Betretenes Schweigen der Ganoven – Warum der Westen russische Beweise zum Crocus-Anschlag ignoriert
Von Wladislaw Sankin
Noch vor dem Terroranschlag auf die Crocus City Hall (CCH) am 22. März haben die USA sich selbst und der Ukraine mit der Terrorwarnung vom 7. März ein "Alibi" gegeben. Nach dem Anschlag teilten Quellen in den US-Behörden mit, dass Russland von den USA sogar genauere Informationen über die geplante Attacke auf die CCH erhalten habe – Moskau habe diese aber ignoriert. So wurde der Verdacht mit einem Wisch geschickt in eine ganz andere Richtung umgelenkt. Moskau dementierte umgehend die angeblichen US-Hinweise und nannte sie einen "Einwurf der Geheimdienste".
Zu den Verantwortlichen des Terrors hat sich die USA auch sehr schnell geäußert. Eine ominöse Veröffentlichung in den sozialen Medien sollte als Beweis genügen, dass hinter dem Anschlag ausschließlich ein afghanischer Ableger der Terrororganisation IS stehen soll. So wurde die einzig mögliche Auslegung der Ereignisse für die ganze westliche Welt von den USA verordnet und konsequent durchgesetzt.
Seitdem weicht kein einziges Medium im Westen vom Handbuch des Washingtoner "Zentralkomitees" ab – die Vertikale der verbindlichen Verordnungen aus der Hauptstadt der "freien Welt" erreichte mit der Crocus-Tragödie ihre Höchstform. Fortan galt der russischen Seite im Rahmen ihrer Suche nach einer ukrainisch-westlichen Spur entweder Schweigen oder nur noch Verächtlichmachung.
Als am Sonntag und Montag in russischen Medien Meldungen über weitere Beweise für die Verwicklung der Ukraine auftauchten, war es schon mehr als eine Woche lang still im deutsch-westlichen Blätterwald. Das Thema war tot. Die russischen Ermittlungsbehörden haben sich aber um Glaubwürdigkeit bemüht und alle vier mutmaßlichen Täter bei einem auf Video aufgezeichneten Verhör aus nächster Nähe gezeigt.
Im Vergleich zu ihrem bislang letzten Auftritt vor Kameras am 24. März sahen sie gut erholt aus und ihre Gesichter hatten sich nach den damaligen Misshandlungen geglättet. Es war sogar zu sehen, dass das abgeschnitten geglaubte Ohr bei einem der Verdächtigen allen dramatischen Behauptungen zum Trotz doch an Ort und Stelle geblieben war – zumindest ein Großteil davon.
Wäre das verheilte Ohr nicht Anlass zur Freude darüber, dass es den dringend Terrorverdächtigen in russischer Haft doch nicht ganz so schlecht geht? Die westlichen Medien waren zuvor nämlich voll von Folter-Vorwürfen gegen Russland. Aber nein, es gilt das Gegenteil. Je besser die Terroristen aussehen, desto wahrscheinlicher wird es, dass ihre Aussagen ignoriert werden. Denn dann wäre es schwer möglich zu behaupten, ihre Geständnisse würden aus ihnen rausgeprügelt.
Ein Paradebeispiel für die westliche Berichterstattung zum Crocus-Terror lieferten am Montag Politico und dieFrankfurter Rundschau (FR). Oder besser gesagt dafür, dass diese Berichterstattung fast gänzlich ausgeblieben ist. Die beiden Veröffentlichungen waren fast die einzigen zu diesem Thema, alle anderen Medien haben es bevorzugt, zum neuesten Ermittlungsstand bei der Suche nach den Drahtziehern des Verbrechens ganz zu schweigen.
Und beide Artikel mischten dem eigentlichen Thema andere Nebenaspekte bei, um die Ermittlung in einen kausalen Zusammenhang mit anderen Prozessen oder Ereignissen zu stellen. Dieses gut erkennbare Ablenkungsmanöver war schon in den jeweiligen Schlagzeilen zu erkennen:
"Russland schiebt die Schuld für den Terroranschlag auf die Ukraine und prahlt mit der verstärkten Rekrutierung" (Politico)
"Russlands Staats-TV präsentiert neue Erzählung zum Moskauer Anschlag: Medwedew wütet gegen Westen" (FR)
Beiden Medien geht es hauptsächlich darum, den durch neue Aussagen erhärteten Verdacht gegen die Ukraine zu verschleiern.
