Deutschland vor dem drohenden Krieg – ein Trauerspiel
Von Wolfgang Bittner
Seit einigen Monaten muss ich mich vorsehen, nicht depressiv zu werden. Wenn ich in die Zeitungen schaue, Radio höre oder den Fernseher anstelle, überkommt mich ein Gefühl des Ausgeliefertseins an dunkle Mächte, die ich mittlerweile benennen kann. Aber darüber vermag ich nur noch mit wenigen Menschen in meiner Umgebung zu sprechen. Einige meiden mich, halten mich wahrscheinlich für einen Querdenker oder Verschwörungstheoretiker.
Kürzlich hat mir mein Freund G., mit dem ich gelegentlich noch korrespondiere, geschrieben, er habe mein Buch "Ausnahmezustand" gelesen und den Eindruck gewonnen, ich sei in eine "Filterblase" geraten. Er stammt aus einer wohlhabenden Familie, sein Vater war Oberstudienrat, seine Mutter Ärztin und er selbst bereits in jungen Jahren Professor für Mathematik an einer süddeutschen Universität, auch Gastdozent in Japan, Südkorea und den USA. Dass ich die Meinung vertrete, nicht Russland, sondern die USA und ihre Verbündeten seien schuld an den meisten Konflikten in der Welt, insbesondere am Krieg in der Ukraine und dem wirtschaftlichen Niedergang Deutschlands und Westeuropas, vermag er nicht zu verstehen.
G. möchte mir den freundschaftlichen Rat geben, meine politischen Ansichten zu überdenken und mich doch bitte aus den öffentlich-rechtlichen Medien und "seriösen" Zeitungen wie der Frankfurter Allgemeinen, der Welt oder Süddeutschen zu informieren und nicht aus sogenannten alternativen Medien. Wenn ich das "Böse" eher bei den USA sehe als bei Putin, könne er von sich nur sagen, dass er lieber "unter der Bosheit der Amerikaner" leben möchte als unter der der Russen. Und wenn der NATO-Schutzschirm, unter dem sich die Europäer trefflich eingerichtet hätten, löchrig werden sollte, sehe es für Westeuropa gegenüber einem mit Atomwaffen gespickten Land wie Russland nicht rosig aus. Traurig sei, dass man so viel Geld für die "abwehrende Rüstung" ausgeben müsse, aber gut sei, dass Putin immer älter werde und somit das Ende seiner Tyrannei irgendwann in nächster Zeit zum Wohle der Menschheit bevorstehe.
Wie auch andere Bekannte und Freunde ist G. der unbeirrbaren Überzeugung, dass er bestens Bescheid weiß und recht hat. Wir sind uns nur darin einig, dass Kriege schrecklich sind und vermieden werden müssen. Aber bei diesem Punkt beginnt schon wieder der Dissens, denn G. hält "humanitäre Interventionen", wie sie die USA immer wieder durchführen, für legitim und sogar für nötig, um Freiheit und Demokratie zu verteidigen.
Die von G. vertretenen Ansichten kann ich als exemplarisch bezeichnen. Die deutsche Gesellschaft ist durch und durch verhetzt, und sie ist gespalten in diejenigen, die sich den Blick für die Tatsachen erhalten haben, und in die anderen, die weitaus größere Mehrheit, die der jahrelangen Beeinflussung erlegen sind.
Mein Friseur, mit dem ich diskutiert habe, ist der Meinung, dass Deutschland die Atombombe brauche, um sich vor "dem Russen" zu schützen, der demnächst Polen und die baltischen Länder überfallen werde. Als ich ihm entgegenhielt, dass Wladimir Putin 2001 in einer denkwürdigen Rede vor dem Deutschen Bundestag für Kooperation und eine gemeinsame Wirtschaftszone von Wladiwostok bis Lissabon geworben hat, erwiderte er: "Dieser Putin lügt doch, sobald er den Mund aufmacht." Den entstehenden Disput beendete er mit der vollkommen ernst gemeinten Frage: "Warum meinen Sie, die politische Lage besser beurteilen zu können als ich?" Er lese morgens die Zeitung und schaue sich abends die Tagesschau an, hielt er mir vor. Außerdem spreche er jeden Tag mit Kunden, die alle anderer Meinung seien als ich.
Hin und wieder habe ich Vorträge gehalten und öffentlich diskutiert. Zumeist kamen Zuhörer und Diskutanten, die meine Ansichten teilten oder sich zumindest offen hielten. Nach so einer Veranstaltung sagte mir eine Frau mittleren Alters, die sich als Richterin zu erkennen gab: "Alles logisch und gut belegt, was Sie vorgetragen haben, zwar aus einer ungewohnten Perspektive, aber Sie haben mich weitgehend überzeugt." Und dann fügte sie hinzu: "Aber Putin …"
Auch vor den Türen der Universitäten hat die Indoktrination nicht Halt gemacht. So gibt es aus der Zeit, als ich Gastprofessor in Polen war, noch einige Kontakte zu dortigen Kollegen, aber sie sind brüchig geworden. Mein Freund Tomasz, der leider ebenfalls der US-gesteuerten Propaganda gegen Russland und für die Ukraine erlegen ist, schrieb mir: "Ich kann die Leute nicht verstehen, die nach dem russischen Angriff auf die Ukraine das Weggucken vorziehen. Schluss mit dieser Politik, der Tausende unschuldige Menschen zum Opfer fallen. Putin mit seinem Größenwahn hat einen langen und stabilen Frieden in Europa zerstört."
