Gedanken des Balkonisten: Ja gibt's denn sowas – Fake- und Null-Wahl bei höchster Wahlbeteiligung?
Eine Lesermeinung von Mikhail Balzer
Während am trüben Spätnachmittag unser Balkonist lesend auf seinem Balkonsessel weilte, spielte Murr III. leidenschaftlich mit einem ballförmigen Knäuel alten Zeitungspapiers, schob es nach vorne, sprang und jagte hinterher, um es wieder zu schnappen. Wenngleich schon in die Jahre gekommen, so liebte er dennoch, mangels Mäusen und ähnlichen Getiers, dieses Spiel.
Plötzlich jedoch ließ der Kater ein frustriertes "Miau-ohhh" vernehmen, welches den Balkonisten aus seiner offensichtlich unergiebigen Zeitungslektüre riss, um den Blick zu wenden. Anscheinend hatte der Kater durch eine unachtsame Bewegung jenes Spielzeug tief in die Nische zwischen Regal und aufgestapelten Büchern manövriert, dabei auch selbst nicht sicher, wo genau es denn sei. Zudem wusste er sehr wohl, dass unser Balkonist keinen Spaß versteht, wenn jemand mit seinen Pfoten in der Ecke wühlt und dabei womöglich einige Bücher beschädigt. Nun von den Blicken seines menschlichen Mitbewohners ertappt, hatte er bereits das Interesse am Spiel verloren und geziemte sich lieber schwanzeinziehend als "beleidigte Leberwurst".
"Murr, du benimmst dich ja so, wie unsere Politprominenz und die verbissenen Nachrichtensprecher in Radio und Fernsehen, wenn sie das Ergebnis der Präsidentschaftswahl in Russland kommentieren!", gab Michael zum Besten. "Diese gerieren sich schließlich ganz so, wie schlechte Verlierer an der Börse oder im Casino, deren völlig irrationale Spekulation erwartungsgemäß nicht aufgegangen war." Woraufhin die Stimmung des Katers noch verdrießlicher wurde, denn fadenscheinige Vergleiche mit solcherlei Politikern liebte er überhaupt nicht.
Diese nur für Eingeweihte erkennbare Reaktion regte unseren Balkonisten an, sodass er sich richtig in Rage redete und nunmehr mit seinen Überlegungen fortfuhr: Hier werden unreflektiert Begriffe wie "Fake-Wahl", "Scheinwahl" oder Pseudowahl in den Raum gestellt, um sie sodann frech und dreist unter das offenbar für intellektuell minderbemittelt gehaltene Publikum zu streuen. Als vermeintliche Belege dienen tendenziöse Aussagen diverser "Experten", so beispielsweise, dass "die Wahlforschung anhand von überzufälligen Unregelmäßigkeiten Rückschlüsse über Fälschungen ziehen" könne – dies ist so ein Satz im Sinne einer allgemeinen Feststellung (wie beispielsweise "kochendes Wasser kann dampfen").
Nachfolgend wird dann der Wortlaut so hin und her manövriert, wie jener Spielball der Katze, bis er sich in der gewünschten Interpretationsnische der Journaille verfängt. Sprich: wenig später steht geschrieben, besagte Expertin sei sich sicher, dass es auch diesmal zu Wahlfälschungen gekommen sei. Dies sähen auch nicht näher charakterisierte "Wahlbeobachter" so. Womit ganz offensichtlich weitere "Experten" gemeint sind, welche die Wahl "aus sicherer Entfernung", das heißt vom heimischen Stuhl, quasi telepathisch, observiert haben müssen: So etwas nennen wir objektive und unerschütterliche Berichterstattung!
Doch wir haben die neuen journalistischen Methoden vergessen. Obligat-objektive Berichterstattung war gestern, heute dominiert Kommentierung und betreutes Denken, dargeboten in orchestrierter Monophonie einer modernen Einton-Musik (obschon 1964 von einem amerikanischen Komponisten entwickelt, hat diese einige Jahrzehnte benötigt, um in anderem Kontext zur vollen Geltung zu gelangen!). Selbstverständlich blasen auch die politischen Repräsentanten eines immer bunter und diverser werdenden Landes in selbiges Einton-Horn, nehmen zerknirscht noch nicht einmal das Wahlergebnis an, sondern möchten dieses, ganz in Merkelscher Manier wie bei einer Ministerpräsidentenwahl mal eben rückgängig machen.
Dass beleidigte Leberwürste noch nicht einmal formal und distanziert gratulieren können, aber stattdessen unabhängige Länder maßregeln, lernen wir ebenso hinzu, wie die Tatsache, dass sich der "Leberwursthorizont" zwischenzeitlich auf den Großteil Europas ausgebreitet hat (von England bis ins Baltikum!). Noch besser macht es da nur die "feministisch-regenbogenbunt-naive Außenpolitik" auf einem bekannten sozialen Netzwerk: Hier wird in neuerlicher 360-Grad-Manier der absurde Neologismus einer "Wahl ohne Wahl" repetiert. Aufgrund der hervorragenden "vom Völkerrecht kommenden" Kompetenz benötigt es noch nicht einmal eine nachvollziehbare Begründung dieser Null-Aussage (es gilt: "Wahl ohne Wahl" ist analog der Rechnung A minus A = 0, woraus folgt, dass es sich offensichtlich um eine Null-Aussage handelt).
