchs Land zu reiten.

Fremde Mächte und Nawalny

Verlassen wir den Ausflug über das Ende der Meinungsfreiheit in Deutschland und widmen uns der allgemeinen Lage in Russland. Alexei Anatoljewitsch Nawalny eignet sich sehr gut, um die Problematik aus russischer Sicht zu beschreiben.

In Deutschland wurde und wird Nawalny als großer russischer Oppositioneller gefeiert, der es wagte, sich gegen ein autokratisches System zu stellen und der der bessere Präsident Russlands gewesen wäre. Die Erzählung hält sich hartnäckig und wird systematisch vom Westen geschürt. Nun ist Nawalny tot und lebt seinen Heldenstatus in der Figur seiner geschiedenen Frau weiter, die als Witwe bezeichnet wird.

Man muss es deutlich und ohne Umwege formulieren: Nawalny war eine Figur des Westens, der USA, dem es nicht um die Meinungsfreiheit ging, sondern um einen Regimewechsel in Russland. Nawalnys "Anti-Korruptionsstiftung" war ein Treppenwitz, denn sie wurde aus Quellen finanziert, die nicht transparent waren, und wenn sich Gelder zurückverfolgen ließen, so führte der Weg fast immer in den Westen. Immer mit dabei: der National Endowment for Democracy (NED), der bei allen Regimewechseln und Putschen der Welt seine Finger und Banknoten im Spiel hatte und hat. Der Mitbegründer und ehemalige Vorsitzende des NED, Allen Weinstein, brachte es einmal auf den Punkt, als er sagte, der NED mache das, was …

"… vor 25 Jahren die CIA verdeckt getan hat."

Es lohnt sich, den (oben verlinkten) Artikel beim Anti-Spiegel über Nawalny und seine Verbindungen zum Westen zu lesen. Nach der Lektüre dürfte sich das Bild über Nawalny beim neutralen Leser deutlich verändern.

Aber um Nawalny soll es hier nicht gehen, sondern um etwas Grundsätzliches, das mit der freien Meinungsäußerung im engen Zusammenhang steht. Man stelle sich nur einmal vor, ein deutscher Blogger, Aktivist oder Politiker würde sich nicht nur kritisch gegenüber der Bundesregierung äußern (zu Beginn dieses Textes wurde schon herausgearbeitet, dass derlei Kritik heute kaum noch möglich ist, ohne massiv sanktioniert zu werden), sondern darüber hinaus große Summen aus Moskau für seine Arbeit erhalten.

Wäre das möglich? Die Frage ist rhetorischer Natur, natürlich würde das unverzüglich unterbunden werden. Jener Kritiker, ausgestattet mit finanziellen Mitteln durch den Kreml, hätte nicht die geringste Chance, in Deutschland einen Fuß auf den Boden zu bekommen, er würde verfolgt, eingesperrt, seines Geldes beraubt und/oder Schlimmeres.

Der Vorwurf würde lauten, dass dieser fiktive Kritiker den gesellschaftlichen Frieden gefährden würde, neuerdings auch gern genommen ist die "Delegitimierung des Staates", mit der man sich auch ohne Geld aus Moskau schnell konfrontiert sieht.

Doch genau das macht der Westen in Russland immerzu, 365 Tage im Jahr: Er unterstützt und finanziert Kritiker, die er selbst hervorgebracht hat und deren einziger Job darin besteht, Russland im Inneren zu schwächen und nach außen als autokratisches System dastehen zu lassen, das die freie Meinung unterdrückt.

Meinungsfreiheit in Russland

Jeder Russe, der etwas zu kritisieren hat (und davon gibt es auch in Russland eine ganze Menge) kann das tun, ohne Angst zu haben. Vorausgesetzt, es handelt sich um russische Themen und russische Interessen. Wenn etwa ein Gebäude abgerissen werden soll, das für die Russen der Gegend eine große Bedeutung hat, wird der Abriss nicht ohne Weiteres durchgeführt werden können, wenn Russen sich dagegen auflehnen. Im schlimmsten Fall erfolgt der Abriss am Ende doch, aber das muss nicht sein, es kann auch anders ausgehen.

