Meinung

Traumtänzer unter sich: Hofreiter und Röttgen zur Taurus-Debatte

Schwach in der Analyse und irre in den Forderungen: So lässt sich ein Namensbeitrag von Norbert Röttgen und Anton Hofreiter in der "FAZ" zusammenfassen. Beide sind sich der Konsequenzen ihrer Forderungen nicht bewusst. Der Beitrag ist ein erschreckendes Zeugnis politischer Naivität.
Traumtänzer unter sich: Hofreiter und Röttgen zur Taurus-DebatteQuelle: www.globallookpress.com © MAGO/Christoph Hardt

Von Gert Ewen Ungar

In der FAZ traumtänzeln zwei deutsche Politiker durch eine Fantasiewelt. In ihrer Fantasie ist Deutschland ein Land mit hohem politischen Gewicht, verfügt über wirtschaftliche und politische Macht und ein hohes militärisches Potenzial. Der Traum ist freilich nicht real, die Träumer dagegen schon. Sie meinen es ernst. Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen) und Norbert Röttgen (CDU) haben sich über die Parteigrenzen hinweg zusammengetan und plädieren in einem Namensbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erneut für die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine. Die Bundesbürger sind mehrheitlich dagegen, aber das ist den beiden Berufspolitikern natürlich egal. Gleichzeitig werfen sie Bundeskanzler Scholz vor, er würde mit seinem Zögern Putin in die Hände spielen. 

Putin, so glaubt die neue Querfront im Bundestag, ist nur durch gewaltsame Maßnahmen gefügig zu machen. Man müsse aus einer Position der Stärke mit ihm sprechen, ihn unterwerfen. Die Autoren glauben, Deutschland verfüge dieses Mal ganz sicher über das Potenzial, das auch zu tun. Als man sich in Deutschland das letzte Mal dessen ganz sicher war und entsprechend gehandelt hat, ging es gründlich schief – zum Glück für die Welt.

Auch dieses Mal sieht es nüchtern betrachtet nicht danach aus, als ob Deutschland in der Lage wäre, aus einer Position der Stärke heraus Russland irgendwelche Vorgaben zu machen. Aber nüchternes Denken ist nicht die Sache von Hofreiter und Röttgen. Wahnsinn ist einer Definition nach, immer wieder dasselbe zu tun und andere Ergebnisse zu erhoffen. Hier manifestiert sich in der FAZ politischer Wahnsinn. Man kann es nicht anders sagen. 

Sowohl Hofreiter als auch Röttgen legen eine gefährliche politische Naivität an den Tag. Sie glauben, wenn die Haltung stimmt und der Wille da ist, dann bekommt man das Ding schon gewuppt. Mit anderen Worten, es hapert schon an der Analyse der gegebenen Fakten. 

"Scholz' Rhetorik macht uns schwächer, als wir sind. Seine Weigerung, Leopard-2-Panzer an die Ukraine zu liefern, gab er erst auf, als die USA zusagten, selbst Abrams Panzer zu liefern. Die Botschaft an Putin: Ohne die USA geht es in Deutschland nicht. Dieser katastrophale Defätismus kam auf der letzten USA-Reise des Kanzlers zu einem verbalen Höhepunkt."

Die Ukraine kann auch ohne die USA und allein mit deutscher Unterstützer dem deutschen Wunsch entsprechen und einen Sieg über Russland erringen, glauben die beiden Fantasten tatsächlich. Dabei haben sie das Wesen des Konflikts noch nicht einmal verstanden. Es handelt sich um einen Stellvertreterkrieg und der Westen ist dabei, ihn zu verlieren. Er ist kein Freiheitskampf der Ukraine und er hat auch mit Kampf für Demokratie nichts zu tun, wie Hofreiter und Röttgen behaupten. Es geht um westlichen Machtanspruch, die Ausdehnung der NATO und russische Sicherheitsinteressen.

Russland hat nicht die Absicht andere Länder zu überfallen. Hofreiter und Röttgen verbreiten Fake und Propaganda. Das Schlimme ist, dass sie den Unsinn, den sie verbreiten, vermutlich sogar selbst glauben. Deutschland verfügt allein weder wirtschaftlich noch militärisch über das Potenzial, Russland zu irgendetwas zu zwingen. Deutschland verfügt lediglich über das Potenzial, den Krieg in die Länge zu ziehen und die Zahl der Opfer vor allem auf ukrainischer Seite in die Höhe zu treiben. 

Scholz werfen sie vor, er habe Atomkrieg gesagt, und Atomkrieg darf man nicht sagen. Das schüre nur grundlos Angst, schreiben die Autoren, die gerade ihrer Leserschaft mit der Behauptung Angst gemacht haben, Russland plane im Fall einer Niederlage der Ukraine in die EU einzufallen. Diese Behauptung ist frei erfunden. Sie entspringt der Fantasie der Kriegstreiber in Deutschland. Sie ist von transatlantischen Think-Tanks platzierte Desinformation, um die Bereitschaft für Krieg in der Bevölkerung zu erhöhen. 