Das glaubt er wirklich und er fuhr fort: "Putin ähnelt für mich Hitler bis aufs Haar." Nicht die Ukraine, die ihren eigenen souveränen Weg gehen wolle, sei schuld an dem Krieg, sondern Putin, für den die Ukraine lediglich eine Vorspeise sei. Hinter dem Rücken der EU und gegen die Interessen Polens habe er Gaspipelines gebaut. Darin zeige sich sein wahres Gesicht, andere Länder wie Hunde an der Leine zu führen und zu unterdrücken.
Wenigstens konnte ich mit meinem deutschen Freund und mit Tomasz ein halbwegs zivilisiertes Gespräch führen, wenn auch nur dadurch, dass ich mich zurückhielt. Der Debattenraum ist immer enger geworden, und die Obrigkeit belässt es nicht mehr bei der bisherigen psychologischen Kriegsführung. Vielmehr nimmt der Druck auf Andersdenkende, ihre Bevormundung und Drangsalierung dramatisch zu. Wer nicht spurt und sich hervortut, muss mit Existenzvernichtung und Schlimmerem rechnen.
Gerade las ich, dass die Innenministerin ein "Demokratiefördergesetz" plant, wonach "Hass und Hetze im Internet" sowie Desinformation, Wissenschaftsleugnung und "Delegitimierung des Staates" stärker als bisher geahndet werden sollen. Der Presse gegenüber erklärte sie: "Eine wache Zivilgesellschaft ist die stärkste Brandmauer gegen Rechtsextremisten. … Für mich kommt es daher weiter darauf an, rechtsextreme Netzwerke zu zerschlagen, ihre Finanzquellen trockenzulegen, ihnen Waffen zu entziehen und Hetzer und Gewalttäter strafrechtlich hart zu verfolgen."
Fragwürdige "Demokratieprojekte" wie die regierungsnahe Stiftung "Zentrum Liberale Moderne" oder das angeblich unabhängige Recherchezentrum "Correctiv" sollen gefördert (und finanziert) werden, während kritischen Internetforen wie den viel frequentierten NachDenkSeiten, die als "Querdenkermedium" diffamiert werden, die Gemeinnützigkeit entzogen wird. "Correctiv", das eine private Gesprächsrunde bespitzelt und in die Nähe der berüchtigten Wannseekonferenz gerückt hat, gelang damit eine vollkommen ausufernde Kampagne "gegen Rechts", womit so ziemlich alles gemeint ist, was politisch nicht genehm ist.
Es sind zwielichtige Projekte und weit auslegbare Begriffe, mit denen die Innenministerin die Demokratie fördern will. Dies könnte es staatlichen Stellen ermöglichen, künftig noch rigoroser, gegen politische Gegner vorzugehen, zum Beispiel Kontensperrungen oder Kündigungen beargwöhnter Mitbürger zu veranlassen (wie vereinzelt bereits geschehen) – ein weiterer Meilenstein auf dem Weg in einen faschistoiden Obrigkeitsstaat, denn allein schon die Unbestimmtheit der Formulierungen öffnet der Willkür Tür und Tor. Aber es gibt kaum Widerspruch, weder bei Politikern noch bei Journalisten, denen es offenbar an grundlegendem demokratischem Bewusstsein mangelt.
Stattdessen wird von den "demokratischen Führungskräften" an die Bürger appelliert, sich aktiv für die Demokratie einzusetzen. Dementsprechend gehen Hunderttausende auf die Straße, um für die Demokratie und gegen die AfD zu demonstrieren, wohlwollend begleitet von Politik und Medien. Kaum jemandem fällt auf, dass es absurd und auch undemokratisch ist, wenn Volksvertreter das Volk zu Demonstrationen gegen eine zugelassene Partei und zur Verteidigung einer Demokratie auffordern, die sie repräsentieren. Hier werden für gesteuerte Aktionen offenbar gutwillige Menschen missbraucht. Grotesk wird das, wenn auf Plakaten zu lesen ist: "Ganz Berlin hasst die AfD", oder "AfD-Wähler = Nazis".
Staatlicherseits soll gegen Hass und Hetze vorgegangen werden, aber Andersdenkende und Oppositionelle dürfen straflos als Lumpenpazifisten oder Putin-Knechte bezeichnet und gegen Russland darf hemmungslos gehetzt werden. Der russische Präsident Wladimir Putin darf als Mörder, Tyrann und Monster beschimpft werden (der kriminelle Joseph Biden darf ihn sogar unwidersprochen einen Hurensohn nennen).
Was sind das für demokratieferne Auswüchse, veranstaltet von einer Führungsriege, die offensichtlich von allen guten Geistern verlassen ist und dazu noch Wasser predigt und für sich Wein beansprucht? Anscheinend fällt die Widersprüchlichkeit einer solchen Politik den für Demokratie demonstrierenden Bürgern überhaupt nicht auf.