Die Menschen, die sich aber für das vom Abriss gefährdete Gebäude einsetzen, haben eines ganz sicher nicht zu befürchten: Gefängnis oder Kontensperrungen, Jobverlust oder gesellschaftliche Ächtung. Es ist ein Irrglaube, dass jede kritische Meinung in Russland hart bestraft oder von vornherein unterdrückt wird. Ganz klar unerwünscht sind aber Kritiker, denen es nicht um Verbesserungen im Land geht, sondern die offenkundig und belegbar vom Westen gesteuert und finanziert sind, um das Land zu schwächen und die Menschen gegeneinander aufzubringen.

Auch in der Duma, dem russischen Parlament, geht es oft hoch her. Es ist nämlich ein weiterer Irrglaube, von einer reinen "Putin-Diktatur" auszugehen. Das lässt sich beispielsweise am Ukraine-Krieg festmachen. Der weitverbreitete Fehler in Deutschland besteht darin, davon auszugehen, dass Putin allein im Februar 2022 entschieden habe, in die Ukraine einzumarschieren. Die Sachlage verhält sich jedoch genau umgekehrt. Denn auch wenn der Westen es ausblendet und leugnet: In Russland war schon im Jahr 2014, nach dem Putsch, klar, dass Kiew die Ostukraine massiv angreift. Zwar räumen selbst die Vereinten Nationen (UN) ein, dass durch Angriffe auf die Ostukraine ca. 13.000 Menschen getötet wurden (im Westen wird diese Zahl immer wieder relativiert oder als Folge russischer Angriffe umgedeutet), doch bis Russland eingriff, sollte es bekanntlich noch bis Februar 2022 dauern.

Das hing mit der Politik Putins zusammen, der über Jahre auf eine diplomatische Lösung hoffte und hinarbeitete. In der Duma stieß diese Haltung regelmäßig auf Kritik, denn es gab eine recht große Gruppe Abgeordneter, die schon früher ein Eingreifen in der Ostukraine gefordert hatten. Im Nachhinein betrachtet spielte Putin sogar ein für ihn persönlich gefährliches Spiel, denn es hätte auch ganz anders laufen können: Hätte er sich dem Druck der Gegenfraktion womöglich beugen müssen, hätte das seine Position erheblich geschwächt. Wäre es so gekommen, darf man ernsthafte Zweifel daran haben, ob er heute noch Präsident wäre. Der Westen würde es niemals zugeben, aber er kann sich freuen, dass es nicht so kam. Putin ist besonnen und handelt überlegt, anders als es im Westen propagiert wird. Hieße der heutige Präsident Russlands etwa Dmitri Anatoljewitsch Medwedew, befänden wir uns vermutlich an einem anderen Punkt der Eskalation.

Das Märchen von Demokratie und Meinungsfreiheit

In Deutschland wird weiterhin an der Erzählung festgehalten, dass es sich um ein demokratisches System handelt, in dem jeder sagen kann, was er wolle. Wie bereits geschildert, sieht die Praxis gänzlich anders aus, was sich auch daran ablesen lässt, dass eine deutliche Mehrheit der Deutschen gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine ist. Man könnte einwenden, dass diese Mehrheit der Deutschen aber doch ihre Meinung frei äußern kann, die geopolitischen Entscheidungen müssten nun mal auf einer anderen Ebene getroffen werden.

Doch dem ist ja bekanntlich nicht so. Wer sich kritisch zu den Waffenlieferungen äußert, wird in Sekundenschnelle diffamiert, angegriffen, ausgegrenzt, beleidigt, als "Putin-Versteher" beschimpft und gilt neuerdings auch schon mal als jemand, der zur "Delegitimierung des Staates" beiträgt.

Die "große Leistung" Deutschlands ist schon lange nicht mehr die in hellem Licht erstrahlende Meinungsfreiheit, sondern der Glaube weiter Teile der Bevölkerung, dass es sie noch gibt.

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