Doch während Putin angeblich danach strebt, die Länder der EU zu überfallen, habe er an einer atomaren Auseinandersetzung kein Interesse, sind sich Röttgen und Hofreiter sicher. Wie der erste Gedanke zum zweiten passt, bleibt das Geheimnis der kriegstreibenden Querfrontler.  

Aus der Sphäre der Realität sind zwei Dinge zu den Träumereien anzumerken: Mit der Lieferung von Taurus hätte Deutschland sein militärisches Potenzial ausgeschöpft. Es wäre der letzte Eskalationsschritt, den Deutschland gehen könnte. Mehr geht nicht, dann ist eigentlich alles auf dem Schlachtfeld, was Deutschland zu bieten hat. Bei Russland geht allerdings noch einiges mehr, und man muss dann noch immer nicht von Atomwaffen sprechen. Röttgen und Hofreiter sollten sich besser über die tatsächlichen militärischen Möglichkeiten der Bundeswehr und der russischen Armee beraten lassen. 

Der viel beschworene NATO-Beistand greift zudem nur für den Fall eines Angriffs. Macht sich Deutschland selbst zur Kriegspartei, wird aus dem NATO-Beistand nichts. Klar abgegrenzte rechtliche Regelungen, wie die Autoren behaupten, gibt es dafür obendrein nicht. Russland hält Deutschland schon längst und aus gutem Grund für Kriegspartei, ohne jedoch daraus bisher die Konsequenz eines Angriffs zu ziehen.

Ob sich Deutschland überhaupt auf die NATO verlassen kann, ist ohnehin fraglich. Es ist definitiv nicht so, dass die USA in voller Solidarität zu Deutschland stehen. Faktisch haben die USA Deutschland den Wirtschaftskrieg erklärt und vermutlich auch Nord Stream gesprengt – man will das im politischen Deutschland nur nicht wahrhaben. 

Wenn man sich etwas ganz fest wünscht, und ganz doll dran glaubt, dann geht es auch in Erfüllung, ist die Maxime dieser beiden politischen Geisterfahrer mit Abgeordnetenstatus und entsprechenden Bezügen.

"Es ist doch unser Europa. Wir müssen es verteidigen und wenn die USA ausfallen, ihre Hilfen notfalls kompensieren. An dem unbedingten Willen, dass wir die Ukraine und damit unsere Werte und Interessen nicht aufgeben, darf nicht der geringste Zweifel entstehen. Wir teilen die Sorge des Kanzlers vor einer Eskalation des Krieges. Doch sein Vorgehen riskiert genau das. Wenn wir die Ukraine jetzt nicht konsequent unterstützen, fühlt sich Putin ermutigt, weitere Länder zu überfallen. Nur wenn klar wird, dass dieser Krieg militärisch nicht gewonnen werden kann, wird Russland zu Verhandlungen bereit sein."

Mehr Distanz zur Realität geht kaum. Es fehlt Deutschland und dem gesamten Westen schlicht an allen Möglichkeiten, die Ukraine weiter so zu unterstützen, dass sie den Krieg nicht verliert. Die Ukraine steht vor ihrer Niederlage, ist jedem Beobachter klar. Hofreiter und Röttgen wollen diese Tatsache nicht zur Kenntnis nehmen. Beide sind geistig längst im Führerbunker angekommen.

Die deutsche Blauäugigkeit hat für die Ukraine schwerwiegende Konsequenzen. Sie bezahlt deutsches Wunschdenken mit der völligen Zerstörung ihrer Infrastruktur und dem Tod einer ganzen Generation von ukrainischen Männern, die als Soldaten im Krieg ihr Leben lassen. 

Wer den Konflikt aufrichtig beenden will, darf nicht auf einen militärischen Sieg setzen. Wer Frieden will, kommt nicht umhin, die Sicherheit in Europa wieder in die Balance zu bringen. Das heißt, erst wenn sich alle Staaten in Europa einschließlich Russland sicher fühlen, herrscht Frieden. Dazu sind russische Sicherheitsinteressen zu berücksichtigen. Wer meint, diese könnte man einfach übergehen und Russland aus einer herbeifantasierten Position der Stärke zu etwas zwingen, hat an Frieden in Europa kein Interesse.

Frieden gibt es nur für alle, oder es gibt ihn eben nicht. Röttgen und Hofreiten entscheiden sich für "es gibt ihn eben nicht". Man sollte daher nicht den Fehler machen, auf sie zu hören. Sie haben sich vor den realen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Gegebenheiten in alter deutscher Manier komplett verbunkert. 

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