Ein peinliches Trauerspiel, das sich der Deutsche Bundestag erlaubt hat, ist ein Beschluss vom 20. Februar 2024 mit dem Titel "Zehn Jahre russischer Krieg gegen die Ukraine – Die Ukraine und Europa entschlossen verteidigen". Darin wird gleich zu Anfang behauptet, der russische Präsident Wladimir Putin führe seit zehn Jahren einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Ukraine. Es handele sich "um den Versuch, die europäische Friedensordnung zu zerstören, Grenzen gewaltsam zu verschieben und Gewalt als Ordnungsprinzip durchzusetzen".
Weiter heißt es: "Im Februar 2014 haben russische Soldaten Angriffe auf die ukrainische Halbinsel Krim gestartet, um sie schließlich zu annektieren. Vor zwei Jahren, am 24. Februar 2022, ging der russische Präsident Putin mit dem Überfall auf die gesamte Ukraine den nächsten, bislang drastischsten Schritt seiner seit Jahren immer aggressiveren Politik gegen das freie und demokratische Europa. Putin führt diesen Krieg für den eigenen Machterhalt und die imperialen Großmachtfantasien seines Regimes. Russland unter Putins Herrschaft ist heute die größte Bedrohung für den Frieden und die Sicherheit in Europa."
Dabei setzt sich der Bundestag mehrheitlich für die Lieferung von "zusätzlich erforderlichen weitreichenden Waffensystemen und Munition" für die Ukraine ein und warnt "in aller Deutlichkeit: Die Ukraine ist das derzeitige Ziel der russischen Aggression – wenn die russische Führung nicht gestoppt wird, wird sie ermutigt, ihre imperiale Politik über die Ukraine hinaus fortzusetzen." Der "Putinsche Imperialismus" sei jahrelang unterschätzt worden, die Unterstützung der Ukraine sei daher "mehr als ein Akt der Solidarität unter Demokratien", sie sei "eine notwendige Investition in unsere Sicherheit und den Frieden in Europa und Deutschland".
In diesem Stil geht es in dem von 382 Abgeordneten der SPD, FDP und von Bündnis 90/Die Grünen beschlossenen Pamphlet weiter, das allerdings von 284 Abgeordneten abgelehnt wurde. Wenn schon die Mehrheit des Parlaments derart undiplomatisch mit Behauptungen und Unterstellungen gegen Russland vorgeht – eine absolute Merkwürdigkeit im parlamentarischen Geschehen –, braucht man sich über die antirussische Stimmung im Land nicht zu wundern. Belege dafür, dass diese Anklagen zum großen Teil heuchlerisch und falsch sind, finden sich in meinen Büchern.
Aber die schon lange nicht mehr unabhängigen Medien machen mit und verbreiten permanent Schreckensmeldungen und angsterzeugende Zukunftsvisionen: akute von Russland und China ausgehende Kriegsgefahr, atomare Bedrohung, Klimakatastrophe, Corona, Viren, Terroristen, Inflation und so weiter. So lässt sich eine irregeführte und latent verängstigte Gesellschaft im Zaum halten. Da ist es kein Wunder, wenn hunderttausende aufgehetzter Bürger auf die Straße gehen und sich für die Verteidiger der Demokratie halten.
Wir leben wieder einmal in einer Übergangszeit. Diesmal wird Deutschland systematisch ruiniert, wirtschaftlich, kulturell, sprachlich, und zwar mithilfe einer US-affinen Regierung, die von der Politikerin Sahra Wagenknecht als die dümmste Europas bezeichnet wurde. Uns, den Bürgern, rückt dieser Staat immer näher, und er tritt uns ständig zu nahe. Und wenn wir Pech haben, gehen wir in einem provozierten großen Krieg mit allem, was uns nach zwei Weltkriegen noch geblieben ist, unter.
Immerhin hat Bundeskanzler Olaf Scholz die hochgefährlichen Überlegungen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zur Entsendung westlicher Truppen in die Ukraine mit deutlichen Worten zurückgewiesen. Auch für die Zukunft gelte, "dass es keine Bodentruppen, keine Soldaten auf ukrainischem Boden gibt, die von europäischen Staaten oder NATO-Staaten dorthin geschickt werden". Und auch der ansonsten weniger zurückhaltende Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat den Einsatz deutscher Truppen in der Ukraine ausgeschlossen: "Boots on the ground ist keine Option für die Bundesrepublik Deutschland." Ein bescheidenes Signal der Vernunft in einem Stadium, in dem ein Dritter Weltkrieg nicht mehr ausgeschlossen werden kann.
Erstveröffentlichung bei Global Bridge.
Der Schriftsteller und Publizist Dr. jur. Wolfgang Bittner lebt in Göttingen. Von ihm erschienen 2014 "Die Eroberung Europas durch die USA", 2019 "Die Heimat, der Krieg und der Goldene Westen" sowie "Der neue West-Ost-Konflikt" und 2021 "Deutschland – verraten und verkauft. Hintergründe und Analysen".
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