Die Verschleierung von Politico bestand vor allem in einer extrem kurzen und tendenziösen Wiedergabe der eigentlichen Inhalte. Es wurde manipuliert und ausgelassen. Die Flucht der Terroristen in die Ukraine sei unwahrscheinlich, weil das Grenzgebiet stark bombardiert und vermint sei. Das ist schlicht falsch. Die Grenze zwischen den Gebieten Brjansk in Russland und Sumy in der Ukraine gilt als vergleichsweise ruhig. Außerdem teilten die russischen Ermittlungsbehörden mit, dass die Ukraine bei zwei grenznahen Orten in der Region Entminungsarbeiten durchgeführt hätten, mit dem mutmaßlichen Ziel, zwei Fluchtkorridore für die Täter freizuräumen. Auch ist diese Region stark bewaldet und ein Grenzübertritt scheint deshalb trotz verstärkter Kontrolle nicht unwahrscheinlich zu sein.
Doch inhaltliche Auseinandersetzungen mit dem Thema darf man von kleinen propagandistischen Texten nicht erwarten. Seinen Artikel schließt Politico mit der Aussage eines extrem glaubwürdigen Akteurs in dieser Sache ab – des Sprechers des ukrainischen militärischen Geheimdienstes GUR, Andrei Jussow. Oder besser gesagt: besiegelt die Berichterstattung. Schaut bitte selbst, lieber Leser. Russland nutze den Anschlag, um Hass auf die Ukrainer zu verbreiten und die Truppenstärke zu erhöhen, sagt Jussow. Punkt. Aus. Ende. So befiehlt es die Kommunikationsstrategie des gemeinsamen US-amerikanisch-ukrainischen Krisenmanagements.
Auch die Tagesschau bedient sich des gleichen Tricks und holt sich das "Alibi" direkt bei den Hauptverdächtigen – bei dem Leiter des GUR, Kirill Budanow. Und er sagt genau das Gleiche: Dass Russland die Ukraine "ohne irgendwelche Beweise" mit dem Terroranschlag auf die Crocus City Hall bei Moskau in Verbindung bringe, sei eine "absolut absurde Anschuldigung", bei der es darum gehe, den Hass auf die Ukraine im eigenen Land noch weiter zu festigen.
Als neue Beweise im Laufe des Tages in Russland präsentiert werden, ignoriert die Tagesschau sie nun gänzlich. Für sie ist die Sache erledigt: Wir haben unseren Budanow! Damit hat der deutsche "öffentlich-rechtliche" Sender aufs Neue bewiesen, dass er sich viel eher als offizielles Presseorgan der ukrainischen Regierung begreift als dem deutschem Publikum verpflichtet.
Vor dieser unerfreulichen Kulisse erschien allerdings ein relativ langer FR-Artikel fast wie ein Lichtblick. Doch auch da wurde versucht, mit Versteckspielen die Sachverhalte zu verschleiern. Statt Direktzitaten wird ständig auf einen Artikel der Ukrainischen Prawda verwiesen, und es fehlen jedwede Videoausschnitte oder sonstige Verlinkungen zu russischen Quellen. Die russischen Informationen werden als extrem unglaubwürdig dargestellt, die Argumente gegen die ukrainische Spur und für IS dagegen in ganzer Breite und kritiklos präsentiert.
Eines dieser Argumente lautet:
"Westliche Experten halten das Bekennerschreiben für authentisch."
Natürlich kommt es hier darauf an, um welche Experte es sich handelt. Der Schweizer Geheimdienst- und Terrorismusexperte Jacques Baud belegt anhand von nur zwei Indizien, dass der Crocus-Anschlag kein islamistischer Terror war. So spreche der IS niemals von "Christen", wie es in dem angeblichen Bekenntnisschreiben der Fall war, sondern von "Ungläubigen". Außerdem seien die echten Terroristen immer Selbstmordattentäter und keine Auftragskiller wie die vier festgenommenen Tadschiken, die für ihre blutige Tat eine Belohnung erhalten haben sollen – in ihrer ganzen Breite ist seine Argumentation in diesem Videovortrag zu sehen.
Die Berichterstattung über die Ermittlung des Crocus-Massakers zeigt eindrucksvoll, dass die Medien im Westen – egal ob staatlich, privat oder öffentlich – einer einzigen Handlungsanweisung folgen: der aus Washington. Für den Westen ist diese Einförmigkeit kein gutes Zeichen. Sie zeigt, mit welch großer Nervosität er auf die Aufklärung des Falls schaut. Fliegen die Ukraine und der Westen als Drahtzieher des Terrors auf, wird das für ihn schwer kalkulierbare juristische, politische und diplomatische Folgen haben. Das Schweigen über den Terror in der Crocus City Hall ist das betretene Schweigen eines erwischten Ganoven.
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