Und gerade darin sehen wir wieder die wahrhafte Illumination einer 360-Grad-Wenderin. Als ähnliche wissenschaftliche Höchstleistung ist anzusehen, dass der leidensbereite Leser derartiger Mainstream-Nachrichten belehrt wird, dass eine besonders hohe Wahlbeteiligung kein Zeichen einer demokratischen Wahl sei, sondern ganz im Gegenteil, als äußerst suspekt zu bewerten. Da wundert man sich doch, wieso im besten und demokratischsten D*Land aller Zeiten ständig über eine zu geringe Wahlbeteiligung und gar über eine "Wahlmüdigkeit" der Bevölkerung gemäkelt wird!
Die Wahl jedoch in einem riesigen Land mit sage und schreibe elf Zeitzonen sowie einem hohen Anteil von Wählern, die vom Ausland aus wählen wollen, dürfe nach der objektiven und validen Einschätzung von Qualitätsjournalisten nicht mehrere Tage andauern: Das wäre denn zu viel des Guten und öffne Tür und Tor für Wahlmanipulationen – der Fachmann staunt und der Laie wundert sich über solcherlei Logik! Auch seien elektronische Wahlsysteme bekannt für ihre Manipulierbarkeit – hoppla, war da nicht etwas?! Nein, selbstverständlich gilt die Manipulierbarkeit dieser Systeme nur für Russland oder China, nicht aber für die USA oder andere höchst demokratische Länder, und schon gar nicht für "elektronisch betreutes Wählen" in Form des deutschen Wahl-O-Mat!
Noch interessanter ist die Bemängelung der hohen Quote russischer Bürger, welche aus dem Ausland gewählt haben (diese Argumentation kennen wir doch schon von den türkischen Präsidentschaftswahlen und sie ist, gelinde gesagt, schon ein wenig abgenutzt und wird durch stereotype Wiederholung nicht besser!). Eine hohe Wahlbeteiligung vom Ausland aus wäre aber in anderer Hinsicht erwähnenswert, nämlich unter dem Aspekt, dass die jeweiligen Botschaftsgebäude gerade dann eines besonderen Schutzes bedürfen (man denke nur an das Vorkommnis in der Russischen Botschaft in Berlin).
Letztlich haben mehr als 372.000 Russen vom Ausland aus an den Präsidentschaftswahlen teilgenommen – sucht man Vergleichszahlen für Deutschland, so sucht man vergebens, denn eine genaue Erfassung ist hier Fehlanzeige! Von den etwa drei bis vier Millionen deutschen Staatsbürgern im Ausland hatten sich 2017 zur Bundestagswahl lediglich 112.989 in die Wählerverzeichnisse eintragen lassen; wie viele von diesem ohnehin schon geringen Prozentsatz überhaupt gewählt haben, ist jedoch unbekannt. So es denn noch kritisch denkende Konsumenten solcher Qualitätsmedien geben mag (da ist sich der Balkonist nicht wirklich sicher), so sollten diese eigentlich doch messerscharf folgern, dass es zweifellos einer bedeutenden Motivation und Mühe bedarf, um als Russe vom Ausland aus zu wählen: wozu nicht nur die Anreise zu einer oft weit entfernten Botschaft und lange Wartezeiten gehören.
Auch kann sich dieser Wähler nicht einmal sicher sein, dass er nicht von Demonstranten und Auslands-Oppositionellen öffentlich ausgepfiffen, von Reportern und anderen Gutmenschen manipulativ ausgefragt oder bedrängt wird. (Aber dies alles ist selbstredend nicht gleichbedeutend mit dem Versuch der Beeinflussung von Wählerstimmen.) Aber weit gefehlt: Eben solche Motivation und eine hierdurch hohe Wahlbeteiligung aus dem Ausland sollen in der Lesart mancher Medien gerade Kennzeichen einer Scheinwahl sein! Wer nun aber kritisch weiterdenkt, solcherlei Journalismus sei doch schon hahnebüchene Sprachkosmetik mitsamt Verdrehung von Tatsachen und pseudologischen Schlussfolgerungen, der dürfte alsbald vom Blockwart und Gesinnungsaufseher an die Sprachpolizei verwiesen werden und gegebenenfalls die ganze Härte des Orwellschen Wahrheitsministeriums zu spüren bekommen. Denn zu guter Letzt gilt, dass eine freiheitliche Demokratie wehrhaft ausgestaltet sein sollte...
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